Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Lied ab und begründet diese schriftlich.
Weiherer, Mundart-Liedermacher und, nach eigener Auskunft, "Singer/Songwriter, Geschichtenerzähler und Kabarettist", heißt eigentlich Christoph Weiherer, ist 24 Jahre alt und stammt aus der niederbayerischen Gemeinde Zeilarn. Mit Neunzehn schreibt er seine ersten Lieder und trägt sie zu eigener Gitarrenbegleitung vor. Mit Zweiundzwanzig hat er seinen ersten größeren Auftritt bei einem Liedermacher-Treffen in Erfurt. Inzwischen ist Weiherer mit seiner "bavarian liedermaching-tour" - außer nach Österreich und in die Schweiz - schon mehrfach erfolgreich bis nach Göttingen und Hamburg vorgedrungen, wobei die Norddeutschen entgegen landläufiger Vorstellung mit Weiherers bayerischem Dialekt offensichtlich keinerlei Verständnisprobleme haben. Seinen erlernten Beruf - Chemielaborant - hat der Künstler längst zugunsten der Musik aufgegeben.
Vor wenigen Monaten hat Weiherer seine zweite CD veröffentlicht - mit dem Titelsong "Scheiß da Hund" und der Titelzeile eines selbstbewussten Unangepassten, der nicht daran denkt, sich Trends und modischen Zwängen zu unterwerfen, seien sie nun politischer, gesellschaftlicher oder künstlerischer Natur. Auf Hochdeutsch: "Ich bin so wie ich bin, und auf alles andere da soll doch der Hund draufscheißen."
Das Lied mit dem Titel "Eia Sissdem" ("Euer System"), das ich Ihnen von dieser CD besonders empfehlen möchte, schildert im Vergleich zum Titelsong vordergründig den genau entgegengesetzten Fall. Hier schlüpft Weiherer in die Rolle eines total Angepassten und "ins System Integrierten", der sich in seiner Resignation allerdings keine Illusionen mehr macht über die Ursachen und Folgen seiner fragwürdigen Haltung. Das Lied wird damit zur sarkastischen Anklage gegen eine gefährlich unpolitische Gesellschaft im allgemeinen und gegen diejenigen Vertreter seiner eigenen Generation im besonderen, deren "Engagement" sich auf die zweifelhaften Freuden der Spaß-Gesellschaft beschränkt. "Eia Sissdem" war schon auf Weiherers erster CD zu hören. Für diese auch musikalisch sehr gelungene Neuaufnahme hat er neben der ursprünglichen Gitarrenbegleitung zusätzlich Bass und Akkordeon selbst eingespielt, was die ein wenig melancholische und schöne Folk-Färbung der Musik besonders unterstreicht.
In einer Zeit, in der lärmend die Comedy dominiert, und in der sogar gestandene Liedermacher auf elektronische Beats und Techno-Schnickschnack bisweilen nicht verzichten zu können glauben, ist ein scheinbar altmodischer "Protestsänger" wie der junge Weiherer, mit Akustik-Gitarre oder Akkordeon als einzigem Begleitinstrument, eine wohltuende Ausnahmeerscheinung.
Fast dreißig Jahre ist sie alt, die "Ballade von Seveso". Sie ist typisch für Walter Moßmanns Flugblattlieder, und sie wurde gesungen, wo man gegen Kernkraftwerke demonstrierte. Manches hat sich seither verändert, die Gefahren, die auch die friedliche Nutzung von Atomkraft birgt, sind mittlerweile ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Aber das Lied hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Denn nach wie vor und mehr denn je ist die Industrie bereit, Gesundheit und Leben von Menschen zugunsten ihres Profits bedenkenlos aufs Spiel zu setzen. Das Didaktische hat heute schlechte Presse. Agitation und Propaganda, kurz "Agitprop", hat im allgemeinen Sprachgebrauch einen negativen Klang. Dem ist Moßmanns beharrlicher Refrain entgegenzuhalten: "Was haben wir draus gelernt?"
Dass wir aus den selbst verschuldeten Katastrophen lernen sollen, dass wir aktiv werden müssen, um jenen in den Arm zu fallen, die weitere Katastrophen planen, ist eine humanistische Forderung, deren Berechtigung nicht bezweifelt werden darf in einer Wendezeit, in der selbst Sozialdemokraten demokratische Prinzipien wie Gleichheit oder soziale Verantwortung preisgeben. Die "Ballade von Seveso" ist jung geblieben, nicht nur wegen ihres gescheiten Aufbaus, der zwingenden Logik ihrer Strophenfolge, sondern auch wegen der Melodie von Phil Ochs, die Moßmann sich geliehen hat, einem Ohrwurm, der wie für den Text geschaffen scheint, dessen musikalischer Gestus sich dem Argument anschmiegt. Die "Ballade von Seveso" befindet sich in dem jüngst erschienenen Paket von vier CDs, die Moßmanns wichtigste Lieder und umfangreichere Arbeiten enthalten.
Moßmann kann wegen einer Kehlkopferkrankung seit längerem nicht mehr singen. Doch das technische Medium der CD bewahrt die Erinnerung an einen der bedeutendsten deutschen Liedermacher, der als Person und mit seinen Liedern an der Geschichte des Widerstands gegen den Status quo mitgeschrieben hat. Moßmanns Lieder setzen ein Maß, das heute nur selten erreicht wird. Man muss es zumindest kennen. Deshalb empfehle ich Walter Moßmanns "Ballade von Seveso".
Als Westfale bringt mir das Anhören bayrischen Liedgutes in der Regel keine beein-druckenden Aha-Erlebnisse. Um so erfreuter war ich, als ich die CD des mir bis dahin unbekannten Williams Fändrich und seiner Band auflegte. Da schafft es einer, bayrisches Bluesgefühl zu verbreiten. Dabei ist mein Favorit auf der CD "Schnoad Soul" gar kein Blues. Von düster monotonem Stampfrhythmus begleitet, singt Fändrich im Titel "Unterwegs" davon, dass er abhauen will, nach Süden. Das ist nun wirklich keine originelle Idee, aber so wir hier habe ich es in Deutschland noch selten gehört. Das ist nicht die Ankündigung eines Aussteigens in Richtung Toskana; Fändrich ist "unterwegs im Namen des Wahnsinns" - eines Wahnsinns, der nicht genau benannt wird, den wir aber alle täglich selbst erleben und erleiden.
Das kann die Situation des Arbeitslosen genau so gut meinen wie das Leid einer unglücklichen Liebe, die gnadenlose Ausbeutung und Vernichtung ganzer Völker zur Wahrung wirtschaftlicher Interessen oder den Tod eines Angehörigen. Wie jeder gute Song ist auch dieser auf den verschiedensten Ebenen interpretierbar und gültig - und auch die Konsequenz ist uns allen bekannt. Wer wollte nicht schon mindestens einmal in seinem Leben diesem Wahnsinn entfliehen, nach Süden, wo immer die Sonne scheint, wo es immer warm ist, ins Land seiner Träume. Und ebenso wie bei den meisten von uns klingt auch bei Fändrich durch, dass er seinen Traum wohl nie verwirklichen wird.
Das Ganze ist musikalisch hervorragend sparsam arrangiert mit Perkussion und Bass (Thomas Korpiun und Uwe Knüppel), wunderschönen Klavierläufen (Nicole Winter) und einer Slidegitarre, von Fändrich selber gespielt, die ebenso schön schräg daher kommt wie seine Stimme.
Zu meinen Lieblingsliedern von Walter Mossmann zählen die "Ballade von der unverhofften Last" und "Das Schützenfest von Nordenham". Die "unverhoffte Last" ist bereits auf CD erschienen, das "Schützenfest" kommt sicher noch. Ich hörte beide Lieder erstmals im Januar 1976 beim Liedermachertreffen der AG Song in Bonn. Damals wurde das Thema Abtreibung heiß diskutiert. Leisten konnte sich eine Abtreibung nur, wer das Geld besaß, ins Ausland zu reisen. In Deutschland wurde Abtreibung grundsätzlich bestraft.
Mossmanns Lieder sind Geschichten. Und mit einer Geschichte führte der Liedermacher das Lied ein: Eine Gerichtsverhandlung gegen eine Frau, die aus materieller Not und deshalb voll verantwortungsbewusst abgetrieben hatte, wurde zu einer Demonstration der Frauen gegen eine Bevormundung durch den Staat. Die Zweige eines Baumes hatten die Demonstrantinnen mit Präservativen geschmückt. Eine Frau fragte während der turbulenten Verhandlung aus dem Auditorium heraus den Herrn Staatsanwalt, ob er denn auch schon abgetrieben habe. Der Staatsanwalt war so perplex, dass er sogar antwortete, und das entrüstet: nein, niemals.
Mossmann machte daraus die "Ballade von der unverhofften Last", und zwar der unverhofften Last eines Staatsbeamten: ein Mann wird ungewollt schwanger. Und weil Mossmann immer auf dem Boden bleibt, war diese Schwangerschaft letztlich nur ein Traum.
Die Frage der Demonstrantin an den Biedermann in der Robe, der naturgemäß keinen Dreck am Stecken haben kann, bringt mich ganz aktuell auf den Fall des ehemaligen hessischen CDU-"Finanziers" Manfred Kanther, als "Schwarzer Sheriff" verschrien, als hessischer CDU-Saubermann in einen kriminellen Sumpf der Geldschieberei verstrickt. Mossmann kritisiert in seinen Liedern kriminelle Macht-Machenschaften und selbstgefällige Saubermann-Mentalität. Und dieser Denkspruch in Mossmanns Lied ist leider immer noch aktuell: "Das Leben ist dem Staat egal, das ungeborene aber nicht."
Walter Mossmann kann heute nicht mehr mit seinem Gesang anprangern. Der Krebs hat seine Stimmer zerfressen. Er war zu Pfingsten zum 40. Jahrestag des ersten Festivals auf Burg Waldeck im Hunsrück. Er kann wieder sprechen, auch wenn es ein bisschen krächzt. Und ich erlebte, wie Walter Moßmann genussvoll schmunzelnd zuhörte, als Klaus der Geiger in einer improvisierten Session mit anderen Musikern sein Schützenlied vortrug und das Publikum lauthals den Refrain mitsang.
Wenn ich an Stephan Krawczyk denke, dann habe ich als erstes das Cover seiner LP "Wieder stehen" vor Augen. Mit weit aufgerissenem Mund schreit er förmlich seine Wut heraus. Verblümt und unverblümt prangerte er die Miss- und Zustände in der DDR an. Berufsverbot und Ausweisung im Februar 1988 waren bekanntlich die Folge. Bei seiner ersten Westtournee, kurz danach, entdeckte ich einen nach außen hin ruhig wirkenden Krawczyk, der mit leiser Gitarren- und vor allem Bandoneonbegleitung seiner - glücklicherweise - immer noch wütenden inneren Stimme in treffenden Texten Ausdruck verlieh. Er schuf Bilder, die man (be)greifen konnte, wenn er etwa die "Fetzen aus"m Himmelszelt" riss.
Doch bald wollte kaum noch einer den singenden Bürgerrechtler mehr hören. Eine gewisse Verbitterung zeichnete manches Lied und manches Konzert aus. Daneben schrieb er Bücher voller poetischer Kraft und Phantasie: Das irdische Kind, Der Narr. Und jetzt erscheint eine neue CD. Erstes Erstaunen: Krawczyk hat sich musikalische Verstärkung ins Liederboot geholt, eine Band, die allerdings eher spartanisch zurückhaltend begleitet. Und das ist auch gut so. Zweites Erstaunen: Die Texte behandeln, bis auf eine ironische Abrechnung mit den politischen Selbstbedienern, private Themen. Da ist die Balance zwischen plump direkt und hintergründig nicht immer gleich zu durchschauen. Aber leicht will Krawczyk es sich und uns auch nicht unbedingt machen.
Und dann ist da noch ein Lied, das ganz einfach ein Liebeslied oder Liebesgedicht ist: "Heute". Manch einer mag von kitschigen oder abgegriffenen Bildern sprechen, wenn etwa die "Tauben auf Dächern zärtlich ihre Köpfe dreh"n". Egal. Wichtig ist: "Heute wissen wir: die Zeit ist für den Augenblick bestimmt."
Ich erinnere ja gern an Gundermann, mich selber auch - weil mit und in ihm immer wieder eine Stimme neu zu entdecken ist, die wohl auch deshalb keinen wirklichen Nach-Klang finden konnte bis heute, wo schon wieder ein paar Jahre vergangen sind auch seit Gundermanns Tod, weil die Welt, aus dessen atomarem Kern diese Stimme kam, unrettbar verloren ist; da hilft auch kein "Good-bye, Lenin!" und keine "Ost-Pro"-Messe, schon gar nicht der kommerzielle Erfolg von "Rotkäppchen" und "Wernesgrüner" und letztlich auch wohl keine Kunst, wie etwa in der kommenden Theatersaison bei der "40 Jahre, 40 Tage, 40 Stücke"-DDR-Erkundung am Berliner Maxim-Gorki-Theater.
Aber Gundermann hilft, manchmal - weil er diesen bis dato und seither so unerhörten Ton des grundsätzlichsten Zerwürfnisses aus sich heraus an sich selber und an uns heran lässt, diesen Sound des fundamentalen Nicht-einverstanden-Seins damit, wie es nun mal läuft mit diesem Land und wie es aber auch nicht zu verhindern ist. Dieser Klang wohl ließ den Niedergang der patriarchalen Übermacht/Ost so kreativ geraten; gerade in den paar Monaten, in denen speziell die Musik der jüngsten Veröffentlichung aus Gundermanns Nachlass entstanden ist: zwischen Herbst 89, dem Aufstand also, und Frühjahr 90, der neuerlichen Unterwerfung.
"Das Chaos ist aufgebracht, es war die beste Zeit!" - das unendliche wahre Brecht-Wort stand damals lange als Graffitti um die Ecke von der Ostberliner Volksbühne, direkt "Im Dickicht der Städte" also; und so viel Anarchie wie da war ja auch nie, so viel In-Stücke-gerissen-Werden zwischen altem Zuhause und manchmal ja auch schöner neuer Welt. Wie sehr haben wir armen, ahnungslosen Wessies uns doch damals schon und seither alle Jahre wieder genau danach gesehnt - nach dieser Option des Ganz-anders-und-von-vorn-Anfangens, angesichts des allgemeinen Nichts-und-wieder-Nichts der offiziellen Politik, wie wir sie ja doch selber angerichtet haben. Gundermanns Songs sind wie das Echo vom Schrei dieser Zeit, von der ja niemand wirklich mehr etwas wissen will; aber gerade deshalb muss diese Stimme gehört werden, wieder und neu. Auch und gerade wo sie etwa die Verse der Internationale auf jenen US-Song setzt, den bei uns eine gewisse Juliane Werding zum Johnny-Kramer- und Drogentod-Memorial verhunzte.
Viele der "Werkstücke" von damals haben es auf diese oder andere Weise in sich - "Europa" aber, getextet auf Bruce Springsteens "Racing in the street", lässt geradezu das Bewusstsein erzittern: wie da einer im ollen Skoda, die Knarre im Handschuhfach und einen kaputten Löwen, der von Rache träumt, im Kofferraum, in eine Stadt kommt, wo sterbend die Bäume noch kichern. Hier bricht wohl gerade der neue Weltbürgerkrieg aus: mit Negern, pardon: "Farbigen", die nie mehr lächeln, und den weissen Ober-Boss ans genau so weisse Haus gehängt haben; mit Molotow-Cocktails im Supermarkt und "Fidschies" (Alt-DDR-Sprech für Vietnamesen o.ä.), die in "Nähmaschinen" (so hieß im Volksmund der Volks-Trabant) "aufsteigen", vermutlich in Rauch. Wie früher über den Lagern. Und der Ich-Sänger selber wird womöglich der Täter gewesen sein - von unserer Mit-Schuld an dem, was kommen wird (vielleicht etwas anders, aber auch nicht wirklich schön!), spricht uns niemand mehr frei. Wir hatten wohl keine Chance, und wenn, dann haben wir sie sicher verpasst.
Keine Sorge, der Tipp bleibt auf Dauer geheim: Gundermann hören! Zu Tode Erschrecken dabei, manchmal. Beinahe verzweifeln, oft. Dann aber lächeln. Auch lachen. Weil er ja lacht. Und stirbt, bevor er das Ende erlebt.
Ich hab da so eine Theorie! Nicht erst seit dem Krieg im Irak und auch nicht erst, seit Bush ohne Mehrheit Präsident wurde. Nein, mir schwant es schon wesentlich länger, dass die Wurzel allen Übels schlicht und ergreifend "Macht" ist. Angefangen in der Familie, die Macht der Eltern über die Kinder und die der Kinder über die Eltern, dann weiter über die Macht des Vorgesetzten am Arbeitsplatz und...und...und...bis hin zur Politik; Macht und vor allem ihr Missbrauch ist die Ursache für die meisten Probleme weltweit. Genau dieser Grundgedanke bewegt die Gruppe Strom & Wasser in ihrem Stück "Hammerschmidts Bombe".
Natürlich ist die Szenerie überspitzt und fast ins Absurde übertrieben: Hammerschmidt erhält zufällig ein Paket mit einer Bombe, schnallt sie sich auf Kopf und drangsaliert fürderhin erfolgreich seine Nachbarschaft. Und die Botschaft? Die Bombe ist Macht und die missbraucht Hammerschmidt offensichtlich nach Herzenslust. Bis, ja, bis sich herausstellt, dass ein Nachbar die gleiche Machtfülle hat. Klingt bekannt? Klar, Begriffe wie "Ostblock" oder "Kalter Krieg" sind noch nicht ganz vergessen. In dem Lied kommt es schlussendlich zum großen Knall, im privaten Leben hat dieser "große Knall" die unterschiedlichsten Ausprägungen. Und die Moral von der Geschichte: Macht muss kontrolliert werden, immer und überall. Die Helden, die verantwortungsvoll mit Macht umgehen können, sind nämlich viel zu selten. Hammerschmidt war auch keiner von ihnen.
Panta rhei, lautete eine Weisheit der alten Griechen. Alles fließt, heißt das übersetzt, und gemeint ist damit, dass sich alles Leben in ständigem Fluss, in ständiger Bewegung befindet. Vergeblich wäre es, sich diesem Fortschreiten und Vorwärtsdrängen entgegenzustemmen, vielmehr gilt es, das ewige Werden kreativ zu gestalten.
Symbolisch für die Kraft der Veränderung steht das Lebenselixier Wasser. Ihm haben vier Schweizer Musiker und ein Visionär ein wunderschönes Kunstwerk gewidmet, das wie eine CD daherkommt, jedoch durch die Bilder des Fotografen und Multivisions-Spezialisten Jost von Allmen (zu finden im Booklet, aber auch im Internet unter www.taecha.ch) noch etwas mehr ist als bloß eine Tonkonserve.
Tächa nennen sich die fünf Herren aus dem Berner Oberland - was im Zungenschlag ihrer Heimat "Alpendohle" bedeutet. Ein weiteres Element spielt im Kosmos von Tächa also eine wichtige Rolle: die Luft. In der Tat hat Ueli von Allmen, seines Zeichens Sänger, Gitarrist, Perkussionist der Gruppe, sich einst im Gleitschirmfliegen versucht und auf Anregung seines Fluglehrers ein Lied über die Tächa geschrieben.
Luft und Wasser, weiter Raum und geschmeidige Bewegung: In den Stücken der Band kommt dies aufs Harmonischste zusammen. Ueli von Allmen, Peter Bruhin, Schwyzerörgeli und Streichpsalter, Stefan Dorner, Piano, und Thomas Kupper, Kontrabass, sehen die Musik nicht als zweitrangiges Beiwerk zu ihren poetischen, leider für Nicht-Älpler oftmals schwer verständlichen Texten. Die vier nähern sich vielmehr mit großem instrumentalem Geschick, mit phantasievollen Klangbildern der Faszination des Wassers.
Ist das Lied "Im Seich wägedäm", das von der Jury bereits in die Liederbestenliste gewählt wurde, ein echter Song mit komödiantischen Zügen, so stellt "Tropf im Lavabo" ein besonders feines Beispiel dar für die Fähigkeit der Gruppe, Klänge zu malen. Das beginnt mit jenem so leisen wie unüberhörbaren Tropfen aus dem Wasserhahn, das sich bekanntlich zur wahren Folter für den Schlafwilligen auswachsen kann, und setzt sich fort mit Quellwasser, Regenwasser, Schmelzwasser, Spülwasser, Teewasser, Hochwasser, Grundwasser ... und damit noch nicht genug. Aber keine Folter, versprochen, sondern ein mitreißendes Hörvergnügen.
Übrigens: Von jeder verkauften "Wasser"-CD geht ein Schweizer Franken an das Hilfswerk der Evengelischen Kirchen Schweiz (HEKS), das damit weltweite Wasserentwicklungsprojekte unterstützt.
Neuerscheinungen anzuhören ist immer wieder etwas ganz Spannendes. Und selbst wenn nach den ersten fünf Minuten euphorische Neugier leichter Ernüchterung weicht, so bekommt man doch einen repräsentativen Überblick über das, was in unserem Land an Musik "jenseits der Charts" geschrieben wird. Und das ist viel. Und da ist viel Gutes. Der Vorteil der Liederbestenliste ist (u.a. das grenzt sie von den Charts ab), dass wir Eigenproduktionen und Demos zur Kenntnis genommen werden. Produktionen, die nie eine Chance in den Tagesprogrammen bestimmter Radiosender haben würden. Da ist man dann ganz besonders neugierig. So ging es mir mit einer kleinen Auswahl auf einer "Selbstgebrannten" von Simone Grunert und Martin Rosengarten. Um es gleich vorweg zu nehmen: Die leichte Ernüchterung blieb aus, das Hören der vier "Elektrochansons", wie sie ihre Lieder nennen, machte die Auswahl für diese "Persönliche Empfehlung" schwer.
Entschieden habe ich mich letztlich für die "Deutschlehrerin" nur, weil ich beim ersten Lesen des Titels zunächst eine ganz andere, eher politisch intendierte Erwartung hatte und überraschenderweise auf ein so genanntes "einfaches Liebeslied" traf, von dem ich mich trotz einer anderen Erwartungshaltung gern und sofort mitnehmen ließ. Und so kommen denn auch die anderen drei Lieder leichtfüßig, doch nicht leichtgewichtig daher. Unterhaltend und doch fesselnd kann ich mich da einkuscheln. Die gekonnt formulierten Texte der früheren DDR-Liedermacherin verschmelzen organisch mit der Musik, wirken somit als Einheit - was in der Szene leider immer noch nicht selbstverständlich ist und mich ein paar interpretatorische Unsicherheiten bei "grunert" denn auch gern überhören lässt.
Die "Elektrochansons" erzählen über die Liebe. Über nicht mehr und nicht weniger. Dem Anspruch Simone Grunerts wird Martin Rosengarten in unaufdringlicher, luftiger Weise gerecht. Er, der seit vielen Jahren mit Martina Brandl unterwegs und der Chansonszene als Pianist, Komponist und Produzent ebenso verbunden ist wie dem Jazz, versteht es hervorragend, die eher im traditionellen Chansonduktus gehaltenen Lieder mit filigranen und sparsam eingesetzten moderneren elektronischen Mitteln etwas unverwechselbar Eigenes zu geben. Beiden Absolventen der Berliner Musikhochschule Hanns Eisler gelingt es dabei konsequent, jegliche Nähe zur Popmusik zu vermeiden. Das Programm von grunert, "nach neuen Wegen in der deutschen Musikszene zu suchen, nach neuen Ausdrucksweisen, die die Tradition des Chansons mit tanzbaren und groovenden Melodien vereinen, die den Kopf ansprechen und doch in die Füße gehen", haben sich die Beiden hörbar zu Herzen genommen und wir dürfen auf weitere Neuerscheinungen von grunert sehr neugierig sein. Neuerscheinungen, die anzuhören etwas ganz Spannendes ist.
Wer Wolfgang Buck nicht oder noch nicht kennt: Buck ist ein Songschreiber aus Franken. Geboren 1958 und aufgewachsen im Landkreis Fürth, schreibt er seit über zwanzig Jahren Songs im fränkischen Dialekt. Neben Wolfgang Buck solo gibt es auch die siebenköpfige Wolfgang Buck Band. Seine neueste Live-CD, auf der ihn Ralf Tonnius begleitet, heißt "nedsulaud".
Das erste Stück darauf ist ein ruhiges Lied. Und es handelt von der Ruhe, vom Sich-Zeit-nehmen, vom Langsammachen in unserer Turbo-Gesellschaft. Deren neuestes, zur Zeit heiß geliebtes Bekenntnis treibt mächtig an: "Geiz ist geil" prankt einem überall entgegen. Und dieser Turbo zieht. Weil für die allermeisten Zeit Geld ist, heißt es um so mehr: Zeit gewinnen, Zeit sparen, mit Zeit geizen und versuchen, in eine Zeitspanne möglichst viel Tun, Handeln, Erledigen zupacken. Aber Zeit ist nicht sparbar, ebenso wenig wie das Leben sparbar ist. Nichts anderes erzählt Wolfgang Buck in seinem Lied "wi a hamsder in sein rod".
Die norddeutsche Küstenregion lebt von ihren maritimen Ambitionen wie der Fischerei und der Schifffahrt - und von den Liedern darüber. Das ist seit Jahrhunderten so und der vorhandene Schatz an Liedern, Geschichten, Seemannsgarn und Legenden scheint so groß und prachtvoll zu sein, dass er nur Stück für Stück weiter gehoben werden muss, um der Menschheit auch fürderhin norddeutsches Liedgut reichlich zu bescheren. So könnte man glauben, jedenfalls.
Der mecklenburgische Sänger und Liedermacher Wolfgang Rieck gehört seit Jahrzehnten zu den Schatzgräbern. Aber neben den sagenumwobenen und schrägen Gestalten aus der Seefahrt, die sich in seinen Programmen tummeln, finden sich bei ihm auch immer wieder Lieder, die einen ganz heutigen Blick auf Mentalität, Lebensweise und Humor der Mecklenburger freimachen. Und schnell wird klar, dass auch heute die Faszination des Meeres noch eine große ist, dass sich die sprichwörtliche Einsilbigkeit über die Jahrhunderte nicht verloren hat und die vermeintlich kargen Landstriche im Norden ihre eigene Poesie ausstrahlen.
Nach längerer Zeit hat Wolfgang Rieck, der seit seinem Ausstieg bei Liederjan solistisch arbeitet, am Ende des letzten Jahres eine neue CD mit einer Reihe eigener Lieder und Liedern nach Texten von Theodor Kramer, Joachim Ringelnatz u.a. vorgelegt. Obwohl sie "Alles muss sich wandeln" heißt, zeugt sie doch davon, dass es immer noch die ruhige, unaufgeregte und auf den zweiten Blick sehr poetische Art des Wolfgang Rieck ist, die uns einige sehr anhörenswerte Lieder beschert. Da haben Musikerkollegen wie Karl-Heinz Saleh und Jens Naumilkat sehr einfühlsam mitgetan, haben Streichquartett, A-Capella-Quintett und die Kirchenorgel der Rostocker St. Marienkirche gezielt dem anderen Instrumentarium zugeordnet und jenseits maritimer Versuchungen ein spannungsreiches norddeutsches Klangbild geschaffen. Auch wenn das Lied "Winter, oh du kalter Freund" gerade im Februar gut stünde, empfehle ich das Titelstück "Alles muss sich wandeln" zum genaueren Hinhören.
Geiz als Werbebotschaft. Abzocken als Gesellschaftsspiel. Superstarshows als Quotenbringer. Handygebimmel überall. Plastische Chirurgie als Lifestyle. Kürzungen von Sozialleistungen. Amnestien für Steuersünder. Subventionsmauscheleien. Schmelzende Gletscher, aber Last Minute um den Globus. Krieg für den Frieden. Saufen für den Regenwald und Qualmen für das Muttergeld. In welchen Zeiten leben wir eigentlich?
Werner Schmidbauer, dialektbedingt ein Publikumsliebling im süddeutschen Raum, gibt mit dem Titelsong seines (mit Partner Martin Kälberer entstandenen) siebten Albums die Antwort. Wir erleben die "Zeit der Deppen".
Dass er die bittere Wahrheit in wohlgefälligem Reggae verabreicht, macht sie erträglicher. Mitsingen werden Schmidbauers Fans sowieso ...