Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Lied ab und begründet diese schriftlich.
Ein treibender Rhythmus; irgendwie ruppig; ein Refrain, der von Kurt Weill sein könnte, so kommt das „Lied von der schlafenden Armut“ daher. Überhaupt nicht schläfrig und ziemlich raumgreifend, dieser schlafende „Goliath“ inmitten der „kleinen“ Stadt-Silhouette - auch eindrucksvoll auf dem Cover gezeichnet...
„Das Unrecht läuft heute in feineren Kleidern und tötet leise per Unterschrift...“ Aber: das nützt nichts, schon gar nicht dem Unrecht, „das sehr überzeugend bedauern“ kann. Denn: „Es werden die Krüppel, die Bettler, die Alten, es werden die, die ihr fortwerft wie Dreck, plötzlich erscheinen in euerer kalten Welt aus Bilanzen, Konto und Scheck.“
Ganz klare Worte, eindrückliche Bilder (z. B. „Buckelrücken des Geldes“) und diese ruhelosen Klänge - unbarmherzig der Angriff gegen die Schönen und Edlen, „die immer Gerechten“. „Ein Punk der Songwriterszene“, so bezeichnet sound-and-image.de den Protagonisten Heinz Ratz und das ist er zweifelsohne. Den muss man hören!
Die Lagerfeuer dieser Welt brauchen neue Lieder. Ein Vorhaben, das Rainald Grebe, der Buster Keaton des 21. Jahrhunderts, mit dem Versuch Volkslieder zu schreiben, nachkommt. Er sei dabei noch am Anfang, meint er, aber manchmal sei er zumindest vom Ansatz her schon nah dran. „Massenkompatibel“, eines der Herzstücke des Albums Volksmusik ist laut Grebe so ein Fall von Lagerfeuererprobtheit. Ein großes Lied, fürwahr. Die Hartnäckigkeit der Einsamkeit ist das Thema, erzählt und gesungen in der Ich-Form. Über einen, der nicht versteht, warum die Leute um ihn einen Bogen machen. Über einen, dessen Lehrer sagten, dass seine Zukunft eine chancenlose sei, und selbst seine erste Freundin verließ ihn bereits nach einem Tag.
Dabei wollte er doch immer nur das Beste sein, „das Beste aus den 70ern 80ern 90ern“, denn, so wird trotzig, quasi sich selbst Mut machend, gesungen, „Ich bin das Beste von heute/ich bin massenkompatibel“. Eine einfache Liedstruktur ummantelt den Text, der sich im Laufe des Liedes ebenso steigert und aufbaut, so wie sich die Instrumentierung bis zum großen Rockpathos aufbauscht, um danach wieder in sich zusammenzufallen. Textpassagen wie „
Ich bin Phil Collins
ich bin mit ihm verwandt
wir ham denselben Hausarzt
ich bin gut mit ihm bekannt
Wir hören dieselbe Musik
Wir haben dieselben Gefühle
Er hat auch ein Bild von mir
Über seiner Spüle“,
oder
„Denn wo 2 oder 3 versammelt sind
Bin ich mitten unter ihnen
Dieser Satz von Jesus
Der is mir immer schon popelig erschienen“,
werden ausdrucksstark in den Mittelpunkt gestellt. „Massenkompatibel“ ist ein einfaches Lied. Einfach ein gutes Lied.
Der 1959 geborene Steiermärker Leo Lukas durchschritt, wie so viele seiner Kollegen, ein Theologiestudium - eine wunderbare Voraussetzung für Sänger und Kabarettisten; wird hier doch die Fähigkeit vermittelt, Unglaubliches als Wahrheit zu präsentieren und Fragen an das Leben zu stellen. Ach ja, eine Mission sollte auch noch ein Rolle spielen, eine Botschaft, die glaubhaft vermittelt wird.
Man muss sagen: Leo Lukas nahm sein Amt ernst: Auch wenn er das Studium nach ein paar Semestern abbrach, schlägt sich die Ausbildung heute noch in allen Facetten seines Tuns nieder: Bei seinen Kindermusicals lässt er die Kindlein zu sich kommen, und beim Verfassen von Perry Rhodan verbreitet er (Science-) Fiktionen der Zukunft. Dazu kommt ein ausgesprochenes Talent für die Inszenierung seiner eigenen Veranstaltungen - und seiner eigenen Musik. Von Cajun bis Blues, von Jodel bis Rock ist ihm kein Stil fremd, wenn es nur darum geht, seine Lieder in Szene zu setzen. Seine große Stärke liegt aber im Einfachen: Wie auch bei dem von der Liederbeste-Jury goutierten Lied „Sehr geehrter Islam“ reduziert Leo Lukas sich immer dann auf einfachste Melodien und Rhythmen, wenn er besonders bissig sein will.
Sein Meisterwerk „Und wer in Sibirien geboren ist“ treibt das musikalische Understatement auf die Spitze: Umrahmt von Xylophon und Bass und zur Melodie des Trinkliedes „Und wer im Januar geboren ist“ zählt Leo Lukas die Risiken auf, die die in Kinshasa, Tschernobyl, Afghanistan oder in Israel Geborenen mit der Wahl ihres Geburtsorts eingehen.
Er hält damit uns ewig Unzufriedenen den Spiegel vor - nicht ohne darauf hinzuweisen, dass in Patschrums am Teixelsee zwar der Wohlstand in Form einer Playstation und Mickymausheftln herrscht, dafür gibt es den besoffenen Onkel, der die Zigaretten auf dem Rücken des Neffen ausdrückt. Ist die Welt daheim besser als in den Katastrophengebieten der Welt? Man wird ja noch fragen dürfen - und diese subtil bissige Frage bringt Leo Lukas so locker flockig daher wie eine Rose, die einen Furz lässt und damit die Welt auf den Kopf stellt.
„Theodor Kramer, einer der am meisten, wenn auch oft nur heimlich bewunderten Lyriker des 20. Jahrhunderts, überzeugter Sozialist und Offizier im Ersten Weltkrieg, wurde von seinen Genossen angefeindet, weil er über die Schönheit der bereiften Baumkronen aus der Perspektive eines winterlichen Schützengrabens geschrieben hat. Als ob es über den Weltkrieg nichts Wichtigeres zu sagen gäbe für einen Sozialisten! Aber eben: durch die Kunst des Lyrikers wurde der Leser in einen Schützengraben versetzt. Da setzt es ein, was man, wenn man schon so will, als Effekt von Kunst notieren kann.“ Diese Aussage stammt von Christof Stählin. Und der Leipziger Schriftsteller und Liedermacher Dieter Kalka, aus der ehemaligen DDR kommend, philosophiert über Missverständnis und Untergang „mit dem Land, das wir oft so gar nicht liebten ...“ und über tatsächliche und vermeintliche Nostalgie in Liedern: „Es ist Kraft und Phantasie. Es ist Liebe, Leid, Witz und schwarzer Humor“, und er fragt: „Was macht ein Chanson aus? Oder ein Lied?“ Und im nächsten Satz schon gibt er eine Antwort: „Und wir haben gemeinsame Nenner gefunden: einer heißt Theodor Kramer.“
„Der Traum vom vergessenen Mann“ ist die reflektierende Geschichte eines traumatischen Erlebnisses aus dem Ersten Weltkrieg: Im Amulett des toten Kameraden liest ein Soldat den eigenen Namen. Das Arrangement des ehemaligen Liederjan-Mitglieds Rieck und des Cellisten Jens Naumilkat insbesondere bewirkt zusammen mit dem Text Kramers die Emotion, von der Stählin spricht, und die man beim Hören des Liedes fast körperlich spürt. Man möchte aufspringen. Man ist eben plötzlich inmitten eines Geschehens, das fast jedermann aus Erich Maria Remarques Antikriegsroman Im Westen nichts Neues (1929) kennt. Und Theodor Kramer zählt zu den Lyrikern, denen sich heute immer wieder komponierende Liedermacher widmen.
Lieder können Gewalt auf der Erde gewiss nicht verhindern. Sie können vielleicht mitunter den einen oder anderen Menschen dafür sensibilisieren, auch über Folgen nachzudenken.
Vielen ist Bernd Köhler unter seinem Künstlernamen Schlauch bekannt, unter dem er in den siebziger und achtziger Jahren einige LPs mit Aktionsliedern veröffentlichte. Eine davon - Schlauch Live-Das Hartmannstraßenkonzert 1989 - ist als CD wieder erhältlich. Unter dem Titel Die neue Welt hat Bernd Köhler jetzt eine neue CD mit 12 Songs vorgelegt, die auch eine absolute CD-Empfehlung wäre. Doch da ich nun einmal mit einer Lied-Empfehlung dran bin, muss ich mich mit einem Titel begnügen. „SOS“ heißt das Stück, das ich empfehlen möchte. Ein in Inhalt und Form beeindruckendes politisches Lied. Mehr gesprochen als gesungen, und eindrucksvoll musikalisch unterstützt von Christiane Schmied von seinen ewo2-Mitstreitern Christiane Schmied und Hans Reffert, geht das Lied auf ein Ereignis im letzten Jahr in der Bretagne zurück: „Ausgangspunkt war“, so Bernd Köhler, „eine groß aufgemachte, mehrseitige Berichterstattung über die aufwändige Rettung von Schiffbrüchigen in der damaligen Tageszeitung und die gleichzeitige, wenige Zeilen lange Notiz über die Schließung einer Fischverarbeitungsfabrik, deren Beschäftigte vor dem Nichts standen.
Es gibt Pannenhilfen für die Straße, Rettungshubschrauber für Unfälle, den THW für Katastrophen und ein internationales, eingespieltes Rettungssystem für den Fall SOS. Die gesellschaftliche Struktur in den Metropolen ist mit einem engmaschigen Netz unterschiedlicher Hilfeleistungen ausgelegt, das nur dann seine Wirkung verliert, wenn es grundsätzlich wird, sagt Bernd Köhler über sein Lied. Ein Vater, der sein Kind schlägt, kann zu Recht bestraft werden; ein Unternehmer aber, der aus Profitinteressen ein funktionierendes Unternehmen zerschlägt und die Belegschaft ins soziale Elend fallen lässt, gilt als kluger Geschäftsmann, wird mit steigenden Aktien und gesellschaftlicher Anerkennung belohnt. Das ist krank, so krank wie ein funktionierendes Schiff samt Ladung und Mannschaft zu versenken.“
Mit „SOS (in voller Fahrt)“ ist Bernd Köhler eine wunderbare Parabel gelungen, mit der er eine Gesellschaft anklagt, deren Definition von Freiheit bedeutet, „dass
jeder kann wie er will.
wenn er nur kann und wenn er nur will.
was ist ein menschenleben wert in diesem ungleichen krieg.
die fäden werden im hintergrund gezogen.
übergeordnete interessen diktieren die regeln auf den schlachtfeldern
und wir lassen uns immer wieder rekrutieren.
rechtlos, vogelfrei, irgendwann dann versenkt – im friendly fire.“
Ich gestehe: Ich bin Wenzel-Fan. Mit Spannung und Vorfreude erwarte ich jedes neue Album des Künstlers und bin noch nie enttäuscht worden. Auch diesmal gelingt Wenzel mit der CD Glaubt nie, was ich singe ein Meisterwerk. Insgesamt sechzehn Lieder, die begeistern, und aus denen ich nun eines zur persönlichen Liedempfehlung auswählen darf (oder muss). Nach mehrmaligem Hören habe ich meinen Favoriten gefunden: „Tausend Tode“.
Es ist ein typischer Wenzel. Hier sind Privates und Allgemeingesellschaftliches in einem Liedtext vereint, aber ist nicht alles Private ohnehin ein Spiegel der Gesellschaft. In fünf Strophen erzählt Wenzel, dass es ein Wunder ist, dass er (und nicht nur er) noch am Leben ist. Das klingt nach Melancholie und nach Ironie. Das ist die Kunst Wenzels. Er träumt vom Weltfrieden, spürt den Hass der kahlen Schädel, trauert einer Beziehung nach, lässt seine Feinde Feinde sein und erfreut sich seiner Freunde. Optimismus siegt über Niedergeschlagenheit. Das Erstaunliche bei Wenzel ist, dass dies nie kitschig wird, weder textlich noch musikalisch. Das Lied geht ganz sanft los, wenn es dann ums private Abschiednehmen geht, lässt er es trotzig rocken, um zum Ende alles in einer ruhigen Sequenz ausklingen zu lassen. Das ist Poesie in Wort und Musik.
Mittendrin so ein Lied - mittendrin zwischen diesen knallhart präzisen Zeitgeistanalysen zum Zustand und zur Lage der Nation; mittendrin also und auf der einen Seite zwischen der Geschichte vom Alt-Umstürzler, der fast mal die Welt aus den Angeln hätte heben können und nun tatenlos vorm Edeka-Laden steht und anderen Leuten wie sich selbst beim Untergehen zusieht, und auf der anderen Seite (mit „Hemd auf, Brust raus“) einem Hartz-IV-Beratungsgespräch bei der Arbeitsagentur, wie es schlimmer nicht laufen könnte, mittendrin also zwischen lauter Gelegenheiten zum Bombenschmeißen und Feuerlegen ein einfaches Lied von der Liebe, vom Zusammensein und (mehr noch!) vom Zuhause.
Wenn wir nirgends mehr hin können: wo gehen wir hin? Davon erzählt „Alles hat seine Zeit“, ein Text von nachgerade jenseitiger Klarheit und Schönheit - „Jeder Wunsch will weit hinaus“ weiß das Lied, aber eben auch: „Lösch das Licht, du bist hier zuhaus"“. Das ganze über einen harmonischen Horizont gelegt, der Assoziationen mit noch größeren Meistern der Liedermacherei wecken kann: so einfach und doch im rechten Moment richtig gebrochen und angeschärft schreibt Randy Newman, so schön sentimental setzt Tom Waits Akkord an Akkord. Kleine Überlebenshymnen sind das oft - und dieser chronisch unterschätzte, konsequent jeder Mode sich verweigernde Freigeist aus Berlin, der schon wie aus anderen Zeiten in diese unsere Gegenwart herüber singt und klingt, dieser Maurenbrecher schreibt auch welche. Und hat vielleicht darum so vieles schon überstanden, ohne das eigene Ich zu verlieren.
Haltbare Hochachtung also für einen wirklich bedeutenden Künstler - und Beifall nicht nur, aber auch für dieses schöne Lied.
Leo Lukas, Jahrgang 1959, ist ein österreichischer Kabarettist, Regisseur und Schriftsteller. Seit 1984 arbeitet es als Kabarettist, schreibt aber nebenher noch Reisereportagen, Kindermusicals sowie Perry-Rhodan- und Atlan-Romane. Der „Bonobo Song“ entstammt seinem aktuellen Album Lebenslänglich, und ich bin fast sicher, dass er im Rundfunk höchstens zwischen 3.00 und 4.00 Uhr in der Nacht gespielt werden darf, denn er ist, gelinde gesagt, in seiner Wortwahl derb. Genau das ist es aber, was mir dieses Lied auf Anhieb sympathisch gemacht hat. Worum geht es?
Im schleppenden Rhythmus Nachtbar-geeigneter Musik (incl. Fingerschnipsen) räsonieren Lukas und seine Gesangskollegin Irene S. (ihren Nachnamen erfährt man nicht) über den aktuellen Stand der Menschheit: Überall nur Gemeinheit und Intrige, jeder kämpft gegen jeden, der Egoismus feiert fröhliche Urständ - wenngleich das alles natürlich nicht von Fröhlichkeit geprägt ist. Wie kann man das ändern?
Die Lösung findet Lukas bei den Bonobos. Diese auch Zwergschimpansen genannten Primaten sind, bei einer genetischen Übereinstimmung von fast 99%, wohl die nächsten Verwandten des Menschen. Das eine Prozent bedingt aber neben dem Aussehen noch einen weiteren gewaltigen Unterschied zum homo sapiens - bei Konflikten wird nicht massakriert, sondern kopuliert. Da können noch so viel Soldaten aller Länder für welchen Frieden auch immer kämpfen - „fighting for peace is like fucking for virginity“, wie ein gar nicht so dummer Spontispruch aus den Sechzigern sagt.
Und so lautet die Empfehlung natürlich: „Lasst uns ficken, bis die Erde bebt! Weil das die Gesundheit fördert und die gute Laune hebt. Das macht glücklich und zufrieden und ein heiteres Gemüt.“ Ein drastischer Rhythmuswechsel macht auch gleich hörbar, wie sehr sich die Laune bessert, und nun präsentieren uns Lukas und Irene S. in herrlich anarchischer Klarheit und, fernab jeglicher Verklemmtheit, unter Nutzung jeder Menge „schmutziger“ Wörter ihre Vorstellungen vom Umgang mit Konflikten: „Glaubt mir - ein dezenter Fick ist die einzige vernünftige Entspannungspolitik.“ Ja, mein Gott, Joschka, mit Condi nicht in die Kiste zu gehen, war das vielleicht dein größter Fehler? Andererseits, die Knutscherei von Breschnew und Honecker hat‘s auch nicht gebracht...
Wie dem auch sei, für Lukas ist die Sache klar: „Sei kein Aff, sondern make love, not war!“
Von einer wirklich großen Pause ist zu berichten: Nach über 20 Jahren kommt die Band Die Zimmermänner mit Timo Blunck und Detlef Diederichsen wieder auf die Musikbühne. Im Gepäck die Songs des gerade erschienenen Albums Fortpflanzungssupermarkt. „Die Zimmermänner“ ... nie davon gehört?! Ich auch nicht und lese den 1. Akt vor der Pause in den Infos aus Presse und Internet nach.
Anfang der 80er beschließen Blunck und Diederichsen in Hamburg, Popsongs in deutscher Sprache neu zu erfinden: sie sollten nicht wie der Deutschrock Udo Lindenbergs klingen und Bierdosen-Punk war auch nicht die Sache der beiden. Einige Singles und zweieinhalb LPs der Zimmermänner entstehen, darunter 1001 Wege Sex zu machen, ohne daran Spaß zu haben. Anfang 1985 ist Ende des 1. Aktes. Große Pause.
Der genannte LP-Titel lässt es anklingen: Ironie, Selbstironie, Grips und Witz wollten die beiden in die Musik bringen. Aber was immer in den 80ern war und wie schwer es auch war, sich mit solchen Ansprüchen in der Musikszene durchzusetzen - die Zimmermänner heute sind keine Wiedererweckungsband, die - weil‘s so schön war - mit ihren alten Songs daherkommt.
Ihre neuen „Fortpflanzungssupermarkt“-Songs (die ersten entstanden schon 1999) arbeiten sich an etwas ab, was ein Widerspruch in sich scheint, nämlich intelligente deutsche Popmusik zu machen („Pop“ im Sinne auch: für viele hörbar). „Herz schmerzt“ singt sich schnell, „Schmerz herzt“ kommt nach zwei Glas Rotwein. Aber wie die Zimmermänner zu fragen: „Warum schmust du nie mit meinem Gehirn?“ - auf diese Sache beim Turteln, Flirten, Lieben muss man erst mal kommen. Das hat was. Aber was? Vielleicht lässt es sich zuerst negativ einkreisen: So ein Liebeslied hat nichts mit den Liebesliedern zutun, die uns immerfort dieses hippe angloamerikanische Lebensgefühl à la MTV oder VIVA unterjubeln. Bei den Zimmermännern macht der Text die Musik. Und das Lied muss einfach durch mehr Hirnwindungen als die Liebeslieder angesagter hübscher deutscher Popmusik à la Juli oder Silbermond, deren Humorgehalt so um die Null liegt. Braucht der deutsche Pop die Frage: Warum schmust du nie mit meinem Gehirn? Er braucht sie dringend.
Wer kennt sie nicht - die Zeitgenossen, die mit stereotypen „Erkenntnis“-Floskeln wie z. B. „Genau!“ oder „Sag‘ ich doch!“ jede Diskussion abwürgen und jeden Gesprächspartner zum Schweigen bringen. Einer alpenländischen Ausprägung dieser Spezies hat sich Danny Dziuk, Sänger, Songwriter, Gitarrist, Pianist und Chef der Band Dziuks Küche, auf satirische und kongeniale musikalische Art und Weise angenommen. Er hat an „Dziuks Küche“ dazu eigens einen „Südbalkon“ angebaut. Konkret: Das Lied „Jaja, des iss ja des!“ befindet sich zwar auf der CD Dziuks Küche Live im Quasimodo (Berlin), ist aber weder Bestandteil dieses Konzerts noch wird es von der bekannten Formation Dziuks Küche gespielt. Es ist einer von zwei Bonustracks, die Danny Dziuk mit den bayerischen Musikern Georg Spindler (Bass) und Köpf (Mandoline) sowie dem Gastmusiker Wolf Wolff (Percussion) eingespielt hat. Zusammen sind sie Dziuks Südbalkon.
Ort der Liveaufnahme mit akustischen Instrumenten: das Wohnzimmer von Dziuks Freund und Kollegen Stefan Stoppok am Ammersee. Stoppok selbst war es auch, der die Aufnahme gemacht und den Kontakt zu den bayerischen Musikern hergestellt hat und damit so eine Art Geburtshelfer war für Dziuks Südbalkon mit adäquter Folk-Ausstattung. Eine eingängige Melodie mit ansteckend treibendem Rhythmus, ein kabarettistisch anmutender Text, zweistimmiger bayerisch gefärbter Refrain-Gesang und dazu Dziuks sympathisch schnoddrige Stimme - das alles macht „Jaja, des iss ja des!“ zu einem „Ohrwurm“, den man gleich mitsingen möchte. Und schließlich belegt die witzig-pointierte Story vom Typen, „der mit einem einzigen Spruch durch‘s Leben kommt“, dass Dziuk nicht nur ein exzellenter Musiker ist, sondern zugleich auch ein Satiriker von Format. „Ich schreibe viel - unterwegs, überall! Ich habe immer Notizbücher dabei. Es kann ein Wort sein, was irgendjemand sagt“ - so Dziuk über seine Arbeitsweise als Texter.
Seine Technik, dem Volk aufs Maul zu schauen und das Gehörte zur satirischen Pointe zu verarbeiten, erinnert dabei ein wenig an die Arbeitsweise eines Künstlers, der diese Technik auf einem ganz anderen Terrain, dem des literarischen Kabaretts, zur Perfektion brachte und der wie Danny Dziuk in Moers am linken Niederrhein geboren wurde: Hanns Dieter Hüsch.
Zwei Dutzend sind es jetzt: die deutschen Studioalben von Reinhard Mey. Daneben gibt es noch Singles, Sampler, Livealben und die Tonträger, die jenseits der Grenzen entstanden. Bei diesem Umfang würden Fragen zum Werk von Mey wahrscheinlich auch den bestvorbereiteten Kandidaten in einer Quizshow zum Grübeln bringen. Jetzt gibt es seit Anfang Mey die aktuelle CD Bunter Hund. Darauf treffen wir auf einen nachdenklichen Reinhard Mey, der - wie sonst auch - Geschichten aus dem täglichen Leben erzählt.
Exemplarisch für den Niedergang tradierten Kulturgutes steht darauf die Story von „Schraders Filmpalast“. Die Perspektive, den wahren Glamour auf der Leinwand gegen den kommerziellen, schreiend bunten und oberflächlichen einer Einkaufsmeile zu tauschen, diese Aussicht lässt Reinhard Mey und jeden anderen, der den Charme alter Kinos kennt, schaudern. Wie immer, wenn ein Stück aus der Jugendzeit verschwindet, geht auch ein Stück Identifikation verloren. Sentiment hin und her, „Schraders Filmpalast“ sollte uns daran erinnern, dass wir ohne die Geschichte das Heute nicht verstehen werden - und dass wir unseren Kindern nur noch davon erzählen können, wenn wir gelegentlich ein Beispiel zur Hand haben.