Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Lied ab und begründet diese schriftlich.
Auf „mildernde Umstände“ darf einer wie er nicht rechnen: Das Kunze-Bashing hat unter deutschen Musikjournalisten längst pathologische Züge angenommen. Ja, er war bei Carmen Nebel. Ja, seine politischen Kommentare gehen schon mal daneben, aber bitteschön – auch wenn man es sich kaum noch zu sagen traut: Dieser Mann kann Lieder schreiben wie nicht viele in diesem Land. „Mildernde Umstände“ zum Beispiel von seinem neuen Album Hier rein da raus.
Seine Stimme klingt noch immer fast wie vor 30 Jahren, als er mit seiner Bestandsaufnahme einen ganz neuen Ton traf zwischen Wut und Resignation und die hohl gewordenen Rituale der Protestsänger hinter sich ließ. Und wieder zieht Kunze Bilanz, singt von einem, der aus Furcht vor Verletzungen immer vorsichtiger wird und sich hinter Mauern verbarrikadiert. Ein abgeklärtes Selbstgespräch im Dreivierteltakt ohne Illusionen, an dessen Ende er seine persönliche Minima Moralia formuliert: „Liebe deine Nächste so gut wie du kannst / wirf deinen Ring in den Hut / oder den Hut in den Ring wenn du glaubst / alles was wehtut tut gut.“
Schreibt sich da der Rockstar im selbst gewählten Abseits den Frust von der Seele? Wie so oft verweigert Kunze die Eindeutigkeit. Das gilt auch für seinen Stil: Im Kreise seines Folkquartetts Räuberzivil kehrt er scheinbar zurück zu seinen Wurzeln, bietet minimalistischen Liedermachersound. Vorzüglich mischt sich das helle Timbre seiner Stimme mit Wolfgang Stutes warmem Gitarrenton. Doch allen Nostalgikern, die auf den frühen Kunze schwören, rät er unmissverständlich: „Kauf dir nicht zu viele Platten von früher, sie sind nicht so gut wie sie scheinen.“ Seine neue Platte ist ziemlich gut, auch wenn sie verdammt nach früher klingt.
Natürlich ist es politisch vollkommen unkorrekt, mit Manja Präkels und der Band Der Singende Tresen minutenlang „Gebt Mir Schnapps“ zu brüllen oder gar mit Genuss ihrem sehnsüchtigen Gesang zu frönen. Aber Erich Mühsam, von dem der Text stammt, war immer schon politisch unkorrekt, und in Zeiten, wo sich jeder Hansdampf ungestraft über „Mutti Merkel“ lustig machen kann und nur noch Religionskritik punktet, bleibt als vorletztes Mittel der Kritik wohl nur noch der Angriff auf die Volksgesundheit! Da stöhnt die Krankenkasse und das gesunde Volksempfinden empört sich! Die arme Leber! Alkohol ist doch schädlich! Tödlich gar!
Gemach! Denn, erstens, führt blöderweise selbst das gesundest geführte Leben zum Tod und, zweitens, geht es um so etwas wie Kunst! Nicht um die des Trinkens, sondern um die des Gesangs! Man mache die Probe aufs Exempel und stelle sich den Text Mühsams vor, gesprochen von einem Nachrichtensprecher! Und man höre zum Vergleich, wie unvergleichlich Manja Präkels singt! Ihr Gesang macht den Unterschied aus, und so, wie sie singt, könnte sie das Telefonbuch heruntersingen und damit gegen alle guten Sitten verstoßen! „It‘s the singer, not the song“ heißt es nicht umsonst, und großartige Interpreten, von Edith Piaf bis Billie Holiday oder Bob Dylan, haben es verstanden, selbst aus den dümmsten Texten noch großartige Kunst zu machen.
Dass im Umkehrschluss viele deutsche Interpreten am Bierernst ihrer Texte oder gar der von Kästner & Co. scheitern, steigert nur die Genussfähigkeit, die mit diesem kleinen Juwel der Textvertonung freudig zu entwickeln ist. Die Getränkefrage erledigt sich dann von selbst!
„Auf der Mauer, auf der Lauer, sitzt "ne kleine Wanze.“ Strophe für Strophe verliert die Wanze im Kinderlied einen Buchstaben. Man könnte Mitleid haben mit dem armen kleinen Tier. Nicht so bei Irxn. Bei den bayrischen Folkrockern sitzt statt der Wanze eine Spinne auf der Lauer. Ein fieses Tier durch und durch: liegt da, spinnt ihre Fäden, wartet in aller Ruhe auf ihre Opfer. Gierig frisst sie alles, was sich in ihrem Netz verfängt. „Denkt den ganzen Tag nur nach, ja wie mach ich denn des bloß. Fliege fein, Fliege klein, geh mir in das Netz hinein. Iss a dicke fiese Zecke, iss a dumme blöde Schnecke. Vor allem süße Mücken, die hat sie zum Fressen gern.“
Das alles weiß man längst. Wer liebt schon Spinnen? Die Spinne ist kein Sympathieträger. Doch halt, das Untier ist sehr intelligent. Und sie trägt eindeutig menschliche Züge. „Ja sie überlegt, sinniert. Denn wer geschickt intrigiert, macht immer reiche Beute – und der Gegner, der verliert. Die perfekte Strategie, ist der wahren Spinne Ziel. Kein Erbarmen, kein Gefühl, sonst gibt"s zum Fressen nicht sehr viel.“ Irxns Spinne tut nur das, was alle Lebewesen tun: Survival of the fittest – die Mutter, die ihr Kind ernährt; der Vater, der seiner Familie ein Haus baut; der Geschäftsmann, der seine Firma gut über die Runden bringt; der Staatsmann, der für sein Volk sorgt; der Kriegsfürst, der sein Territorium erweitert – nur um zu überleben, versteht sich. Ist alles rechtens. Kann ja nichts schief gehen. Wär da nicht der große Brummer – „... schiebt mit Spinne eine Nummer, doch die Liebe währt nicht lang, bis das Monster sie verschlang.“
„Spinn“ ist ein Kinderlied für Erwachsene. Man kann die Gedanken dabei spinnen, wie man will. Ein einfaches Lied, eines das nur funktioniert, wenn die Musik stimmt. Die Melodie des Kinderlieds ersetzte die Band durch neue, ebenso eingängige Töne. Das wiederkehrende barocke Geigenmotiv, das „Spinn“ einen verspielten Charakter verleiht, lädt zu einem Tänzchen ein. Geradezu lustvoll brummt der Bass zum bösen Tun der Spinne. Als würden die Männer von Irxn uns sagen: „Ist ja alles nur ein Spiel. Zocken wir ab, vernaschen wir unsere Opfer, solange wir können – bis uns der große Brummer verschlingt.“ Irxn machen auf Ewig uns oft Musik mit einem Augenzwinkern. Da ist der satte Folkrock mit keltischen Einflüssen und US-Rock mit knackigen Gitarrenlinien, wuchtigem Bass, Tuba, Geige und Drums. Irxn ist Männermusik mit Machohaltung – ihre bayerische Fassung von Steve Millers „Joker“ übertrifft das Original um Längen – gerade auch, weil die Bayern sich nicht immer so ernst nehmen. Irxns Herz gehört eher den Außenseitern, den Eigenständigen, der Spinne – zumindest in dem Moment, wenn sie vom großen Brummer gefressen wird.
„Mit Gensi und der Band feiere ich 2012 Silberhochzeit, zu diesem Anlass schenken wir uns und Euch ein neues Bandalbum mit dem Titel Uferlos.“ Das schreibt Dirk Zöllner, Kopf von „Die Zöllner und preist damit das nunmehr 15. Album auf der Starseite seiner Website an, auf dem – neben anderen – auch Xavier Naidoo und Edo Zanki mit Zöllner zusammen singender weise agieren. „Gensi“ ist André Gensicke, Tasten-Mann, Komponist, Effekte-Zauberer und Produzent, mit dem Dirk Zöllner nun seit einem Vierteljahrhundert eng zusammenarbeitet. Zöllner, geboren 1962 in (Ost-) Berlin, hat eine ganz eigene Mischung aus Funk und Soul und wunderschönen Balladen kreiert und geht seinen Weg – unbeirrt von modischen Trends. Der Mann hat eine wirklich außergewöhnliche Stimme, die ich schon seit der ersten Hälfte der Achtzigerjahre – also aus Konstellationen vor den Zöllnern – kenne und immer wieder heraushören werde.
In dem knapp vierminütigen Titel „Monarchie des Proletariats“, eine Gemeinschaftskomposition von gleich fünf Musikern der Band (ohne die hervorragenden Bläser), ist die Stimme allerdings - dem Inhalt des Songs angemessen - die meiste Zeit verfremdet. By the way eine Empfehlung i n der „Persönlichen Empfehlung“: Sie müssen unbedingt mal andere Songs der CD, z. B. „Idylle im Krieg“ oder den ganz frühen Hit „Käfer auf‘m Blatt“ hören, um von der Ausdruckskraft dieser Stimme einen Eindruck zu bekommen.
Textlich kommt „Monarchie des Proletariats“ sehr klar, man könnte auch sagen: ziemlich drastisch daher. In meinen Ohren klingt der Song wie eine Art „General-Abrechnung“ von Dirk Zöllner damit, wie es in unserer Gesellschaft – jenseits von Elite-Schulen und Exzellenz-Universitäten – läuft. Doch Vorsicht: Zöllner verwendet in dem Text auch das kollektive „Wir“: „Aus Hochglanzkatalogen zum allerneuesten Trend, bestellen wir das Komplettprogramm bis zum Happyend“. Fühlen Sie sich angesprochen? Aber: Das ist eine der harmloseren Zeilen; ansonsten lässt Zöllner den „lieben Gott“, dessen „Reich“ Kapital ist, in alle möglichen Rollen – Bänker oder Waffenfabrikant – schlüpfen. Das Ganze gipfelt in der bitteren Wahrheit:
„Der Kunde ist König, der Kunde ist König!
Das ist die Monarchie des Proletariats!
Der Mob bestimmt die Charts“
Übrigens: Im gesamten Text von „Monarchie des Proletariats“ finden sich keine Satzzeichen, ausschließlich an dieser Stelle stehen diese beide Ausrufungszeichen!
Der Mob bestimmt die Charts – unsere, die „Liederbestenliste“ nicht. Ganz sicher!
Ganz zu Beginn klingt‘s ein wenig wie die Musikkulisse zur Ziehung der Lottozahlen im TV: fröhlich swingender Jazz, der Kontrabass hoppelt voran, das Piano schaut mal hierhin, mal dorthin, die Jazzbesen weisen den Weg. Und dann die junge Stimme von Marco Tschirpke, gespielt empört, vielleicht sogar ein wenig gewollt gekränkt: „Ich kenn verwegne Frauen/mit Nieten in den Brauen/sogar die zart und leisen/bestücken sich mit Eisen.“ Na, so was aber auch! Der Protest angesichts derartiger Modeentgleisungen wird auch gleich nach der ersten Strophe mittels stechender Bläsersätze nachdrücklich unterstrichen.
Aber es kommt noch schlimmer: „In Brüsten und in Nabeln/entzücken kleine Gabeln/du öffnest eine Schnalle:/was findest du? Metalle.“ Immer kompakter kommt die Musik nun daher, unterstützt ungläubiges Staunen sowie vermeintliche Ablehnung gegenüber des als No Go empfundenen Zusammenspiels weicher, warmer Körper und harter, kalter Metalle.
Und weil Marco Tschirpke aus Berlin nicht nur ein versierter Komponist und Pianist, sondern in gleichem Maße ein origineller Kabarettist und Satiriker ist, fällt es ihm nicht schwer, die Dramatik seiner kleinen Geschichte noch weiter voranzutreiben, sie gar in einem tragischen Höhe- und Schlusspunkt ihr Ende finden zu lassen: „Im Westen und im Osten/die Venushügel rosten/erst spielst du mit, doch dann/entfährts dir: Zieh dich an!“
Was derart bitter enttäuschend endet, das ist schon einen energischen Ruf zur Ordnung wert.
Das oben angesprochene Lied stammt von der CD Lapsuslieder 4 und ist eines von insgesamt 31 (!) Stücken, allesamt knappe Momentaufnahmen, kurz aufblitzende Schlaglichter, inhaltlich verortet zwischen Nonsens und Tiefsinn, fröhlichem Quatsch und durchaus nachdenkenswerten Denkansätzen. Tschirpke ist ein sprachverliebter Wort- und Gedankenjongleur, wohltuend weit entfernt von der Masse der vermeintlich allwissenden Lebenshilfe-Lyriker. Musikalisch geht es jazzig und sehr entspannt zu, zwischen den Notenlinien lugt immer wieder ein verschmitztes Augenzwinkern hindurch. Für seine ersten Lapsuslieder erhielt Tschirpke 2007 den deutschen Kabarettpreis.
Schockschwerenot – ein schöner staunender Kraftausdruck fällt mir auf Deutsch gar nicht ein zu einer der echten Überraschungen der Saison; und er passt obendrein auch noch ganz gut zum „Volkslieder“-Projekt der Jazzkantine aus Braunschweig. Die war zwar bisher eher auf Grenzgängereien zwischen Hip-Hop und House, Jazz und Soul und dergleichen festgelegt, aber der Autor Peter Schanz, lange dem Braunschweiger Staatstheater eng verbunden, hat nun mit der Band und für sie ein pfiffiges, gedanklich und musikalisch mitreißendes Heimat-Projekt realisiert – eben mit Volksliedern. Und da wird dann zwar auch gut pädagogisch die Abkehr vom allfälligen Missbrauch der Begriffe „Heimat“ und „Volksmusik“ und stattdessen eine Art Multikulti-Heimatsound beschworen, und das muss auch so sein; vor allem aber und darüber hinaus geht‘s staunenswert witzig zu; nicht nur für Jazzverhältnisse.
Zum Beispiel „Im Frühtau“ – die bekanntermaßen ursprünglich schwedische Weise von den naturvernarrten Frühaufstehern, Wandervögeln und Sonnenscheinfängern wird hier durch einen eigentlich ganz simplen, aber sehr wirksamen Trick umgemodelt. Die Bearbeitern drehen einfach an der Zeitachse – jetzt wird nicht früh aufgestanden, sondern spät (sehr spät, vielleicht gar nicht) ins Bett gegangen. Alle Messen sind gesungen, die Kneipen machen dicht und die Augen fallen (eigentlich) zu, da machen sich die Boys und Girls im Gesang des Kantinen-Sängers „Capuccino“ aus den Tiefen schlecht belüfteter Kneipen und Bars auf ins Freie; noch ganz unter Einfluss von ganz viel Adrenalin und anderen Drogen, entdecken sie dort viel frische Luft und blühendes Leben – sie starten durch. So ähnlich, wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen, haben sich das die schwedischen Urväter dieses Liedes womöglich ja auch gedacht; das Lebensgefühl von damals findet so ein Echo ganz von heute.
Dazu packt die Jazzkantine fett und fetzig das Instrumentarium scharf und zugleich entspannt rhythmisierter Soul-/Jazz-Rockmusik aus, und der Tanzboden bebt. Auch die Jazzkantine kitschelt ja zuweilen ein wenig auf dieser starken „Volkslieder“-CD – hier, im Frühtau, aber gar nicht. Fallera.
Fred Ape & Guntmar Feuerstein können es seit Jahrzehnten nicht lassen, gesellschaftliche Ereignisse mit beißender Satire aufs Korn zu nehmen. In ihrem Stück „Spekulation“ befassen sie sich mit einem der größten Übel unserer globalisierten Welt, nämlich den Machenschaften der Spekulanten. Sie tun dies, indem sie einen jener Börsenhaie seine Weltansicht präsentieren lassen, quasi als Aufruf an Gleichgesinnte. Und diese Einstellung ist brutal: „Wie man mit Aktien ein reicher Mann wird – ich erkläre euch, wie‘s funktioniert. Steht das Blut knietief in Städten, ist nach der Flut nichts mehr zu retten, sagt der Börsenprofi: „Jetzt wird investiert!‘“.
Die Folgen? „…der Somali krepiert mit Qual, weil wir das Brot lieber verheizen und auch sonst mit Hilfe geizen“. Ja, wir kennen es alle. Während überall in der Welt der Hunger wächst, wird in den reichen Ländern das Getreide zur Energiegewinnung missbraucht. Damit ist ordentlich Geld zu machen. Und um die Perversion auf den Gipfel zu treiben, wird um Nahrungsmittel an den Börsen spekuliert, was die Preise künstlich in die Höhe treibt, weil das Angebot gezielt verknappt wird. Na und? „Wenn‘s keine Zinsen bringt, ist Hunger scheißegal!“
Es gibt die berühmte Filmszene aus Charlie Chaplins Der kleine Diktator: Der Diktator spielt tanzend mit dem Globus (eine überdimensionierter Strandball), bis dieser unerwartet platzt. Die Welt hängt in Fetzen, der Diktator ist kurzfristig betrübt, doch dann geht das Tagesgeschäft weiter. So ähnlich dürften die Verantwortlichen der größten Bank der USA, JP Morgan Chase, unlängst gefühlt haben. Allerdings, „wenn Rettungsschirme und schlechte Zeiten neue Kriege vorbereiten, freut sich wie ein kleines Kind der Spekulant.“
Gerhard Schöne hat eine neue CD veröffentlicht. Sie ist nicht sein erstes Konzeptalbum, dafür ein besonders eindrucksvolles, rührendes, amüsantes, überraschendes mit Raum für Entdeckungen. Schon auf der Scheibe Die Bilder der Fotografen warf er einen Blick zurück in die Geschichte – gleiches macht Gerhard Schöne auf seiner neuen CD Die Lieder der Briefkästen. Mit dabei auch ein Lied über das berühmte Weihnachtsfest 1914 an der Westfront des 1. Weltkrieges. 2014 werden es 100 Jahre sein, die seit diesem vergangen sind. 100 Jahre seit dieser kurzen Verbrüderung von herbei geredeten Erzfeinden – und die Menschheit hat nichts dazu gelernt.
Es musste noch der 2. Weltkrieg folgen, Korea, Vietnam, Irak. Afghanistan. In dem Lied erzählt in einem Feldpostbrief Wilhelm seiner Frau Mathilde von diesem „Wunder“, dass mit einem Lied begann. Ein kleiner Tenor sang in der Stille der Nacht ein Weihnachtslied, das bis über die Grenze schallte. Zurück kamen keine Kugeln – man lag sich in den Schützengräben ja gegenüber, sondern „Merry Christmas“. Das wechselseitige Vorsingen führt zum Verlassen der Stellungen, zum Treffen, zum gemeinsamen Rauchen, zu Fußball-und Kricketspiel.
Das Lied schließt mit „…aber wenn der Befehl kommt, ist der Traum hier vorbei“. Die Vorgeschichte zu diesem Lied ist, dass den deutschen Soldaten ein kurzer Krieg und ein Weihnachtsfest in Paris versprochen waren. Nichts von all dem wurde wahr. Was in Gerhard Schönes „ Feldpost, Flandern 1914“ aber eben deutlich wird: Wenn die Menschen es wollen, ist der Krieg vorbei – sofort.
Ob diese etwas idealistische Hoffnung berechtigt ist, daran darf man getrost zweifeln. Zu viel ist – wie gesagt – nach diesem Wunder an der Westfront geschehen. Man darf aber nicht aufhören, an solche Möglichkeiten zu glauben, sonst würde man zum Fatalisten. Gerhard Schönes Lied und seine Friedensliebe wird zusätzlich glaubwürdig durch seine Aktion des Steuereinbehalts. Denn über einen längeren Zeitraum zahlte er nur achtzig Prozent seiner Steuern und die zwanzig Prozent fürs Militär behielt er ein. Dazu gibt es auch das Lied „Kein Geld dem Militär“ – aber das ist schon die nächste Geschichte.
Über Axel Pätz heißt es, er gehöre einer Generation an, deren natürliches Habitat noch nicht das Innere eines SUV sei. Für die Jüngeren zur Erklärung: Ein Habitat ist so was wie das Viertel, in dem du lebst. Dass Pätz keine 30 mehr ist, kann man sehen – wenn man genau hinguckt. Man kann es aber auch hören: derart perfekt mit kleinen Klavierschnörkeln den mäandernden Sprechgesang unterstützen, der außerdem noch in gesprochener Sprache – also nicht reimhaft gedrechselt – völlig absurde Alltagsgeschichten erzählt: das hat es in Deutschland nur sehr selten gegeben, seit Georg Kreisler aus Amerika zurück nach Wien gezogen ist.
Natürlich kennt Axel Pätz seinen Kreisler. Und er hat Respekt vor ihm, imitiert ihn also nicht. Für eine billige Imitation wäre Pätz schon seine eigene, eigenwillige Präsenz zu sehr im Weg – wer sich davon überzeugen will, der sollte ihn live erleben. Mit Kreisler teilt Pätz allerdings eine gewisse Vorlieb fürs Makabre: wenn er etwa vom Todesengel erzählt, der auch ein bisschen Frieden brauche, „Etwas Zuversicht in dieser schlimmen Zeit / Und wo, wenn nicht im Kreise seiner Lieben / Gibt"s noch Liebe und Geborgenheit“ – dann ist es fast, als könne man schon Blondie im Hintergrunde leise jaulen hören. Nur, dass dieser deutsche Schäferhund schon lange tot ist und begraben und in Pätz‘ Geschichte ansonsten von Gottschalk und der Tagesschau die Rede ist und von TUI, Hapag-Lloyd und irgendeinem Pool. Der Hobbykeller befindet sich zweifellos in der deutschen Gegenwart.
Wie gesagt: Es gibt nicht viele, die derart hinterfotzig schöne Lieder schreiben und sie dann auch noch so locker rüberbringen können: dazu braucht es schon die Souveränität eines Uhus...
Scheren wir uns für eine Liedlänge einmal nicht ums Tosen und Lärmen dieser Welt. Vertrauen wir uns stattdessen, nur einen Moment, ganz dem Hier und Jetzt an und verweilen „am schwarzen Fluss. Da steigen sanft die Nebel / feucht, blass und kalt gehen sie nun ihren Weg / kein Laut erhebt sich, nur der feine Nieselregen / tropft sanft und dumpf auf den verlassnen grauen Steg.“ Tatsächlich fast schon vergessen. Der Herbst, so voller Poesie kann er sein, selbst in seinen düstersten Zeiten, im „November“. So hat Raphael Gottlieb den Song genannt, erschienen ist er Ende 2011 auf seiner ersten Live-CD „Strandgut“. Eine in melancholisches Moll getauchte Momentaufnahme, die zum Hinhören einlädt und mitfrösteln lässt: „Vom Norden weht ein kalter Wind den Regen / in meine Jacke und direkt in mein Gesicht / ich steh allein auf den ergrauten Wegen / und sehe nur das stark verzerrte Licht / wo sind sie hin, die schönen Sommertage / nichts ist mehr so wie es noch gestern war / die Blätter fallen leise von den Bäumen / die Finsternis des Winters rückt ganz nah.“ Vergänglich ist das Leben. Gut, sich daran bisweilen zu erinnern.
Reinhard Mey, der große Geschichtenerzähler, hat hier Pate gestanden. Und wie sein Vorbild, lässt auch Raphael Gottlieb seine Hörer nicht in depressive Hoffnungslosigkeit versinken. Eher umfängt uns in „November“ eine fast wohltuende Ruhe. Schon blinzelt auch ein wenig Licht ins Dunkel: „Mit Dir an meiner Seite / kann ich den grausten Herbst ganz leicht durchstehen.“ Unprätentiös und klar die Stimme, offene Harmonien und filigrane Gitarrenbegleitung, so nistet sich dieses leise Lied unbemerkt ins Ohr. Seine Feder schliff Raphael Gottlieb in der Mainzer Akademie für Poesie und Musik „SAGO“ bei Christof Stählin. Eine ganze Generation junger Liedermacher vertraut sich dem Meister des präzisen Wortes inzwischen an. Reifer seien seine Texte durch diese Liedermacherschule geworden, sagt Raphael Gottlieb. Freuen wir uns mit ihm auf den nächsten Herbst. Dann erscheint seine erste Studio-CD.
Toni Kater, eine junge Frau aus dem Harz, die über den Umweg Ibiza nun in Berlin lebt, wurde vor wenigen Jahren von 2Raumwohnung entdeckt, doch der kommerzielle Durchbruch blieb aus, denn ihre Songs sind nichts fürs Formatradio, sondern für Herz und Seele. Mittlerweile veröffentlicht sie auf eigenem Label und liefert ihr bisher bestes, ihr drittes Album ab. Der Song „Venedig“ ragt aus den vielen Perlen heraus, er zwingt dazu hinzuhören. Toni Kater schreibt Texte, wie sie im Pop nirgends zu finden sind, und Melodien, die kein Liedermacher schreiben kann. Unbedingt reinhören!
Der Schauspieler und Liedermacher Axel Prahl entwickelte zusammen mit Songschreiber und Musiker Danny Dziuk für die CD Blick aufs Mehr den Song „Bla Bla Bla“. Dabei mögen sie wehmütig an die manchmal deftigen, markigen Reden gedacht haben, die Politiker auf deren öffentlicher Bühne losließen, als die beiden Künstler noch Kinder waren. Das, was heute zumeist als Fensterreden im Bundestag debattiert oder als Imponiergefasel in Talkshows geboten wird, bezeichnen die beiden Wahlberliner treffend als Blabla aus der „Sprachenretorte" und „kommunikative Lingualcholera“. Was ist nicht alles wichtig nach Meinung der Wichtigtuer auf den Abgeordnetenbänken! Abgesehen vom oftmals würdelosen Umgangston im Bundeshaus zeugt auch der inflationäre Gebrauch bestimmter Adjektive und Worthülsen von Missachtung gegenüber den Zuhörenden, von wenig Bildung, von Herzensbildung ganz zu schweigen. Das Wort „wichtig“ ist offenbar ein Gradmesser für die Belanglosigkeit einer Erörterung: je häufiger ein „Wichtig“, desto hohler die Aussage.
Prahl und Dziuk prangern Politiker an, die sich als mündige Menschen sprachlich verbiegen. Sprache ist aber Instrument, menschliche Würde zu zeigen, sich frei zu äußern und sich zu positionieren. Sprache ist Mittel, Distanz zu finden zwischen Menschsein einerseits und bedeutet Erniedrigung, Entmenschlichung und Zerstörung des Selbstbewusstseins andererseits.
Im Lied wird eine ganze Reihe klassischer Phrasen zitiert. Deutlich offenbaren diese, aus dem Kontext gelöst, dass Sprache nicht mehr nur zum Mitteilen, zum Erzählen, zur Illustration, sondern heutzutage leider allzu häufig zum Verschleiern dient; denn die Sprache der Politik ist längst zu einer Verhüllungssprache verkümmert, die sich an Tatsachen vorbeischleicht. Der 51-jährige Sänger, einer der erfolgreichsten deutschen Darsteller der Zeit übrigens, und sein vier Jahre älterer Koautor prangern damit klar und überzeugend und ohne demagogischen Unterton den Missbrauch der Sprache an. Sie enttarnen damit deren Verflachung und mahnen zum Respekt vor den Zuhörenden. So kann Sprache aufrütteln, bewegen, rühren, jedenfalls nicht gleichgültig lassen.
Ihre Kritik und Belehrung verpacken Axel Prahl und Danny Dziuk aber nicht in Besserwisserei und Schelte, sondern narrativ und – aber deutlich! – bissig mit Witz und – ja: mit Galgenhumor. Vielleicht machen sie so das Publikum etwas hellhöriger als bisher und irritieren oberflächliche Menschen beim Hören sprachlicher Gemeinplätze. Freilich, sie singen – mit eigener Ironie – in der eigenen „Kirche“: „"n Häppchen ... für Papa, für Mama, für uns alle, wie sie da sind. Bla.“
Begleitet werden sie von einer Schar ausgezeichneter Musiker, die sich als das Inselorchester zusammengetan haben. Die engagiert rockige Komposition unterstreicht nochmals den spöttischen Text. „Axel Prahl auf dem Weg zum Sänger des Volkes“, schreibt sein Label Buschfunk und meint damit wohl die „Straße“ – und viele Liedermacher und Straßenmusiker wurden und sind ja auch – dem Himmel sei Dank! – wohl gerüstete und bewährte Kabarettisten.