Persönliche Empfehlung Lied

Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Lied ab und begründet diese schriftlich.

MÄRZ 2024  Fredi Hallauer, Bern/Schweiz

Ada vo Züri – Stammtisch

Ein Stammtisch ist sowohl eine Gruppe von mehreren Personen, die sich regelmäßig in einem Lokal trifft, als auch der meist größere, runde Tisch, um den sich diese Gruppe versammelt. Im Mittelpunkt dieser Stammtischrunden stehen oft das gesellige Zusammensein, Kartenspiel und politische oder philosophische Diskussionen (Quelle: Wikipedia).

Im Lied Stammtisch geht es genau um die Gespräche welche dort stattfinden. Als unbeteiligte Zuhörerin schnappt Ada vo Züri Gesprächsfetzen auf, zumindest zumindest macht das Lied diesen Eindruck, und verarbeitet sie in dem Lied. Der Kernsatz «Es wird nie meh so guet wie’s nie gsii isch», was soviel heisst wie, es wird nie mehr so gut wie es nie war, ist zentral.

Im Weiteren werden Sätze wiedergegeben und gleichzeitig auch die Person umschrieben, welche was sagte. Hier ein paar übersetzte Beispiele: Es bringt nichts, nach dem Abschied zu trauern, sagt einer ohne Leidenschaft; es bringt nichts eine Schuld zu bedauern, sagt einer der die Liebe nicht kennt. Aber auch hoffnungsvollere Sätze werden am Stammtisch geprägt, wie: was wären wir ohne Hoffnung, sagt der Betrunkene; oder es bringt nichts Leichtigkeit zu finden, im Rebberg ist es leicht genug. Die Texte enden mit «Es nützt nicht noch einmal einzuschenken, kannst du denken» in Mundart hat es einen etwas anderen Sinn «Chasch dänke» meint, da liegst du falsch. Diese eigenwillige und treffende Lyrik singt Ada vo Züri, scheinbar emotionslos, schön, ohne Pathos oder Anklage. Sie spielt dazu Schwyzerörgeli, aber nicht im volkstümlichen Stil, singt selbst die Backing Vocals und wird von zwei in der modernen Volksmusik oder eher Folk bekannten Musikern an Geige und Bass unterstützt. Ada vo Züri überzeugt mit eigenständiger Lyrik und eigenständiger Musik, ohne experimentell zu sein, nein im Gegenteil, das Ganze kommt schlicht und ansprechend daher.


Weitere Informationen: https://adaravaioli.com

FEB 2024  Petra Schwarz, Berlin

Merle – Tiger



Siedie Musikerin, Musikpädagogin, Pianistin, Sängerin und Cellistin aus Biesenthal bei Berlinist Absolventin der SAGO-Schule für Musik und Poesie bei Christof Stählin und kein Neuling in der Liederbestenliste“. Aber das Album „TIGER*INNEN“, von dem ich den Song „Tiger“ empfehle, ist nagelneu.

Tiger“ geht geheimnisvoll los: mit einer Art Rascheln und man weiß im ersten Moment wirklich nicht, wozu man gebeten ist. Die erste Strophe zeichnet dann aber klarvorsichtig a cappella dargebotendas Bild von der Situation: Da ist ein Tiger vor der Hütte und: „Dieser Tiger schläft nicht, er wetzt seine Krallen und leckt sich sein glänzendes Fell.“ Merle’s Cello und zaghaft etwas Drum-Besen“ (Percussion: Andreas Albrecht, der das Album in seinem Berliner Silberblick-Musik-Studio aufgenommen und produziert hat) kommen hinzu. Auch in der zweiten Strophe nebst zweitem Refrain: eine noch eher verhaltene musikalische Gestaltung. Erst danach: weitere, sparsame musikalische UntermalungCello gestrichen und gezupft. Und späterinmitten der dritten und letzten Strophewendet sich das Blatt: Merle wird selbst zum „Tiger“ und singt aus vollem Hals den dritten Refrain: Dieser Tiger schläft nicht, ich wetz meine Krallen und lecke mein glänzendes Fell“. Ein interessanter „Dreh“ - einfach, klar.

Merle Weißbach ist eine außergewöhnliche Künstlerin, die ich vor vielen Jahren zunächst als begnadete Cello-Spielerin kennenlernt habe, die Andere in der Lied-Szene begleitete. Aber bald schon gab es eigene Lieder von ihr, die sie sich selbst am Cello begleitendvorträgt. Zuletzt hat sie dies am 25. November 2023 in Hoyerswerda derart überzeugend getan, dass die Jury des 26. Liederfests „Hoyschrecke“ ihr den ersten Preis, also die „Hoyschrecke“ zugesprochen hat. Jury-Mitglied Martin Miersch sagte zur Begründung u.a.: „Merle schafft es, mit ihren Texten das Große im Kleinen zu spiegeln.“ Ja wirklich, das schafft sie.

Übrigens: Alle Gewinne der neuen CD gehen an das Bürger*innenasyl Barnim. Mir ist es ein menschliches und politisches Anliegen, diese Arbeit finanziell zu unterstützen. Ich möchte damit meinem ‚Wahl‘-Bundesland Brandenburg, in dem die AfD eine aktuelle Wahlprognose von 32% hat, auch klare Position beziehen. Gegen eine rassistische Asylpolitik und gegen eine Partei, die darüber hinaus den Holocaust verharmlost, den menschengemachten Klimawandel leugnet und gegen Menschen hetzt, die auch schon jetzt von rassistischer, antimigrantischer, queerfeindlicher … Gewalt getroffen werden.“


Weitere Informationen: www.silberblick-musik.de und http://merlecello.de









JAN 2024  Hans Reul, Eupen (Belgien)

Prächtig - Schreibblockade

„Ceci n’est pas une pipe“ ist eines der bekanntesten Gemälde des belgischen Surrealisten René Magritte. Natürlich ist es keine Pfeife, es ist die Darstellung einer Pfeife. Und so finden wir im Booklet des „Magritte“-Albums des Singer-Songwriters Robin Mügge - Doktorand der Mathematik und seiner Leidenschaft der Musik unter dem Künstlernamen „Prächtig“ frönend - neben dem Text des Liedes „Schreibblockade“ einen Füller und den Untertitel „Ceci n’est pas un stylo“. Jedem der zwölf Songs wird ein entsprechendes Magritte-Bild beigefügt.

Magritte verband in seinen Arbeiten Traum und Wirklichkeit zu einer eigenen Realität. Wenn man durchs Brüsseler Magritte-Museum streift - übrigens der Besuch ist jedem Brüssel-Besucher unbedingt zu empfehlen - dann taucht man in diese „surreale“ Welt ein, stellt Fragen, stellt sich in Frage. Davon handelt auch Prächtigs Album und der Song „Schreibblockade“. Dabei geht er spielerisch verschmitzt mit Sprache um. „Es braucht nur einen leeren Schreibblock für meine Schreibblockade“ heißt es im Refrain. Wer kennt nicht das Gefühl dieser Leere, der Angst vor dem weißen Blatt Papier? Prächtig sucht nach dem Grund: „Es ist immer das Gleiche, jeden Tag wieder, dieselben Gedanken, dieselben Lieder, wenn ich so gern‘ was neues hören will“. Er macht selbst den besten Vorschlag: Geh raus, schau dir alles an, entdecke das Neue, das dich wieder träumen lässt. Dann stellt sich auch nicht die Frage, ob nicht alles schon erzählt wurde.

Schon die Tatsache, dass wir diesen Song und das gesamte Album „Magritte“ vorliegen haben, zeigt, dass eine Schreibblockade überwunden werden kann. Wenn dies auf musikalisch so wunderschön entspannte Art mit einem Ansatz von relaxtem Swing und traditionellem Songwriting verpackt wird, dann dürfte auch ein breiterer Publikumskreis angesprochen werden. Denn das zeichnet Prächtigs Songs aus: selbst ernste Themen mit einer schwebenden Leichtigkeit zu erzählen.


Weitere Informationen: www.magicmillemusic.de

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