Persönliche Empfehlung Lied

Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Lied ab und begründet diese schriftlich.

DEZ 2005  Rainer Hannes, Baden-Baden

Rainald Grebe - Es ist gut

Ein Lied zu singen oder zu hören beim Einschlafen. Man kann Schafe zählen oder nach Pfadfinderart die guten Taten vorüberziehen lassen: „Hab drei Bestseller geschrieben und vier Staudämme gebaut, so viel Käse gerieben, so viele Ohren abgekaut.“ Aber hat das Abstrampeln was gebracht? Insgesamt und nachhaltig? Nö. „Ich hab wieder nicht die Welt gerettet. Dann macht‘s halt ein anderer.“ Und es kommt auch kein Wölkchen angeflogen: „Wann kommt der Sandmann mit dem Sand und fährt mein Boot an die Wand?“ Also muss ein Sprüchlein her zur Selbstsuggestion, eines, das aufbaut, wegschiebt, vergessen lässt, versöhnt, den Ball flach hält, in den Schlaf schickt. „Es ist gut, es ist gut, es ist gleich vorbei, kein Tamtam und kein Heiopei.“

Das Lied ist komisch und melancholisch, die Mischung stimmt, die Reime überraschen (eigentlich immer bei Grebe). Und wenn es dann noch von jemandem gesungen wird, dessen Stimme immer ein bisschen daneben liegt, dann passt das auch. Nie daneben liegen übrigens die beiden Musiker Grebes (Martin Bauer und Marcus Baumgart) mit dem verheißungsvollen Namen „Kapelle der Versöhnung“. „Es ist gut“ - man kann das Lied auch morgens hören, aber dann könnte es einem auch etwas bitter aufstoßen. Doch das wollen wir ja alle nicht, oder?

Aus dem Presseinfo: „Rainald Grebe, 1971 in Köln geboren, betätigt sich seit 1989 als Autor, Comedian und Liedersänger. Anfang der 90er Jahre zog er in die neuen Bundesländer, um seine künstlerische Karriere zu verfolgen. ... Seit März 2005 spielen Rainald Grebe und die Kapelle der Versöhnung jeden letzten Montag in der Bar jeder Vernunft in Berlin.“

Im November wurde er für den Deutschen Kleinkunstpreis 2006 in der Sparte Förderpreis der Stadt Mainz nominiert. 

NOV 2005  Nikolaus Gatter, Köln

Leo Lukas - Won i amoe an Gipshaxn hob

Man habe gewiss nicht gerade auf seine, des Wiener Liedermachers, CD gewartet: So bescheiden wendet er sich an seine Rezensenten, Juroren und potenzielle Veranstalter. Doch, möchte ich widersprechen, gerade auf die Lieder des Leo Lukas habe ich gewartet. Seit den Endsiebziger Jahren schreibt der Bergarbeitersohn aus der Steiermark Glossen, Kinderbücher und SF-Heftchen der Kultserie „Perry Rhodan“. Nun beschreitet er die Liedermacher-Laufbahn mit einer Auswahl aus Programmen mit so anspruchsvollen Titeln wie: „Wie man Frauen glücklich macht“, „Was Männer wirklich brauchen“ und „Wohin die kleinen Kinder kommen“ - philosophische Grundfragen des Lebens, die noch immer der Aufklärung harren.

Mit Klampfe und drei Akkorden begnügt sich Lukas allerdings nicht: Im Verein mit einer exquisiten Combo aus Jazzgitarristen, Bläsern und Schlagzeugern spielt er virtuos auf so originellen Instrumenten wie „Pizzaschachtel“, „Taschengewitter“ und „Geodreieck“. In die Liederbestenliste gelangte bereits der hübsche Wortspiel-Kalypso „Bittdigorschn“ aus der gleichen CD. Am 24. Oktober wurde Lukas überdies noch mit dem österreichischen Kabarettpreis „Karl“ ausgezeichnet. In seiner Vita beruhigt mich der Satz: „Die Ergebnisse meiner letzten Gesundenuntersuchung waren sehr beruhigend.“ Denn als ihn sein Schularzt, ein gemütlicher, schlagender Burschenschaftler, gegen Tuberkulose zu impfen vergessen hatte, verbrachte Lukas fünf Monate in einem Lungensanatorium.

Das muss den Künstler nachhaltig geprägt haben. Wenn es nach dem Lied geht, das ich Euch und Ihnen besonders ans Herz lege, schlüpft Lukas gar nicht ungern in die Patientenrolle. Die eigene Immobilität schamlos ausnutzend, terrorisiert er dann seine Umgebung. „Won i ameo an Gipshaxn hob“, d. h. wenn er mit geschientem Bein zu Hause sitzt, muss ein neues Teleobjektiv her. Damit wird die Nachbarschaft durchs Fenster zum Hof überwacht, wie in Hitchcocks Klassiker. Bei Mord und Totschlag freilich bleibt der Polizei-Notruf unbehelligt, „wal i jo an Gipshaxn hob“. Der Zivildienstleistende, der das Essen auf Rädern bringt, ihn frisiert und rasiert, kriegt kein Trinkgeld, denn der Kranke kann ja nicht zur Schublade gehen.

Und wenn das Fräulein Mattuschka, Studentin der Sozialarbeit, mit Bier, Videos und Knabbereien zu Besuch kommt und „a bissl nett“ ist, muss sie das meiste dabei tun. Aber trübsinnig werden, das will Leo Lukas vermeiden, da schneidet er sich den Beingips lieber ab und geht mit seinem Krankengeld und fährt zum Abendessen ins Steirereck. Dort begrüßt er dann mit seinem ganzen k.-u.-k.-Charme den behandelnden Arzt Dr. Fortell. Das alles wird so bräsig und cool, zum bundlosen E-Bass, mit nicht ganz absichtslos-parodistischen Fleetwood-Mac-Reminiszenzen vorgetragen, dass man unwillkürlich an Slowhand und Slow Food denken muss.Ein kleiner Aufruf, ruhig mal alle Viere oder wenigstens ein Bein auszustrecken und sich nicht verrückt zu machen in einer arbeitswütigen Welt, deren Hektik Leo Lukas in seinen Liedern, die übrigens auch Nicht-Wienern verständlich sind, heraufbeschwört. Faulkrankheit, Tunix oder blauer Montag, wie es früher genannt wurde: Solch ehrwürdiges Brauchtum zu pflegen ist das Herzensanliegen dieses bedächtigen Philosophen, und nicht nur, wenn man mal „an Gipshaxn“ hat.

OKT 2005  Ulrike Zöller, Pellheim

Dota und die Stadtpiraten - Nichts Neues

Eigentlich ist es ein völlig unprätentiöses Lied, aber es zeugt und überzeugt von Dota Kehrs Talent, Alltägliches in einer leichten, aber gekonnten Sprache zu beschreiben. Sie regt zum Nachdenken an, ohne, das es anstrengend wird. Die leichte und flockige musikalische Umsetzung macht das Lied zu einem Hörgenuss (wie auch die meisten anderen Titel ihrer CD Blech und Plastik).

SEPT 2005  Petra Schwarz, Berlin

Duo Sonnenschirm - Brief aus Bagdad

„Brief aus Bagdad“ – schon der T i t e l dieses Songs lässt mich aufhorchen, noch bevor ich ihn gehört habe. Auch, weil er – eher Sonnenschirm-u n t y p i s c h – in aller Kürze (die Titellänge bewegt sich im einstelligen Minutenbereich unter fünf!) eine ziemlich direkte politische Aussage vermuten lässt. Nach dem Hören ist klar: dem ist so! Und zwar – absolut Sonnenschirm-t y p i s c h – in brachialromantischer Weise.

Die beiden Multitalente Dieter Beckert und Jürgen B. Wolff machen seit knapp zwanzig Jahren „Brachialromantik“. So bezeichnen die beiden in Sachsen Lebenden ihre Kunst selbst. Was das ist? Kaum zu beschreiben. „Das Duo Sonnenschirm zu erleben, ist die einzige Art, sie zu verstehen.“ So hat es jüngst ein Zeitungskollege über Duo Sonnenschirm geschrieben. Wohl wahr!

Live kann man das Duo Sonnenschirm derzeit mit ihrem aktuellen Programm „laut & live: Wenn der Poet den Affen laust“ erleben, und die neue CD ist dann auch ein live-Mitschnitt, aufgenommen im April 2005 in Leipzig und Delitzsch.

Text und Musik sind wieder in Zusammenarbeit von Beckert und Wolff entstanden. „Grade auf dem ,Humor-Sektor‘ schreiben oft Leute gemeinsam, von Monty Python bis zum Harald-Schmidt-Hangar....“ lassen Beckert/Wolff wissen. Und weiter: „Uns ging es allerdings nicht so sehr um vordergründige Gags, sondern ums tiefschürfende quasiphilosophische Knispeln, genannt ,Hirnsalzraspeln‘.“

Was die musikalische Seite des „Briefs aus Bagdad“ betrifft: unüberhörbar sind orientalische Anklänge, dargeboten auf Instrumenten wie der „Chromatischen Bin-Lade“, einer Thüringerwald-Zitter und einer Blasluftika in Karl-Marx-Städter Tonlage. Auch das ist t y p i s c h Duo Sonnenschirm.

Der „Brief aus Bagdad“ kommt von einem polnischen Soldaten, „Brieffreund“ von Beckert/Wolff, der – so betont dieser: nicht zaudernd – unter rostendem Stahlhelm und braun darunter vorlaufenden Schweiß – den Frieden im Irak schützt. Einen brüchigen Frieden, wie wir wissen. Nach wie vor erreichen uns beinahe täglich Nachrichten von Anschlägen mit Toten aus dem Irak. Brachialromantisch klingt das so:

„Unsere Waffenbrothers, die tun mir leid.
In ihren Jeans kommen sie meistens nicht weit.
Und in der Regel nie mehr zurück.
Allenfalls von manchem ein Stück.“

Und gleich setzt das Duo Sonnenschirm brachialromantisch noch einen drauf:
„Mit jedem Rums-feld die Weltmacht vom Sockel“

Zu guter letzt betont besagter polnische Brief-Freund:
„Wir schützen den Frieden, ein Hoch unserm Herrn.
Für seine Erdölung tun wir das gern.“

Eben: eine ziemlich direkte politische Aussage! Zum immer wieder Hören sehr zu empfehlen!!!

AUG 2005  Karl-Heinz Schmieding, Saarbrücken

Sascha Gutzeit - Mein bester Song

Erfahrungsgemäß haben gesellschaftskritische und politische Lieder bei der Liederbestenliste eher eine Chance, in die engere Wahl zu kommen als reine Liebeslieder. Diese naturgemäß privaten, von großen Emotionen handelnden Songs werden offenbar besonders kritisch beurteilt, weil gerade sie nicht immer frei sind von falschen Tönen und unzeitgemäßem Pathos.

Umso mehr freut man sich, wenn man plötzlich ein ziemlich unorthodoxes Liebeslied entdeckt, das in seiner einfachen und ungekünstelten Sprache und in seiner selbst-ironischen Pointierung genau den Ton trifft, der einem für ein modernes Liebeslied angemessen erscheint. "Mein bester Song" ist in der Tat eines der schönsten Lieder auf der neuen CD des Singer/Songwriters und Rockmusikers Sascha Gutzeit. Die nähere Erläuterung für diese Titel-Wahl liefert der vielseitige Künstler - er ist daneben auch Schauspieler, Tänzer und Hörspiel-Autor - im Refrain des Liedes mit dem wortspielerischen Bekenntnis: "S i e ist alles, was ich hab", ich schreib" alles andere ab und meinen besten Song für sie ...".

Die direkte, schnörkellose Sprache des "lyrischen Ichs" beschreibt die Vorzüge der Angebeteten vordergründig mit scheinbar banalen und bewusst komischen Formulierungen wie " ... wenn es mal Durchzug gibt, ja dann macht sie die Tür zu" oder " ... und koch ich über, zieht sie mich vom Herd". Und dennoch ergibt die Gesamtheit solch profaner, "unromantischer" Einzelheiten ein Liebeslied von beeindruckender Authentizität. Eine ganz entscheidende Rolle spielt dabei die betont schlichte und doch zugleich raffinierte musikalische Form. Sie macht die ungewöhnliche Liebeserklärung zu einem kleinen Song-Kunstwerk. Gutzeits Stimme harmoniert hervorragend mit dem melancholischen Dialog von Flügelhorn und Klavier. Und der eigentümlich schlichte "Wohnzimmer-Klang" des Klaviers, der so gar nichts von gelecktem Studio-Sound hat, gibt dem Song eine zusätzliche private und authentische Note. Übrigens wurde das Lied, wie alle anderen Songs dieser in jeder Hinsicht bemerkenswerten CD, in einem alten Straßenbahnwagen im Depot des Straßenbahnmuseums Wuppertal-Kohlfurth aufgenommen - bis auf den Klavier-Part: der wurde, von Sascha Gutzeit selbst, tatsächlich in einer Privatwohnung eingespielt. 

JULI 2005  Stephan Rögner, Frankfurt/Main

Katja Ebstein - In diesem Land

Katja Ebstein erzählte mir mal, sie habe - damals in den Sechzigern in Berlin - Rudi Dutschke gelauscht. So ein Zuhören - auch wenn man später manche Meinungen nicht mehr teilen kann - prägt fürs Leben. Es führte sie auch auf Burg Waldeck im Hunsrück, wo sie erst 2004 erstmals auf der Bühne stand, wo aber ihre Karriere begonnen hatte.

Das ging mir durch den Kopf, als ich ihre CD mit ihrem Mädchennamen "Witkiewicz" hörte. Und wer beim Namen Katja Ebstein nur an "Wunder gibt es immer wieder" denkt, der sollte sich mal den Text des Liedes "In diesem Land" gleichsam auf der Zunge zergehen lassen. Da stecken die Erfahrungen der Sechziger drin. Damals wurde man als links abgestempelt, wenn man sagte, es könne sooo nicht endlos weitergehen. Heute haben wir wirtschaftlich die Quittung. Auch Qualität ist nicht mehr deutsches Attribut. Das gilt im wirtschaftlichen Sektor ebenso wie im kulturellen und schöngeistigen Bereich.

Katja Ebstein stand immer zu dem, was sie sang, auch in der Welt des Europäischen Schlagerwettbewerbes Grand Prix Eurovision. Sie hat immer Impulse gegeben. Auch mit ihrem "Krisenschlager", wie ihr neues Chanson manchmal genannt wird: "Jetzt vereint in der Angst / um die Zukunft in diesem Land."

Auf mich wirkt Katja Ebstein, steht sie auf der Bühne, zerbrechlich, ja fließend. Aber die selbstbewusste, leichtfüßige, biegsame Frau strahlt mit ihrem Charisma eine solche Überzeugung und innere Kraft aus, dass sich die scheinbare Zerbrechlichkeit in Stärke verwandelt. Da wird deutlich, dass für sie Schwäche nicht gilt, auch nicht "Vorhang zu, Glotze an! / Denn so sieht Flucht aus in diesem Land."

Und es gibt noch eine Zeile, die mir besonders gut gefällt. Das ist die von der Fremden, die Hoffnung heißt. Das bedeutet neues Denken, neue Ideen, auch neue Kultur. Früher ging gen Ostland unser Ritt, das war immer so, bei den Kreuzzügen und beim Zweiten Weltkrieg. Erobern, indoktrinieren, das waren die Ziele. Heute sind wir auf Fremde und das Fremde angewiesen und sind erstaunt, wenn Fremde das machen, was wir jahrhundertelang praktizierten. Ich will hier bewusst nicht auf die Weltpolitik mit ihrem Terrorismus verweisen. Unsere Welt ist klein geworden. Entfernungen zählen nicht mehr. Ich ziele auf die gesellschaftlichen und mit- und zwischenmenschlichen Beziehungen, auf das Fühlen des Einzelnen, von Lieschen Müller, des "kleinen Mannes". Ich jedenfalls denke, höre ich das Wort "Fremder" oder "Ausländer", an Sushi und an die französiche Küche. Und ich freue mich sehr, weil ich bald an der Schweizer Grenze nicht mehr meine Kennkarte zücken muss.

JUNI 2005  Ingo Nordhofen, Witten

Bernie Conrads & Pankraz - Auge um Auge

Schon wieder ein Anti-Bush-Song!?! Ja und nein - wenn man nur oberflächlich hinhört, scheint das richtig. Aber so, wie es hier gemacht wurde, ist es schon mehr. Dass Conrads als Beispiel den so genannten „Anti-Terror-Kampf“ der Bush-Administration gewählt hat, dürfte wohl eher an der Offensichtlichkeit liegen, mit der hier gelogen wird, um eigene Interessen hinter hehren Zielen zu „verbergen“. Bernie Conrads singt davon, wie sehr sich unsere Welt in den letzten 30 Jahren verändert hat; wie wenig heute noch stimmt von dem, was wir als Kinder gelernt haben; wie wenig noch gültig ist von dem, was wir als Jugendliche und junge Erwachsene vertreten haben; wie sehr alle Werte, die uns einmal wichtig waren, auf den Kopf gestellt, manipuliert, in den Dreck gerissen und zerstört wurden (und immer wieder werden). Und das gilt ja nicht nur für die Überfünfzigjährigen, das merken heute schon die Fünfundzwanzig- bis Dreißigjährigen. OK, das Thema ist nicht neu, und viele haben sich daran versucht. Was also macht das Stück „Auge um Auge“ von Bernie Conrads empfehlenswert?

Nun, das Stück ist mit viel Verstand aus dem Bauch heraus geschrieben worden, also keine Kopfgeburt. Conrads singt nicht über etwas, er teilt seine Gedanken mit, und er singt, was nur den wenigsten Sängern und Liederschreibern gelingt, mit dem Herzen. Keine moralinsauren Ergüsse, kein mahnend erhobener Zeigefinger - die Fragen, die er stellt, die Beobachtungen, die er macht, die Schlüsse, die er zieht, sie wirken naiv einfach in der heutigen Welt, die durch immer komplexere Zusammenhänge und Verflechtungen so unentwirrbar kompliziert erscheint. Gerade deshalb aber sind die einfachen Fragen vielleicht die wichtigsten. Conrads scheut sich nicht, als Mittfünfziger immer noch das Kind in sich leben und nach des Kaisers neuen Kleidern fragen zu lassen. Das rührt an und gibt zu denken.

Bernie Conrads war schon immer einer der besten Liederschreiber und -sänger in Deutschland. Legendär seine Zeiten als Kopf von Bernies Autobahn Band. Mit der Gruppe Pankraz hat er wiederum eine Combo gefunden, die seinen Liedern die adäquate Begleitung bietet. Wie schön, dass er nach langen Jahren endlich wieder auch als Interpret seiner Stücke auftritt. Dem Titel „Auge um Auge“ und überhaupt dem Album Drei Flaschen Mondschein wünsche ich viele, viele Zuhörer!

MAI 2005  Renate Burtscher, Wien

Ganz Schön Feist - Irgendwas is’ doch

Die Stimme von Frontmann und Texter Mathias Zeh hat in seiner Parlando-Singweise so etwas raffiniert Beiläufiges und ist doch vom Timing und Ausdruck sehr präzise. Die beiden Mitspieler Rainer Schacht und Christoph Jess fügen sich geschmeidig ein - "Geschmeidigkeit" ist überhaupt, so altmodisch das Wort auch ist, ein passendes Attribut für die drei Popacappellisten aus Göttingen. Noch dazu haben sie eine gute Portion Humor und Kabarettqualitäten aufzuweisen. Zu Recht, wie ich finde, wird Ganz Schön Feist im Mai mit dem Salzburger Stier 2005 ausgezeichnet, der renommierte Radiopreis wird in Meran/Südtirol verliehen.

Ganz Schön Feist ist wohltuend unaufdringlich, die musikalischen Sätze nicht überladen, der akustische Einsatz von Summen, Schnalzen, Säuseln und anderen vokalen Spezialitäten ist gut dosiert, gekonnt. Die Songs sind was für Hirn und Herz und machen auf feine Art und Weise gute Laune. Kompliment an den Soundingenieur Rolf Dressler.

APR 2005  Peter Eichler, Leipzig

Mathilda - Audrey Hepburn

Sie liegen eng beieinander - Glamour und Armut. Der Schritt vom Kunden der Deutschen Bank zum Bewohner einer Parkbank kann ein ganz kleiner sein. Und wer dort einmal angekommen ist, für den ist es schwer sich, wieder zu erheben. Der Song "Audrey Hepburn" der Berliner Band Mathilda erzählt eine Geschichte von Traum und Wirklichkeit - eine Geschichte, die so bitter ist, weil sie so ausweglos scheint.

Und sie ist so furchtbar menschlich. "Audrey Hepburn" beginnt wie eine Romanze: "Heute Abend putze ich mich heraus, werde rote Lippen tragen. Sieht sie nicht wie Audrey Hepburn aus? werden die Männer sagen". Und sie endet im tragischen Alltag: "Dort an der Ecke warten schon alle, auf dem Vorplatz vom Supermarkt: Willi und Fred und Sechsämterkalle, wo tagsüber die Kundschaft parkt."

Es ist die Wendung in diesem Lied, die berührt. Eben haben wir noch die Kindfrau, die moralischste aller Hollywoodschönheiten vor Augen und im gleichen Atemzug die Mitmenschen, die unsere Gesellschaft zu Verlierern macht. Und wir wissen: es gibt nur selten einen Ausweg, fast nie einen Weg zurück von der Parkbank.

"Audry Hepburn" ist eine von 14 Geschichten, die Mathilda auf ihrer ersten CD "Supersexy rational" erzählt. Andere Schlaglichter beleuchten das Paarungsverhalten der Philosophen, Lebensüberdruss oder das Verbraucherverhalten der Mitbürger jenseits der 60. Über allen Songs weht eine leise Melancholie, die in unserer erfolgsorientierten lauten Zeit so angenehm ist.

MÄRZ 2005  Matthias Inhoffen, Stuttgart

Konstantin Wecker - Vom Sinn

Das soll ER sein? Es fällt schwer zu glauben, ehrlich. Ein trudeliges Saxofon, dann Perkussion, die beinahe brasilianisch beschwingt anmutet, schließlich eine Stimme, die etwas murmelt vom Sinn, der so gar nicht leicht zu fassen ist, der sich ziert und verkleidet und entfleucht ... ja, klar, er ist’s, Konstantin Wecker, die Liedermacher-Ikone, der singende Kraftkerl mit dem romantischen Herzen, der so gern das Leben im ständigen Fluss beschwört, aber von den Verhältnissen doch immer wieder auf die Anklage starrer Hierarchien und verkrusteter Strukturen verwiesen wird.

Jetzt aber: Wecker swingt! Und jongliert mit dem Sinn, als wär"s ein Stück aus einem fröhlich-unbeschwerten Suchspiel unter Kindern. Das passt formidabel in den Kontext der neuen CD "Am Flussufer", auf der sich auch die schöne - zugegebenermaßen etwas pathetischer vorgetragene - Zeile findet: "Es tut gut, sich sein zu lassen" (in "Schlendern"). Dass es, wie ich finde, das seit langer, langer Zeit strahlkräftigste, rundeste und anrührendste Wecker-Werk geworden ist, mag auch daran liegen, dass er sich bei der Aufnahme quasi in einem Musiker-Schlaraffenland, in Leslie Mandokis Park Studio am Starnberger See befand. Es mag an seiner blendenden Band und den engagierten Gästen liegen - und nicht zuletzt an Weckers Einsicht, dass seine Stimme bei einer Live-im-Studio-Aufnahme einfach am besten und überzeugendsten, am spannendsten und entspannendsten klingt.

"Vom Sinn" wirkt in dem Liederreigen "Am Flussufer" wie ein Zwischenspiel, wie eine spontan improvisierte Lockerungsübung, und es ist vielleicht kein Zufall, dass Wecker auf seiner Homepage jeden einzelnen neuen Song kommentiert, nur diesen nicht. Dabei lässt sich hier viel lernen: Wir erhalten einen Einblick in die Schaffensnöte eines hoch begabten Poeten ("... existenzielle Schwere beschränkt mich, und dann hilft kein Fluchen, denn dann muss ich suchen, muss in Sätzen wühlen, stecke knietief in Gefühlen, leg mich auf die Lauer, werd" kein bisschen schlauer ..."). Und wir nehmen staunend teil an den Sehnsüchten und Visionen dieses Münchener Liedermacher-Monuments: "Ohne Hintergrund kreieren, mit Metaphern jonglieren, ... mit billigen Schmieren auf Bühnen brillieren, trivialisieren, semantisch masturbieren. ... Und auf einmal wird mir angst und bange. Vielleicht tu" ich das ja alles schon lange." So viel ironischer Abstand hat einfach etwas Befreiendes. 

FEB 2005  Danuta Görnandt, Potsdam

Fink - Eismann

Wenn das also immer noch deutsche Countrymusik ist, dann bitte sehr... Nach der "Vogelbeobachtung im Winter", der ersten CD von Fink, scheint die Band aus Hamburg wieder einmal mit dem richtigen Lied zum richtigen Zeitpunkt zur Stelle zu sein. Der "Eismann" kommt nicht nur in dem Moment, wo der deutsche Winter im Flachland noch kurz erscheint, der "Eismann" wird uns auch im Sommer noch freundlich im Ohr klingen. Denn auch dieses Lied von Fink ist durchaus hintergründig und setzt in Richtung "Eis" so manche Vorstellung in Gang. Scheinbar lapidare Alltagsbeobachtungen zu poetischen und zugleich griffigen Songs zu verarbeiten - das ist eine seltene Gabe und Texter, Sänger und Gitarrist Nils Koppruch scheint sie zu besitzen. Fink gelingt mit diesem Lied zudem auch musikalisch eine originelle Kombination aus Elektro-Bepop und deutschem Liedgut … ob nun mit oder ohne Cowboyhut. 

JAN 2005  Holger Beythien , Berlin

Dragseth Duo - Ströntistel

Sie sind wieder da. Kalle Johannsen und Manuel Knortz, das Dragseth Duo. Jene beiden Herren aus Nordfriesland, die in den 80er Jahren als plattdeutsches Liederduo vor allem mit ihren Vertonungen Storm"scher Gedichte weit über Norddeutschland hinaus bekannt geworden und späterhin - leider - in der kreativen Versenkung verschwunden waren. Nun sind sie wieder da.

Nicht nur auf Konzerten und im Rundfunk kann man sie seit einiger Zeit wieder erleben, es gibt auch eine neue CD. Und die haben sie nicht alleine gemacht. Sich bewusst machend, dass Nordfriesland und Südjütlands Westküste durch die politischen Wirren ihrer gemeinsamen Geschichte mal deutsch und mal dänisch waren und somit noch heute durch gemeinsame kulturelle Erfahrungen miteinander verknüpft sind, haben sich die beiden Musiker mit der dänischen Band Drones & Bellows zusammengetan. Fasziniert von der Sprachenvielfalt ihrer Heimat - in diesem kleinen nördlichen Grenzgebiet von 50 km Ausdehnung gibt es fünf verschiedenen Sprachen - wollten sie diese "lebendigen" Sprachen in einem gemeinsamen Projekt dazu benutzen, "die Sitten und Gebräuche, Sagen und Geschichten, Stimmungen und Gefühle unseres schönen Marschlandes zu beschreiben." Und das ist ihnen gelungen.

Ganz besonders hat es mir ein Lied angetan, das ich bereits mehrfach in Konzerten des Dragseth Duos hören konnte: "Ströntistel". Zugrunde liegen zwei Gedichte des friesischen Dichters Jens Mungaard, der in Keitum auf Sylt lebte und 1940 an den Folgen seiner Inhaftierung im Konzentrationslager Sachsenhausen starb. Er war nämlich, so das Dragseth Duo, einer der "wenigen Nordfriesen, die den Mut hatten ihre Stimme gegen die Nationalsozialistische Gewaltherrschaft zu erheben. Man erteilte ihm Schreibverbot, über das er sich jedoch hinwegsetzte… ." In dem Lied "Ströntistel" - in Mungaards Muttersprache Sölring gehalten - vergleicht sich der Dichter mit der Stranddistel, jener dornigen Blume, die abseits im Dünensand und dennoch wächst und blüht... .

Die Melodie ist wohltuend schlicht, eher im Volksliedduktus gehalten, das Arrangement filigran sparsam, beinahe introvertiert und die dänischen Kollegen geben sich mit hörbarer Zurückhaltung kongenial mit ein. So wird es ein gemeinsames Lied von Dänen und Deutschen. Uneitel kommt es daher, unaufgeregt und überhaupt nicht moralistisch. Ich wünschte mir in der Liederszene mehr solcher so genannter "leiser" Lieder. Deshalb empfehle ich: "Ströntistel" von und mit dem Dragseth Duo und Drones & Bellows (und wieder mal eine Reise zu diesem herrlichen Fleckchen Erde).

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