Persönliche Empfehlung Lied

Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Lied ab und begründet diese schriftlich.

DEZ 2014  Michael Kleff, Bonn

Gerlinde Kempendorff und die Glücksspieler - Die geduldig Wartenden

Nur Flügel mit Kette in den Saiten desselben und Saxophon (Vladimir Miller). Auf einem sparsamen und doch eindrucksvollen Klangteppich trägt Gerlinde Kempendorff einen Text von Konstantin Wecker vor. Geradezu genial vertont und arrangiert von der Pianistin Christine Reumschüssel (wie übrigens auch alle anderen Tracks auf Glück gehabt!). Unterstreicht die irgendwie an einen Mitternachtsblues denken lassende Melodie doch kontrastreich die Aussage des Textes:

"Die geduldig Wartenden war"n mir noch nie so ganz geheuer" und "So richtig wohl fühl ich mich erst bei den bösen Buben"

Reumschüssels Komposition ist ein hörbarer Beweis dafür, wie wichtig neben Kreativität eine solide Ausbildung und jahrelange Erfahrungen auf Bühne und im Studio sind. Ausgebildet an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden im Fach Klavier der klassischen und der Jazz-Abteilung, war die Musikerin nicht nur im In- und Ausland auf Tournee u. a. mit Barbara Thalheim, Mikis Theodorakis, dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, mit Hans-Eckardt Wenzel und der Schauspielerin Annekathrin Bürger. Sie hat auch bei zahlreichen Rundfunk- und Filmmusik, Platten- und Fernsehproduktionen sowie bei Programmen des Berliner Konzerthauses am Gendarmenmarkt oder des Berliner Ensembles - u.a. mit George Tabori - mitgewirkt. Seit 1997 arbeitete sie bis zu dessen Tod vor sieben Jahren mit dem Komponisten Kurt Schwaen zusammen und war an Uraufführungen mehrerer seiner Werke in unterschiedlichsten Besetzungen und Genres beteiligt.

Lob für die Aufnahme von Gerlinde Kempendorff und den Glücksspielern kommt auch von Textautor Wecker. Er habe sich "ehrlich gesagt gefragt, wie es möglich sein kann, dieses Prosagedicht zu vertonen. Und schau an - das habt ihr toll hingekriegt. Gratuliere, gefällt mir richtig gut." Ende der Siebzigerjahre schrieb Konstantin Wecker "Die geduldig Wartenden". Zur Zeit als auch Lieder wie "Genug ist nicht genug" entstanden. Das Thema "Unangepasstheit und Wachsamkeit" zieht sich bis heute durch Weckers Repertoire. Beispiele hierfür sind "Es geht ums Tun und nicht ums Siegen" ("Die Weiße Rose", 1982), "Was bleibt ist diese kleine Glut des Widerstands zu wahren, vielleicht muss sie mal Feuer sein, in ein paar Jahren" ("Fast ein Held", 1984), "Doch immerhin: Leben im Leben" ("Leben im Leben", 2009) und "Zwischen Zärtlichkeit und Wut tut das Leben richtig gut" ("Wut und Zärtlichkeit". 2011).

Gerlinde Kempendorff, die wie ihre Mit-Glücksspielerin ihr Fach - Gesang, Chanson, Jazz und Musical - von Grund auf gelernt hat und langjährige Erfahrungen als Solistin und mit Band auf Theater-, Musik- und Varietébühnen besitzt, hat den Wecker-Text übrigens schon zu DDR-Zeiten einmal vorgetragen. Was ihr eine Einladung beim Innenministerium "Zur Klärung eines Sachverhalts" einbrachte. Eine Textzeile wie "So richtig wohl fühl ich mich erst bei den bösen Buben" kam den DDR-Offiziellen höchst verdächtig vor. "Meine größte Angst ist die vor Dummheit, gepaart mit Macht", schreibt Kempendorff im CD-Begleitheft rückblickend.

Die Veröffentlichung der Vertonung von "Die geduldig Wartenden" auf dem neuen Album von Gerlinde Kempendorff und den Glücksspielern ist ein "Glücksfall" für uns alle. Werden wir doch so daran erinnert, dass die Grundlagen unserer Gesellschaft heute mehr denn je von einer Mischung aus Dummheit und Macht gefährdet sind. Oder wie es Karen Duwe mit anderen Worten im Untertitel ihres neuen Buchs Warum die Sache schiefgeht formuliert: "Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen".

Die geduldig Wartenden

Die geduldig Wartenden war"n mir noch nie so ganz geheuer
alle die nicht irgendwann aufspring"n und brüll"n
und ich, wann komm jetzt endlich ich dran

All die milde Lächelnden unendlich Genügsamen
sind mir verdächtig
komm mit den hauptamtlich Guten nicht so zurecht
und Missionare sind mal nur penetrant

Will denen allen nichts Schlechtes nachsagen
zumal ich sicher auch selbst oft in Bedrängnis geriete
ohne die Sozialarbeitergesinnung mancher Mitbürger

So richtig wohl fühl ich mich erst bei den bösen Buben die im Sommer die Schule schwänzen, nur nie sich selbst und die mit Steinschleudern auf die Wirklichkeit ziel"n und nicht daran denken, nur bei schönem Wetter mit Sammelbüchsen durch die Stadt zu rennen!

Das möchte ich nur mal so vor mich hin gesagt haben...

NOV 2014  Matthias Inhoffen, Stuttgart

Nadine Maria Schmidt & Frühmorgens am Meer

Der Herbst. Klare, weite Sicht. Farbenpracht in Wiesen und Wäldern. Reife Früchte an den Bäumen. Ernte, Rausch und Feierlaune. Aber auch die erste Ahnung von Fäulnis, von der Vergänglichkeit alles Schönen, Leichten, Unbeschwerten. Kalte Winde, überraschend frühe Sonnenuntergänge. Kamin statt Lagerfeuer. Schwere Kleidung, Wolle statt Leinen.

Wer im Herbst geboren ist, nimmt den Reiz dieser Jahreszeit besonders intensiv wahr. Die Leipziger Liedersängerin Nadine Maria Schmidt ist - wie ich übrigens auch - ein Oktoberkind, und sie hat nun für ihr zweites deutschsprachiges Album, nach Blaue Kanten von 2012, einen Songzyklus geschrieben, in dem sie aus den vielfältigen, auch ambivalenten Stimmungen schöpft, welche die bunten Wochen vor dem Advent bereit halten: die Lieder aus Herbst.

Eine Vertonung von Hermann Hesses "An die Schönheit" beschließt den Reigen, dessen Atmosphäre mir in vielen Passagen recht nahe gegangen ist. Am stärksten beeindruckt hat mich aber gleich das erste Stück: "Im Herbstwind". Nadine Maria Schmidt taufte ihre Homepage zwar www.fraumitgitarre.de, doch in den Arrangements ihrer Songs gibt sie sich als experimentierfreudige, ideenreiche Künstlerin, bezieht zahlreiche akustische Instrumente von Cello bis Akkordeon mit ein und empfiehlt sich so als Klangpoetin, die internationalen Songwritermaßstäben genügen kann. Bei "Im Herbstwind" hat sie sich da mit ihrer Band am weitesten vorgewagt. Die geschickte Wechseldramaturgie von Vers und Refrain, die Klavierharmonien, Backgroundstimmen, Gitarrenakkorde, die allesamt dazu einladen, sich der nächsten Sturmböe zu überlassen und einfach fortzufliegen - man glaubt es kaum, dass dieses Stück, dieses Album selbst produziert und von Fans sowie ein paar Sponsoren finanziert worden ist.

Und worum geht‘s? "Im Herbstwind" ist hin und hergerissen zwischen Übermut und Melancholie, Traum und Wirklichkeit, Mut und Verzagtheit. Die Ich-Erzählerin sammelt Kastanien, reißt Fenster auf, lässt Wind und Sonne herein. So, wie sie das macht, berührt sie gewiss nicht nur Oktoberkinder wie mich. 

OKT 2014  Hans Reul, Eupen (Belgien)

Stoppok - Wie schnell ist nix passiert

Nach dem etwas anderen Best-Of-Soloalbum "Auf Sendung<" gibt es jetzt wieder neuen Stoff von Stoppok: "Popschutz" hat Stoppok mit Band und Gästen eingespielt. Schnörkellos treibt die Musik voran, ebenso gradlinig und doch wie immer mit spitzfindigen Wortspielen versehen, kommen die Texte daher. Empfehlen kann, nein, muss man die ganze CD. Das ist allerfeinster Stoppok: hausgemacht, dem Blues verwandt, witzig und nachdenklich.

"Wie schnell ist nix passiert" ist dafür ein typisches Beispiel: ein Plädoyer für individuelles Denken und Handeln. So wie Stoppok es uns seit den frühen 1970er Jahren vormacht. Dabei käme er nie auf den Gedanken, uns mit dem erhobenen Zeigefinger belehren zu wollen. Das hat der Mann nicht nötig, dabei würde er sich wohl auch nicht wohlfühlen. Er sagt es direkt und mit Humor. Wem fallen solche Sätze ein wie: "Wer nur die Möbel kauft, die alle haben, braucht auch nicht zu wohnen" oder "Wer im Kreis geht, spart sich den Rückweg und auch den Durchblick".

Solche auf den Punkt gebrachten Bemerkungen lässt er in "Wie schnell ist nix passiert" aufeinander folgen. Das sind keine leeren Sprüche, das sind kleine pointierte Weisheiten, Aphorismen, die von Stoppok fast wie nebenbei gesagt respektive gesungen werden. Wenn in unserem Leben nichts (oder nix) passiert, dann bleibt nur die Stoppok-typische Schlussfolgerung: „Wer schon Tod lebt, spart sich die Beerdigung.“

SEPT 2014  Hans Jacobshagen, Köln

Barbara Milou - Flieg mit mir

Barbara Milou singt fröhliche Lieder. Das ist es, was sofort auffällt. Angesichts der beladenen Balladen von unerfüllten Lieben und zerrütteten Beziehungen ist das eine Besonderheit im aktuell gefüllten CD-Regal. „Flieg mit mir“ ist eine poetische Aufforderung, Träume zu formulieren, neue Welten zu entdecken, die positive Seite des Lebens zu suchen, Lebenslust pur. „Hey kommst Du mit, dann pack zusammen/mit dem Südwind will ich gehen./Lass mich von Sonnenstrahlen kitzeln/und durch Wolkenschlösser wehn.“

Da möchte man nicht mehr abgeklärt über die Schlechtigkeit der Welt nachdenken. Hier kommt ein Chanson, das in wohlgesetzten Versen von der Liebe zum Leben erzählt, das positive Lebensentwürfe einfordert. Das luftige Arrangement unterstreicht den lyrischen Text. Unterstützt wird Barbara Milou da unter anderem von Christoph van Hal, der bis 2007 als Trompeter und Keyboarder den Sound von Wir Sind Helden mitgeprägt hat. Und der ist ja in ganz verschiedenen musikalischen Richtungen unterwegs. Vielleicht hat er ja die Idee gehabt, das ganze noch mal für Big Band zu arrangieren. Und so gibt es das Lied auf der Mini-CD ein zweites Mal. Im Big-Band-Sound.

Das Orchester legt kraftvoll zu – und es entsteht ein ganz anderer ebenfalls stimmiger Eindruck von diesem Song. Und am Schluss der CD gibt es dann noch „Vol avec moi“, das Lied als französisches Chanson. Und das fühlt sich dann nach Süden an, nach Sonne und Wärme. Obwohl da dann – wohl des Reimes wegen – der Wind aus dem Osten kommt...

AUG 2014  Stephan Rögner, Frankfurt am Main

Salli Sallmann - Fluche, Seele, fluche

Der Journalist und Sänger Michael Sallmann und der Journalist und Politiker Erich Mühsam haben viele Gemeinsamkeiten, darunter Erfahrungen als politische Häftlinge und eine berufsbedingte Neugier. Mühsam veröffentlichte 1914, also vor 100 Jahren, das Gedicht „Weiter, weiter, - unermüdlich!“, einen klagenden, pessimistisch anmutenden Text hinsichtlich der Lebensbedingungen, und dichtete darin den jedermann auffordernden Vers: „Suche, Seele, suche“. Diese Zeile übernahm der Liedermacher Gerulf Pannach wörtlich für seinen Song „Fluche, Seele, fluche“, den Sallmann zusammen mit Christian Kunert in den Achtzigern vertonte. Den Mühsam-Reim „Fluche, Seele, fluche“ wählte man als Titel.

Salli Sallmann – unter diesem Namen wurde er bekannt – wuchs in der DDR auf, aus deren Gefängnissen er von der Bundesrepublik freigekauft wurde. Er fand „sein Glück“ nicht, nicht im privaten Bereich einer Familie, nicht auf der Bühne mit DDR-kritischen Texten vor Soldaten und Offizieren der NVA, zunächst auch nicht im „Westen“, wo er schließlich an Pannachs Grab Abschied nehmen musste. „Freiheit, Freibier und Frieden“ waren also seiner „Seele“ nicht beschieden, die immer wieder die „hinter Gardinen lauernden schadenfrohen Mienen“ erahnte und erspähen musste. Der Liedtext „Fluche, Seele, fluche“ ist Salli Sallmann, dem Lyriker, ins Stammbuch geschrieben. Ein Rezept, den „Stein der Weisheit“ für eine allgegenwärtige Würde des Menschen gibt es im Liedtext freilich, ja zwangsläufig nicht. Das Lied zwingt zum Nachdenken mit dem Erkenntnisdrang, ob sich unsere gesellschaftlichen Beziehungen nicht doch noch für jedermann wenigstens ertragbar verändern lassen. Mit Forschungseifer, also konkret, im Detail, nicht schnell, in Ruhe und nicht flüchtig, sorgfältig, gewissenhaft und ausführlich hinterfragend, lässt der Liedtext viele, ja sogar für den Fragenden persönliche Interpretationen zu. Man muss nur zuhören können, auch Sallmanns Interpretation mit einer doch teilweise stark rhythmusbetonten, bisweilen einhämmernden Melodie. Ich selbst will „nur“ Interesse und eben Neugier wecken für ein Lied, an dessen Entstehung vier außergewöhnliche Künstler, die alle unter einer staatlichen Knute litten, beteiligt waren. 

JULI 2014  Petra Schwarz, Berlin

Schnaps im Silbersee - Die MetamorpHose

Haben Sie es schon mal „fummppen“ gehört? Was soll das denn sein, fragen Sie bestimmt zurück. Die Antwort: Es handelt sich um eine Art Zauberwort, womit man sich – vorausgesetzt, man verfügt über die „MetamorpHose“, ein „ultramagisches Kleidungsstück“ – verwandeln kann, in was man will. In den Hund von Baskerville, Josef Ackermann, die Backstreet Boys, den Papst, Heino, Christian Wulff, Assad oder den koreanischen Machthaber Kim Jong-un. Nur nicht in Hitler: „Nein. Das war ich wirklich nicht“.

Dieser einfache und gleichzeitig so überzeugende „Schachzug“ macht es möglich, in  e i n e m  Song Weltpolitik, Wahnsinn, menschliche Schwächen und auch noch Philosophisches abhandeln zu können – in einer Weise, wie es schon der Titel des kraftvoll gesungenen und eher sparsam instrumentierten Songs andeutet: niemals direkt, immer „um die Ecke“ und auf mehren Ebenen. Melvin Haack – früher mal Lehrer – hat den Text (und auch die Musik) geschrieben und kann ganz offenbar nicht ohne diese – in Form höchst intelligenter Wortspiele daherkommende – „Denke“.

„Tiefsinn mit Humor und umgekehrt!“ – so beschreibt die „Hildesheimer Allgemeine Zeitung“ treffend, was Schnaps im Silbersee künstlerisch machen. Selbst bezeichnen sie sich als Liedermacher –Quartett, sie sind drei Liedermacher und ich habe sie als Duo kennengelernt. Als solches traten Peter Wolter und Melvin Haack im Wettbewerb der „Hoyschrecke“ im November 2013 an und belegten – knapp hinter dem Spitzenreiter Tim Köhler – den zweiten Platz in der Jurywertung. In der Publikumswertung lagen sie sogar klar auf Platz 1! Und schon vorher gab es Lob aus berufenem Munde: „Ganz klasse! Es ist schön, zu sehen, dass solche Talente nachkommen!“, sagt Altmeister Hannes Wader.

Gleich, ob da nun zwei drei oder vier auf einer Bühne stehen und Musik machen, zusammen sind sie Schnaps im Silbersee. Und worum geht‘s dabei? „Natürlich um nicht weniger als gut geplante, allgemeine Welterrettung! Und zwar von vier Liedermachern, Geschichtenerzählern, Quatschmachern, Träumern, Fragenstellern, Biertrinkern, Melancholikern, Rockern, Romantikern, Gutaussehern und einer davon, die statt Gitarre Geige spielt und sogar noch ein bisschen besser aussieht.“

Nach ihrem – übrigens vollzähligen – Gastauftritt beim "Festival Musik und Politik"-Konzert „Liederbestenliste präsentiert“ im Februar 2014 in Berlin legen sie nun ihre erste CD vor, die dieser tage taufrisch auf den Markt kommt. Die sich darauf befindende „MethamorpHose“ hatte sich mir schon beim ersten Livehören im letzten Herbst in Hoyerswerda ins Gedächtnis gebrannt und deshalb empfehle ich Ihnen diese – erst recht nach nun x-Mal Hören – ganz persönlich. Und ein Tipp noch: Ohren gespitzt – der Song ist nichts zum Nebenbeihören!

P.S. Das Problem: Steckt man einmal drin, in der „MetamorpHose“ scheint es kein Entrinnen zu geben. „Es führt wohl jede allzu dicke Hose am Ende zu ner Egoneurose.“ Fummp, fumpp, fumppp…

JUNI 2014  Harald Justin, Wien

Illute - Wie Es Will

Sind so kleine Lieder, darf man nicht drauf hauen; sind nur Lieder, so Liebeslieder, zarte Pflänzchen im Hartholzchor alberner Juxlieder aus der Spaßgesellschaft oder ewiggestriger old-school Gitarrenklampfer, die politische Leitartikel mit Endreimen versehen und daraus schlechte Agitproplyrik für den Krampf im Klassenkampf machen und dabei der Intelligenz in der Musik nicht sonderlich förderlich sind. Sind so kleine Lieder, von denen die Berlinerin Ute Kneisel, die sich Illute nennt, insgesamt elf auf ihrer CD So wie die Dinge um uns stehn singt und sich dabei kongenial und originell von ausgesuchten Musikern aus Berlin und Wien mit u.a. Gitarre, Akkordeon, Küchenlärm, Ukulele, Jodelgesang, Schreibmaschine und Melodica begleiten lässt.

Sie weiß, wie sie in „Kleiner Wertekanon“ singt, von der Traurigkeit, im Kapitalismus geboren zu sein, und sie weiß um den komischen, so ranzigen Klang, den mittlerweile Worte wie „Solidarität“ und „Ehrlichkeit“ angenommen haben. Dieser Klang lässt sie sich anderen Sphären, denen der zwischenmenschlichen Beziehungen, zuwenden, wo Kritik ebenfalls, so wird kolportiert, möglich ist und, wie wir alle wissen, „Liebe (ein) seltsames Spiel“ ist, von dem einst uns ja schon Connie Francis sang.

Das herausragende Lied ihrer CD, „Wie es will“, kann deshalb mit wenigen Worten auskommen. Dass es wie alle ihre Texte auf erzwungene Reime verzichtet und stattdessen mit feinem Humor und Selbstironie aufwartet, ist nur eine Seite ihres verführerischen Wortgeklingels. Denn sie schreibt ja nicht Lyrik, sondern macht Musik. Ihre Sprache gehorcht den Tönen, und sie singt, den Takten hinterher oder voraus, mitsamt verqueren Betonungen, die mit ihrer brüchigen, verletzbar klingenden und anmutigen Jungfrauenstimme vollstämdig der Musik dienen. „Wie es will“, die akustische Perlentrouvaille des Albums, beginnt mit simplen, gezupften Gitarrenakkorden, und dann mischt sich das Ensemble ein und setzt das wollende Es in Musik um, die wiederum mit Intelligenz und mit Loops ihrer Stimme die Wörter ihrerseits zu Musik verwandelt, die perkussionsreich mit den Klicklauten ihrer Konsonanten spielt. Das alles ist ein Spiel, eines, das naiv daherzukommen scheint, aber recht raffiniert und berechtigt ist: Hier werden sechs Zeilen Text mit beschränktem Wortschatz mittels der Musik zu einer klingenden Einheit, die an den Ursprung der Liedermacherkunst, an das fördernde Miteinander von Text und Musik, erinnert. Fein ziselierte Musik mit deutschen Texten – selten, aber nicht unmöglich! Wenn es will!

MAI 2014  Michael Lohse, Köln

Rainald Grebe - Art

Die Methode ist simpel, aber effektvoll: Rainald Grebe montiert Versatzstücke aus Interviews mit fünf führenden Regisseuren des Deutschen Theaters. Es sind überwiegend abgehobene und arrogante Statements, mit denen sich die großen Zampanos hochkultureller Bedeutsamkeit selbst entlarven. In der Collage entfalten ihre Sätze unfreiwillige Komik und münden in die penetrant wiederholte Refrainzeile: „Ich mach Art“. Da erübrigt sich jeder Kommentar Grebes, vom blasierten Vortrag einmal abgesehen. Die Botschaft wird auch so klar: Ein selbstgefälliger Kulturbetrieb kreist um sich selbst, nährt sich von Subventionen und schert sich einen Dreck um Auslastungszahlen. Der Regisseur wähnt sich als Wahrer des letzten Freiraums, dabei lässt er sich von Ölscheichs kaufen und sagt „denen in Katar: Das Ensemble ist der Star“. In Wahrheit geht es um seine Eitelkeit – der Kanon der Theatergeschichte degeneriert zur Wichsvorlage für egomanische Regisseure. „Ich muss mich mal kurz selber loben, ich könnt jeden scheiß machen, ich bleibe oben.“ Da wird Brecht angeekelt beiseite gelegt. Stattdessen „vielleicht die fünf Bücher Mose – oder erstmal eins. Bibel les ich grad, hammerhartes Teil, ne, mach ich nicht im großen Haus, mach ich in der Kammer und zwar ungestrichen.“

Grebe trägt das vor als Sprechgesang über bluesig angehauchter Klavierbegleitung. In seiner minimalistischen Penetranz ist der Song der quälenden Endlosigkeit vieler Stadttheaterabende nachempfunden. Erst nach fünf Minuten erlöst eine funkige Passage aus der Monotonie zu der Zeile „Provokation ist für mich kein Selbstzweck, sondern wenn man die Wahrheit sagt.“ Schön wär‘s. Der nächste Skandal aus Berechnung kommt bestimmt. Rainald Grebe zeigt die gestörte Selbstwahrnehmung vieler Theatermacher an staatlichen Bühnen. Nicht aus einem anti-intellektuellen Ressentiment heraus, sondern weil er das Theater liebt. Schließlich führte er einst selbst Regie am Jenaer Theaterhaus. Mit „Art“ hält der Wahlberliner erneut einem Milieu, dass ihm bestens vertraut ist, den Spiegel vor – so raffiniert, dass man ohne Ironie sagen darf: Er macht Art. 

APR 2014  David Wonschewski, Berlin

Le-Thanh Ho - Regen

„Mich fasziniert wie der amerikanische Film Noir die Befindlichkeiten der Hauptprotagonisten in der Schilderung ihrer Umgebung widerspiegelt.“ Das sagt die in Berlin lebende Deutsch-Vietnamesin Le-Thanh Ho – und überträgt just dieses cineastische Konzept in ihre ganz eigene Musiksprache. „Regen“, so heißt das zugehörige, so ungewöhnlich einschmeichelnde Lied, das die junge Chansonsängerin auf ihrer soeben erst veröffentlichten EP Zellophan präsentiert. Und in dem sich jene Mittel wiederfinden, die bereits den klaustrophob-labyrinthartigen Stil des Film Noir derart anziehend machten. Denn einen Ausweg, nein, den gibt es für die Protagonistin in „Regen“ nicht, das wird mit den ersten, wie hingetupft vor uns ausgebreiteten Sprachbildern schnell deutlich. Untergang oder Aufgehen, Auslöschung oder Assimilation, das sind die einzigen Verhaltensmöglichkeiten, die dieses so klug komponierte und getextete Chanson ihr und somit auch uns lässt. Mit dem eindrücklichen Effekt, dass das Lied eine Dramaturgie entwickelt, während derer es mehr zu einer Art spannungsgeladenen Stillleben als denn zu einem Lied gerät. Und an deren Ende es mehr desperater Hauch als denn noch Gesang ist. Ja, das ist verführerisch und unschuldig, allem voran aber ist es eine mit Haut und Haar empfundene Verlorenheit, knapp an der Grenze zur Selbstzerstörung, an der Le-Thanh Ho hier so bedrückend sanft entlangtänzelt. Von der ersten Schauervermutung bis hin zur letzten und finalen Fortgespültheit ist hier alles ein einzige Sehnsucht nach dem großen Fortkommen, der immer konkreter werdende Wille sich von einer alles beherrschenden Kraft fortziehen zu lassen und in ein unbestimmtes Nichts einzutauchen, schält sich zunehmend heraus.

„Es ist vier Uhr in der Früh“, schildert Le-Thanh Ho die Gefühlswelt ihres eigenes Stücks, dessen Film Noir-Reminiszenz gerade bei ihr, der studierten Schauspielerin, nicht nur seine tiefere Bedeutung, sondern auch seine konsequent durchgezogene mimische Spiegelung findet. „Ich bin auf dem Nachhauseweg. Und das Wetter, die Umgebung, die Farblosigkeit spiegelt wider, wie es mir dabei geht. Und ständig liegt in der Luft: Es wird noch was passieren. Und ich will weg. Ganz weit weg davon. Und werde gleichzeitig davon ergriffen, chancenlos, weggespült. Und merke: treiben lassen.“ 

MÄRZ 2014  Kai Engelke, Surwold/Emsland

Klaus-André Eickhoff - Unser Lied

Lieder erfüllen und bedienen bekanntlich die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Zwecke: Sie unterhalten oder klagen an, machen fröhlich oder nachdenklich, transportieren Satire, Witz und Humor, vermitteln Informationen und Poesie, beinhalten Wahres und Erdachtes, Schönes und Schräges, Poltriges und Zartes.

Auf gefährlich dünnes Eis begibt sich der Liedermacher/Songschreiber/Komponist zumeist dann, wenn er vermeintliche Lösungsmöglichkeiten für die allseits auftretenden Klippen und Hürden des täglichen Lebens anzubieten hat. Die Versuchung ist groß, sich in Banalitäten, Klischees und Unverbindlichkeiten zu verlieren. Die Grenzen zwischen Sentimentalität und Kitsch auf der einen und tatsächlicher Empathie und wirklichem Tiefsinn auf der anderen Seite liegen sehr dicht beieinander.

Klaus-André Eickhoff hat eine komplette CD dem Thema Trauerbewältigung gewidmet: Du bleibst mir nah – Lieder in Zeiten der Trauer. In einem geschlossenen Themenkreis betrachtet er eine Reihe von Situationen, die mit dem Verlust eines nahe stehenden Menschen verbunden sind: Tod, Begräbnis, Innigkeit, Sprachlosigkeit, Verlassensein, Hadern mit dem Schicksal, Neuanfang.

„Da war ein Lied, das wir ‘unser Lied‘ nannten
und das wir schon am ersten Ton erkannten.
Da war ein Lied und Bilder erwachten
Bilder, die das Lied zu unsrem machten.“

Was für eine Vorstellung: Ein Lied erklingt, das für zwei Menschen eine ganz besondere Bedeutung hat, und einer der beiden ist nicht mehr da.
Kaum zu ertragen. Oder doch?

Die Zeilen stammen aus „Unser Lied“, mit sanfter Stimme und unaufdringlicher Klavierbegleitung von Klaus-André Eickhoff intoniert.
„Und gleich mit den ersten Tönen/bricht die Tränenflut über mich ein.“
Natürlich: Schmerz, Trauer, vielleicht sogar Wut malträtieren die verlassene Seele. Allerdings endet die Strophe mit dem überraschenden Satz: „Und das darf so sein.“

Schmerz, Trauer, Wut können womöglich hilfreich sein?
„Unser Lied jetzt allein zu hören
scheint das Lied selber nicht zu stören.
Unser Lied, es klingt wie immer
und das macht alles nur noch schlimmer.
Du fehlst mir grad unendlich
und die Tränenflut bricht über mich ein.
Und das darf so sein.“

Origineller Gedanke: Ein Lied kümmert sich nicht um die Gefühle derer, die es hören und lieben; es bleibt einfach das, was es war. Das hat etwas mit Unerschütterlichkeit, mit Stärke zu tun. Und genau die kann den Trauernden nun stützen.
„Da ist ein Lied, das ich ‘unser Lied‘ nenne
und das ich schon am ersten Ton erkenne.
Und es wird unser Lied bleiben,
ob mit, ob ohne Tränenflut.
Und das tut gut./Und das tut gut.“

Die Vorstellung liegt nahe, dass der Trauernde das gemeinsame Lied eines Tages vielleicht wieder – wie zuvor – als etwas ausschließlich Schönes, durchaus auch Romantisches, auf alle Fälle Verbindendes empfinden kann.
Aus Verzweiflung kann so Hoffnung erwachsen, aus Verlust kann Stärke entstehen.
Und das ist gut. 

FEB 2014  Michael Laages, Hannover

Jürgen Schwab - So Long, Fritz

Natürlich ist schon der Anlass es wert, dieses Lied besonders hervor zu heben aus dem Material der frisch erschienenen CD von Jürgen Schwab. Luftschlösser ist an sich schon eine sehr solide Produktion im traditionellen Liedermacherton, also sehr hörenswert; zumal Schwab einer der ganz wenigen Handwerker dieses Genres ist, der über den Horizont hinaus denkt, vom Song auch zum Jazz findet und weiß, wie viel eins mit dem anderen zu tun hat. Ganz zum Schluss aber (und erklärtermaßen nach Fertigstellung der eigentlichen Produktion) folgt als Zugabe ein kleines Stück Gänsehautmusik.

Denn Schwab hat Fritz Rau eine kleine Hymne hinter gesandt. Fritz Rau, der Altmeister im Konzertpromotergewerbe, geboren 1930 in Pforzheim, starb ja im August des vorigen Jahres, und in den Jahren zuvor hatte Schwab, der Sänger, Gitarrist und Radiomoderator, den alten Fritz oft bei Lesungen aus dessen Autobiografie begleitet. Auch in Raus allerletzten Tagen hatte Schwab den Kranken noch besucht; und als es dann zu Ende war, ist Schwabs Epitaph entstanden. Der versammelt nun all die Facetten, dank derer der Ur-Veranstalter Rau das eigene Geschäft begründen und überleben lassen konnte, erst in den „Tangente“-Kneipen der Sechziger, dann mit den Bluesfestivals der Siebzigerjahre an der Seite des Freundes Horst Lippmann, schließlich als Großveranstalter, den sowohl Mick Jagger als auch Udo Lindenberg als Paten des Business würdigten. Die Palette reicht von Fritz, der poltern und lärmen konnte wie ein Elefant, wenn es nicht so lief wie er wollte, bis zu Fritz, der die Musiker, die ihm vertrauten, pflegte wie niemand sonst – Jürgen Schwab fügt Motiv auf Motiv, Erinnerung an Erinnerung in den Strophen.

Und dann findet er vier Worte, mit denen der kleine Song schließlich wirklich unter die Haut und ans Herz geht – „Good bye, Fritz“ beginnt jeweils der Refrain, so weit so gut; aber dann: „Geh‘ schon mal vor!“; und sinngemäß: Mach‘ die Bühne bereit für den Moment, wenn all deine Freunde, wenn wir dir folgen.

Das hat die munter-freche Schnoddrigkeit eines ganz frühen Songs etwa der Marke Lindenberg, und da bündelt sich mit dem Bild vom Pionier noch im Tode, der das Terrain sondiert genauso wie er einst Jazz-, Blues- und Rocktalente entdeckte und förderte, die ganze nachgetragene Liebe, die doch so rar ist am Markt der Musik. Jürgen Schwab gelingt in diesem Moment ein Nachruf, wie es kaum je einen gab – nicht für Fritz Rau, aber auch sonst nicht. 

JAN 2014  Peter Eichler, Leipzig

Paul Bartsch & Band - Der Bordkapelle letzter Schluss

Paul Bartsch gehört zum festen Inventar der ost- und inzwischen gesamtdeutschen Liedermacherszene. Und er ist neben Detlef Hörold und Rainer Schulze der bekannteste aus Sachsen Anhalt. Die Lieder der Bordkapelle sind für ihn auch ein Geschenk zu zehn Jahren Paul Bartsch & Band. Was mit „Die Bordkapelle Ouvertüre“ als zweitem Song auf der CD eingeleitet wird, findet mit „Der Bordkapelle letzter Schluss“ seine Zusammenfassung und zugleich Auflösung.

Dass eine Bordkapelle immer auch ein sinkendes Schiff assoziiert haben wir seit fast einhundertzwei Jahren dem Untergang der Titanic zu verdanken. Zugleich ist die Schiffsband bei Paul Bartsch das Sinnbild für die sogenannten kleinen Leute, die es am Ende immer trifft, während die Passagiere der 1. Klasse inklusive Kapitän versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Dabei sind alle Mittel recht, bis zum Geschlechterwechsel des Kapitäns durch Frauenkleidung, nur um in einen der begehrten Rettungsbootplätze zu bekommen. Wie kam es zu der Katastrophe? Alle Anzeichen der Gefahr wurden ignoriert, wider besseres Wissen agiert und ein Kurswechsel ausgeschlossen. Wir bekommen vor Augen gehalten, wo wir enden werden, wenn wir nicht umsteuern, denn das Schiff treibt längst Leck geschlagen im Eismeer. Allerdings: Wenn wir so weiter machen, wird es in Zukunft kein Eismeer mehr geben, in dem Schiffe an Eisbergen zerschellen können. Das Tragikkomische der Situation im Lied kann den Ernst der Lage, in der sich die Bordkapelle und damit wir alle befinden nicht überspielen, einzig das Wasser überspült den Flügel und durchströmt statt Luft das Saxofon.

Und wie die „Bordkapelle“ ist auch „der letzte Walzer“ ein Synonym für glanzvolle Feste, wie auch Untergang, denn dieser verhallt in „Der Bordkapelle letzter Schluss“, das Licht erlöscht und eine Geige wird noch aus dem Meer gefischt. Soweit Paul Bartschs Vision von dem, was uns erwarten könnte. Er gibt uns aber noch eine Chance, denn es war eine Filmszene, die da gedreht wurde – aufatmen? Nein, denn des Volkes Weisheit bringt es auf den Punkt: „Und abends sagt der Pianist zum Geiger in der Bar: es ist zwar nur ein Film, doch die Pointe, die ist wahr, uns steht das Wasser bis zum Hals, worauf der Geiger schnauft, es ist die Bordkapelle, die am Ende stets ersauft!“

Und deshalb sollte sie sich wehren gegen unlautere Passagiere und deren Helfer, vor allem aber gegen unfähige Kapitäne. 

Die Top 20 der
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