Persönliche Empfehlung Album

Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Album ab und begründet diese schriftlich.

MÄRZ 2024  Michael Lohse, Köln

Lukas Meister - Schneeflocken im Sommer

Auf den Winter schimpfen kann jeder. Wie wär’s mal mit etwas Humor? Lukas Meister versetzt sich in die Lage von zwei verliebten Schneeflocken. Und aus deren Sicht sieht die Welt gleich komplett anders aus: „Wer wird denn gleich an den Frühling denken, lass uns kalte Liebe schenken, so lang es schneit.“ Denn wehe, wenn die Temperaturen steigen – dann sind die Schneeflocken verloren…

Das neue Album von Lukas Meister ist die beste Medizin gegen den Winterblues. Der Wahl-Berliner, der ursprünglich aus der Gegend von Freiburg stammt, verzaubert darauf mit seiner ganz eigenen Mischung aus Leichtigkeit und Nachdenklichkeit. Aus einem schrägen Einfall macht er wie in „Schneeflocken“ eine Parabel auf die Vergänglichkeit voller Witz und Poesie.  

Es bleibt nicht das einzige Liebeslied mit jahreszeitlichem Bezug. Die wunderschöne Ballade „Cecilia“ variiert das Thema Frühling so: „Komm ich schreib dir, oh Cecilia, einen Song über’n Sonnenaufgang und dann gehen wir über’n Ku’damm und verkünden den Frühlingsanfang.“

Lukas Meister hat auf seinem fünften Album endgültig zu seinem unverwechselbaren Ton gefunden: mit tollen Melodien, einem sinnlichen Klang und Texten, deren literarische Qualität weit aus dem Gros des Genres herausragt. Der Sänger, Gitarrist und Pianist hat diesmal alles selbst aufgenommen, ob Gesang oder Instrumentalspuren. Vielleicht deshalb wirkt das Ergebnis so einheitlich, obwohl die Lieder so vielfältig sind.

Die Palette reicht von parabelartigen Songs wie den erwähnten „Schneeflocken“ oder „Aus dem Leben eines Steins“ über persönliche Botschaften an seine Kinder („Flügel“) bis zu großartigem Nonsens wie „Keine Vampire in Angermünde“, wo Meister sich als Geschichtenerzähler mit trockenem Humor erweist.

Sein bewusster Umgang mit Sprache zeigt sich auch in „Fragen über Fragen“, einem Song, der voller Wortwitz die Sprache selbst zum Thema macht und dabei auch gesellschaftspolitische Spitzen enthält: „Warum gibt man sich blumige Namen wie Alternative und Christen-Union, wenn jeder nur wieder an sich denkt, also komisch find ich das schon.“

Dabei bleibt Meister wohltuend unprätentiös. Er gehört zum Glück nicht zu den Liedermachern, die mit moralisierender Weltuntergangsstimmung ermüden.

Dass er sich in seiner Poetenwerkstatt hin und wieder auch mal im Metaphern-Dschungel verirrt und arg Kryptisches vom Stapel lässt wie „Das Schiff aus schwarzer Seide“ – geschenkt. Meister sprüht eben nur so vor Ideen und sein Album wird keine Sekunde langweilig.

Das gilt - der eher minimalistischen Besetzung zum Trotz auch für die Musik. Meister ist – nomen est omen – nicht nur ein Virtuose des Fingerpicking, sondern weiß auch mit treffsicheren Arrangements für Klavier oder E-Piano Atmosphäre zu erzeugen. Der warme intime Sound liegt irgendwo zwischen Simon & Garfunkel und neuem französischen Chanson. Wobei die Texte mit ihren lakonischen Pointen zuweilen an Joachim Ringelnatz erinnern.

Der Musik von Lukas Meister wäre größere Resonanz zu wünschen. Diese Kombination aus heiter, tiefgründig und romantisch soll ihm erstmal jemand nachmachen – ein Genuss zu jeder Jahreszeit.


Weitere Informationen: https://lukasmeister.tumblr.com/

FEB 2024  Hans Jacobshagen, Köln

Joscha Zmarzlik - Liedpoesie



„Liedpoesie“ hat Joscha Zmarzlik sein neues Album genannt. Und dieser Titel ist schon eine umfassende Beschreibung dessen, was wir von dieser Produktion zu erwarten haben: Poetische Chansons, die offensichtlich aus der Beobachtung von Alltagssituationen heraus entstanden.

So beschreibt Zmarzlik das Leben in einem Freibad ebenso wie großstädtische Erlebnisse. Er erzählt vom Treiben auf dem Place des Vosges oder dem nächtlichen lärmenden Treiben auf der Kölner Südbrücke, Orte an denen er selbst gelebt hat und die offenbar Eindrücke bei ihm hinterlassen haben. Ebenso schildert er intensive Begegnungen mit Menschen: Gisela, die ihre Tage mit Predigen auf der Straße zubringt oder seiner Zuneigung zu der Frau, die in der Bibliothek für die Ausleihe zuständig ist, was seine Ehe in eine gefährliche Situation bringt. Und so weiter. Alle Lieder sind mit einem kleinen aber sehr präsenten Ensemble eingespielt, gelungene Arrangements passen sich dem Charakter des jeweiligen Textes an.

Chansons für Streuner und Träumer nennt Smarzlik seine CD im Untertitel. Das ist nachvollziehbar, denn er beschreibt sich und andere unterwegs auf der Suche nach Etwas. Und „verträumt“ meint, dass in allen Liedern eine unbestimmte Sehnsucht mitschwimmt. Da wird nichts konkret genannt. Der Hörer muss intensiv zuhören und sich seine eigenen Gedanken dazu machen.

Das ist nicht leicht und vielleicht ist es sinnvoll, nicht die ganze Produktion am Stück zu konsumieren. Denn jedes Lied, jedes Gedicht hat seine eigene Geschichte.


Weitere Informationen: www.joschazmarzlik.de/liedpoesie/



JAN 2024  Christoph Heimer, Hagen

Andreas Albrecht - Nach Außen, Nach Innen

Andreas Albrecht ist das, was der Volksmund einen Hansdampfinallengassen nennt: Songschreiber, Multiinstrumentalist, Produzent, Toningenieur, Labelchef, Fotograf und Künstler – der Berliner (Jahrgang 1968) ist all das in Personalunion, seine Vita entsprechend vielfältig.

Sein neues Album „Nach außen, nach innen“ ist logischerweise ein Soloalbum im wahrsten Sinne des Wortes. Albrecht hat es selbst produziert, aufgenommen und 90 Prozent der Instrumente selbst eingespielt. Vor allem aber ist es ein Konzeptalbum, auf dem Albrecht zwei Welten zusammenbringt – als zwei gleichberechtigte Vorderseiten, wie er betont. Die „Außen“-Seite zeigt ihn als klugen Beobachter der sich ändernden Welt. In „Nein, Nein, Nein“ und „Keine Lust mehr“ begibt Albrecht sich in die Perspektive von Querdenkern und seziert genüsslich deren krude Weltsicht. Auch die Klimawandelleugner werden in „Mehr Meer“ mit all ihren ambivalenten Argumenten entlarvt: „Jedes Jahr 3 Millimeter mehr Meer, bis zu meinen Knien sind das 150 Jahre, da fällt Vergessen nicht schwer“ – die Hookline, die sich im Laufe des Songs übrigens bis zum Hals vorarbeitet, ist so eingängig wie genial und steht stellvertretend für Albrechts größte Stärke als Texter. Bei aller Angriffslust holt er nie den Phrasen-Holzhammer raus. Seine Kritik fällt deutlich aus, aber stets menschlich. Seine Freude an der Ironie ist unüberhörbar. Eins der Album-Highlights ist das Ende der „Außen-Seite“. In „Zwischen den Kriegen“ vereint Albrecht große Melodie (die erinnerte mich trotz völlig anderer Umsetzung anfangs übrigens an Lionel Richies „You are my destiny“) mit großem Thema, tut dies aber erneut auf seine Art und Weise. Hier werden keine Antikriegsparolen mit erhobener Faust gesungen, stattdessen nimmt Albrecht jeden einzelnen von uns mit in die Pflicht, den Allerwertesten auch mal vom Sofa zu bequemen.

Im Anschluss startet dann die „Innen“-Seite, die Albrecht den Blick ins Private wenden lässt. „Tiere an den Oberflächen“ beginnt als ironische Kindheitserinnerung vor dem Corona-Hintergrund, erweist sich im Verlauf aber als kluge Parabel auf die menschliche Vergänglichkeit. Die Balladen „Treibholzzeit“ und „Schlaflosland“ zeigen den Berliner dann als echten Poeten, der auch im Melancholie-Modus nie die Leichtigkeit verliert. In „Bittersüß“ setzt er sich mit der eigenen Vaterrolle auseinander, wie auch im versöhnlichen Album-Closer „Wird schon werden“. Einmal mehr beweist Albrecht hier sein Talent als Texter, denn so konkret er den „Zwerg“ besingt, so universell und dabei angenehm unkitschig sind seine Lebensweisheiten: „Keinen Schwur muss man nicht brechen, Hinfort mit den Versprechen, Gewissheit ist nur Lug und Trug“ – Wird schon werden, wird schon gut gehen“.

Als ich diese Zeilen zum ersten Mal hörte, saß ich im Auto auf der Rückfahrt aus der Kölner Redaktion. Albrechts Album war tags zuvor in der Post und das zum inhaltlichen Konzept passende Wendecover der beiden Seiten hatte mich neugierig gemacht. Als der letzte Akkord verklungen war, wollte ich das Album unbedingt nochmal hören. Dass beim ersten Durchgang kein Song hängen geblieben war, meine ich ausnahmsweise mal ausnahmslos positiv. Auf dieser Platte gibt es eine Menge zu entdecken und alles an ihr ist ehrlich und charmant. Albrecht ist sicher kein brillanter Sänger, macht das aber durch Charakter mehr als wett. Die Produktion mäandert zwischen Pop und Indie, mitunter fast schon krude, aber stets mit rotem Faden. Jeder Song entfaltet seine wahre Stärke garantiert nicht beim ersten Mal – so soll es sein.

Seit über einem Vierteljahrhundert arbeitet Andreas Albrecht mit Manfred Maurenbrecher als Schlagzeuger, Keyboarder und vor allem Produzent zusammen – die Frage, wieviel Maurenbrecher in Albrecht und wieviel Albrecht in Maurenbrecher nach dieser langen Zusammenarbeit steckt, drängt sich also förmlich auf. Eine Antwort kann und ich will nicht geben, aber ich bin sicher: wenn sie Maurenbrecher mögen, werden sie Andreas Albrecht lieben. Und dass das ganz bestimmt auch umgekehrt zutrifft, reicht vielleicht ja schon als Antwort.


Weitere Informationen: https://www.andreasalbrecht.com/

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