Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Lied ab und begründet diese schriftlich.
Als ich mir das neue Album „zwischen gold, grün & pink“ von milou und flint anhörte war sofort klar, dass einer der Songs auf dieser Scheibe eine Liedempfehlung werden sollte.
Wer kennt das nicht, das Gefühl nach Hause oder wieder in die alte vertraute Heimat zu kommen und sich darauf zu freuen, dass dort noch jemand auf einen wartet – sei es die oder der Liebste, die Eltern, Verwandte oder gar gute Freunde. Dieses Glücksgefühl vermittelt der Titel „To Huus“ auf jeden Fall.
Schweres Gepäck, eine lange Reise und ankommen, loslassen, bei einem netten Getränk am Kamin sitzen, die Beine baumeln lassen und vielleicht endlich mal richtig ausschlafen. Für mich war dies mit diesem Stück gut nachvollziehbar. Es strahlt eine wohlige Wärme und das Gefühl von Geborgenheit aus.
Na und wer die See liebt oder gern ans Meer fährt, kann das Salz des Wassers sicher schmecken.
Das Stück ist in Plattdeutsch geschrieben, wovon ich besonders angetan war, da ich das Empfinden habe, dass in dieser Mundart nicht mehr allzu viel in den Medien zu hören ist. Der Text ist gut verständlich und man muss nicht unbedingt das Booklet bemühen, um das Stück verstehen zu können. Nun, ich gebe zu, dass es mich mit meiner alten Wahlheimat im Norden verbindet.
„Wir bekommen immer wieder Nachrichten geschickt, dass unsere Musik Menschen tröstet und es ihnen beim Hören der Lieder gleich besser geht“, erzählt Milou…“, wie man der Presseinfo zu dem Album lesen kann. Das kann ich absolut unterschreiben. So ist mir die Auswahl eines Stücks für eine Empfehlung sichtlich schwergefallen, den eigentlich kann man gut und gerne auch das komplette Album, dass am 08.09.23 bei That Sunday Recordings im Vertrieb von Membran Entertainment erschienen ist komplett empfehlen. Denn nicht nur „To Huus“ ist aus dieser Scheibe ein hörenswertes Stück.
Weitere Informationen:
www.milou-flint.de
Vor 20 Jahren (2003) zeichneten die Juroren Masen Abou-Dakn mit dem SWR-Förderpreis aus. Lange ist es her, dass die Liederbestenliste ihren festen Platz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hatte, sogar vom Südwestfunk initiiert und jährlich ein großes Liederfest organisiert wurde. Masen Abou-Dakn war in Sachen Songwriting - zumindest aus meinem Blickfeld - ein wenig von der Bildfläche verschwunden. Nach „Ich gucke nur, wenn du nicht guckst und hoffe, dass du’s siehst“ aus dem Jahr 2001 – der Titel des Albums ist schon ein ganzes Programm - folgten 2007 die Gemeinschaftsproduktion „König Macius“ und 2010 „Wenn schon suchen, dann das Glück“. Masen Abou-Dakn blieb nicht untätig in der Zwischenzeit, hat sich als Synchronautor (mehr als 700! Serien-Episoden und Filme seit 1996) einen Namen gemacht, betreut als Coach Singer- Songwriter, veröffentlicht Kolumnen und schrieb 2015 das Fachbuch „Mehr als nur Worte - Erfolgreich Songtexte schreiben“. Wie das geht, zeigt er auf seinem eigenen aktuellen Album: „Was es war und was wir wollen, dass es war“.
Masen Abou-Dakn beherrscht die Kunst, Musik und Text mit einer unvergleichlichen Natürlichkeit zu einer Einheit zu verschmelzen. Dass er selbst ein vorzüglicher Gitarrist ist und schon in den frühen 1990er Jahren mit dem Acoustic Guitar Orchestra durchstartete, kommt ihm zugute. Er schreibt Songs, die eine spielerische Leichtigkeit auszeichnet und die nie kitschig anbiedernd wirken, sondern bestes Songwriting offenlegen. In seinen Texten geht es meist um Alltagsgeschichten, genau beobachtet, präzise und poetisch formuliert. Ja, das geht, wenn man so fein mit Sprache umgeht wie Masen Abou-Dakn. Das ist mal berührend, mal witzig, mal nachdenklich und hintersinnig. Aus dem reichhaltigen Fundus des Albums „Was es war und was wir wollen, dass es war“, möchte ich den Opener „Was haben wir gelacht“ empfehlen. „Manchmal eher selten fällt's mir doch wieder ein, das Leben ist zum glücklich sein“ singt er im Refrain. Manch einer wird sagen, das ist doch eine Binsenweisheit, fast schon banal. Nun ja, manchmal sind es die grundsätzlichen Dinge, die man sich erneut ins Bewusstsein rufen sollte. Wenn der Denkanstoß auf so unaufdringliche Art erfolgt, wie in diesem Lied, dann wird man sich der Bedeutung des zu sich Kommens richtig bewusst.
Weitere Informationen:
www.abou-dakn.de
„Namenlose" im Lied des Sängers David Lübke sind die Geflüchteten und immer wieder von neuem Flüchtenden in dieser unserer Zeit; und das Lied schlägt gedanklich sehr weite Bögen: über Jahrzehnte, also hin zu den Flucht-Bewegungen in den Kriegswirren der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts, und über Jahrhunderte, hin zu den Flucht- und Auswanderungswellen nach den gescheiterten europäischen Revolutionen um 1848 herum. Wie so viele enttäuschte und an Leib und Leben gefährdete Menschen damals aus den deutschen Kleinstaaten nach Amerika flüchteten, so lassen Armut, Krieg und Unrecht viele Menschen aus fremden Ländern und von anderen Kontinenten heute den gefährlichen Fluchtweg nach Europa und ins immer noch wohlhabende Deutschland riskieren.
Das Bewusstsein eigenen historischen Flucht-Erlebens müsste die nötige Hilfe ja eigentlich zur Selbstverständlichkeit werden lassen - aber alle Welt weiß, dass es nicht so ist; darum hat David Lübke sich dieses Lied beim amerikanischen Komponisten Martin Hoffman ausgeliehen - und mit ganz viel aktueller Gegenwart gefüllt.
Lübkes musikalisches Konzept ist sehr einfach und ausserordentlich wirkungsvoll. In der Pandemie zog er durch's Land, wie es früher ein "fahrender Sänger" halt tat: allein, mit Rucksack, Gitarre und zu Fuß. Auf der Walz eben, wie noch heute immer mal wieder die Handwerksgesellen ...
„Namenlos" ist auch er also umhergezogen, den Flüchtenden der Jahrhunderte ein bisschen ähnlich und verwandt. Menschen und Orte hat er auf diese Weise extrem einfach und ursprünglich kennen gelernt: als (vielleicht) hilfreiche Nachbarn; und so hat David Lübke ein sehr unzeitgemäßes Lebensmodell beschworen. "Namenlose, das Lied, ist das Dokument dazu, die historische, politisch-literarische Beglaubigung.
Auch andere Lieder der CD leben mit und aus dieser Energie der Neu- oder Wiederbegegnung - das legendäre Anti-Kriegs-Lied etwa, in der erst die Blumen, dann die Mädchen, dann die jungen Männer und schließlich die Soldaten verschwinden: in Gräbern, auf denen dann wieder Blumen wachsen ... die Öoesien von Pete Seeger und Woddy Guthrie gehören zu Lübkes Quellen; und auch Hannes Wader, dessen Klassiker "Heute hier, morgen dort" der Endzwanziger Lübke neu
und jung interpretiert.
Was für ein sonderbarer junger Mensch das ist - kommt aus Lemgo, lebt in Hannover, singt heute wie andere Jahrzehnte vor ihm. Aus der Zeit gefallen wirkt er, und in die Welt geworfen - wunderbare Lieder sucht, findet und erfindet er, um in ihr zu bestehen.
Weitere Informationen:
http://www.davidluebke.de/
Beim Titel musste ich zunächst an Hannes Wader denken: In „Hör auf, Mädchen“ rechnete er einst sarkastisch ab mit einer oberflächlichen Geliebten. Bei Martin Zingsheim richtet sich der Appell nicht an eine Frau, sondern an den eigenen Nachwuchs: „Hör auf, mein Kind“. Eine Abrechnung allerdings folgt auch bei ihm – nämlich mit dem gutbürgerlichen Gemeinplatz, dass unbedingt studieren muss, wer es mal besser haben will. Zwar singt er anfangs noch das Loblied auf die universitäre Sphäre. Doch im Refrain rückt er raus mit der Sprache: „Hör auf, mein Kind, hör auf zu studieren“ lautet sein überraschender Appell.
Aber wer hat nicht schon die Erfahrung gemacht, wie schwer zurzeit Handwerker zu bekommen sind? Der Fachkräftemangel ist nicht zufällig in aller Munde. Also kann der Rat des besorgten Vaters nur lauten, von Orchideenfächern wie Archäologie oder diffusen Laber-Disziplinen wie Kulturwissenschaft Abstand zu nehmen und eine große Zukunft als „Orthopädie-Schumacher“ anzustreben. Im Zweifel alles – „Hauptsache nicht Soziologie“.
Einmal mehr gelingt es Zingsheim, mit leichter Hand ein Thema, das in der Luft liegt, in einem satirischen Chanson aufzugreifen, bei dem alles stimmt: der geschmeidige Gesang, der vom Piano dominierte Rock-Sound, bei dem unüberhörbar Billy Joel Pate gestanden hat, ebenso wie die raffinierten kammermusikalischen Arrangements, die im eingespielten Team mit Martin Weber an der Geige und Claus Schulte am Schlagzeug entstanden sind.
Natürlich ist bei der Hymne auf das Handwerk mit dem sprichwörtlich goldenen Boden Augenwinkern mit im Spiel. Schließlich hat Zingsheim als promovierter Musikwissenschaftler einschlägige Erfahrungen in einem als brotlos verschrienen Studiengang gesammelt. Doch die Gewissheiten lösen sich auf. Das spiegelt sich in vielen Songs seines neuen Albums „Normal ist das nicht“. Und angesichts der Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft steht, ob beim Klimawandel oder bei der Sanierung der zunehmend dysfunktionalen Infrastruktur stellt sich schon die Frage, ob in diesem Land die Prioritäten noch stimmen. Da brauchen wir vielleicht wirklich nicht noch mehr studierte Besserwisser, die alles erklären und analysieren können, sondern
Praktiker, die einfach mal die Steckdose reparieren können. Auf jeden Fall besteht kein Anlass für akademische Überheblichkeit.
Andererseits will Zingsheim mit dem Lied natürlich keine plumpen anti-intellektuelle Ressentiments schüren. Letztlich beleuchtet er spielerisch und selbstironisch das Spannungsfeld zwischen Kunst und Leben, zwischen Neigung und dem Zwang zum Geld verdienen. Denn welcher Künstler oder Musiker leidet nicht in manchen Stunden an dem Komplex, eigentlich überflüssig zu sein und nichts wirklich Nützliches gelernt zu haben, aber dann kommt eben doch wieder der Moment, wo er mit seiner Kunst glänzen kann. „Superschönes Solo“ lobt Zingsheim am Ende des Lieds das Trompetenspiel seines Kollegen. Darauf der: „Ich hab ja auch studiert“.
Auch Martin Zingsheim scheint das Studium zumindest nicht geschadet zu haben, sonst könnte dieser blitzgescheite Songwriter wohl kaum so souverän und charmant den Zeitgeist reflektieren.
Weitere Informationen:
www.zingsheim.com
Der Eindruck ist wirklich sehr alt, jetzt aber wieder ganz frisch – beim Wiederhören mit Erwin Grosche. 1955 in Anröchte geboren und aufgewachsen in Paderborn, tauchte er Mitte der 80er Jahre als ewiges Talent der Kleinkunst auf; zu den wichtigen Auszeichnungen gehörte tatsächlich der Deutsche Kleinkunstpreis, gleich zweimal Grosche zuerkannt, erst als Förder- und 1999 als Haupt-Preis, verliehen vom „unterhaus“ in Mainz und ein bisschen auch von mir, weil ich damals in der Preis-Jury saß. In Erinnerung blieb Grosche als ewig großäugiges Kind aus Ostwestfalen, das die verrückte Welt betrachtet und immerzu staunt - aber das Bild ist zusehends verblasst, wie beharrlich Grosche auch immer noch über die Kleinkunstbühnen tingelt, aktuell mit dem Programm „Der Abstandhalter“. Das „Stadtlied“ kommt auch drin vor.
Eine Liebeserklärung wie diese an die Heimatstadt Paderborn durfte nie fehlen in Grosches Programmen; und immer war sie fein ironisch eigefärbt wie auch jetzt wieder – Grosche schwelgt in den Momenten, wenn die Sonne aufgeht über der lokalen Stute-Fabrik, die Früchte und Säfte in alle Welt verschickt, wenn das die Westfälischen Kammerspiele im Text auftauchen, das Theater der Stadt (aber eben auch ein Schauspieler beschworen wird, der hier schon lange nicht mehr engagiert ist!); auch der Dom spielt mit, der örtliche Fußball-Club SC, die Firma „Westfleisch“ und die Uhr am Bahnhofsgebäude, der ein Zeiger fehlt.
Der Weg in die Innenstadt ist hier immer kurz – weil es eigentlich gar keine gibt. Aber die Figur, die da singt zum Akkordeon für Kinder, liebt diese ganz private Provinz – eben weil sie Heimat ist. Neben vielen skurrilen Liedern, die immer wieder von schrägen Abwegen des Alltags erzählen, in diesem schwer durchschaubaren Leben hin zum Tod, ist das „Stadtlied“ von charmanter Zärtlichkeit; andere Lieder auf der CD sind eher vom Gefühl für Schmerz durchzogen. Und Förderung hat das Team um Grosche, Grosches Schauspiel-Tochter Lisa (in Marburg engagiert) und Musiker Gerhard Gemke vom Bestattungshaus Sauerbier erhalten.
Das ist mehr als eine Pointe. Das ist Paderborn. Und das ist Grosche pur – noch mit 68 ist er das ewig unentdeckte Talent geblieben. Was für eine Karriere … Glückwunsch!
Weitere Informationen:
https://erwingrosche.de
Im Begleitschreiben zu seinem aktuellen Album „Corleone“ schlägt Marian Kuprat netterweise gleich selbst vier Songs als Anspieltipps vor. „Sorry dafür“ gehört nicht dazu. Sicher, „Besser is nich“ mit seinem Uptempo-Rhythmus, der vertrauten Akkordfolge und dem schönen Klavier klingt poppiger. Und die toll arrangierte Ballade „Hart am Wind“ mit ihrem öffnenden Refrain ist so etwas wie das Herzstück des Albums.
Doch „Sorry dafür“ ist der Song, den ich nach knapp 38 kurzweiligen Minuten sofort nochmal anspiele. Das Arrangement absolut spartanisch: vier Akkorde auf einer stoischen Rhythmus-Akustik-Gitarre, bluesige Slide-Gitarren-Akzente und etwas Mandoline im Refrain, das war’s. Dazu singt Kuprat, Ruhrpott-Gewächs aus Essen, herrlich schnodderig und fast schon beiläufig von nichts anderem als dem menschengemachten Ende der Welt. „Sie glaubten ganz fest, dass Schule wichtiger sei als all die Proteste, die es gab zu der Zeit“, heißt es zu Beginn der zweiten Strophe. Und am Ende: „Die Menschheit zerrissen statt im Willen vereint, an der Spitze Narzissten, die Gefahr stets verneinen“. Eine klare Botschaft, die mit entsprechender Umsetzung aber auch kitschig oder plump wirken könnte. Doch wenn Kuprat im Refrain der nächsten Generation all die lockeren Sorrys für schmilzende Pole und brennende Wälder wie ein Mantra entgegen schnoddert, ist man davon ganz weit weg. Die Melodie fräst sich regelrecht in die Hirnrinde und wenn er schließt mit „Sorry, dass wir einfach dachten, das war’s – sorry für alles und nun weiter viel Spaß“ weiß ich gar nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Und so höre ich diesen heimlichen Hit einfach nochmal von vorne und freue mich, dass die Sonne aktuell noch scheint.
Heiter bis wolkig waren vor zwei Jahren mit dem Folk-Klassiker "Edelweißpiraten" in der Liederbestenliste vertreten, dieses Mal haben sie mit Klaus von Wrochem, der sich Klaus der Geiger nennt, zusammengearbeitet. Marco Gödde von HbW hat zeitgleich eine CD der Band und eine von Klaus dem Geiger produziert. Zwei Lieder von diesem sind dabei gleichzeitig auf seiner und auf der CD der Punk-Band gelandet. Eines davon habe ich mir für die Liedempfehlung des Monats herausgesucht:
"Krone der Schöpfung". Entstanden ist dieser Song bereits in den frühen 80er Jahren bei einem Protest gegen die Abholzung von Bäumen, die einem Tiefgaragen- und Bunkerbau am Kölner Kaiser-Wilhelm-Ring weichen sollten. Das Interessante daran ist: Das Lied ist auch ohne dieses Hintergrundwissen aktuell verständlich und klar wie nie. Die Menschheit will einfach nichts lernen bei dem mittlerweile erkennbaren Klimawandel. Es werden weiter Naturlandschaften eingeebnet, Betonbauten errichtet, die Autos werden größer und verbrauchen mehr Sprit als zum Beispiel ein VW Lupo aus den späten 90er Jahren. Das ist alles vergessen denn wir sagen uns: "Wir können nichts dagegen tun". So belügt sich die "Krone der Schöpfung" ständig selbst aus Nachlässigkeit und Unwissenheit und um den aktuellen Wohlstand nicht zu gefährden. Wir waren da - zumindest in Teilen der Gesellschaft - schon einmal weiter. Klaus der Geiger folgert: "Du hast ein Herz und ein Hirn/Frag Dein Herz dein Hirn Deine Seele/Sonst werden wir alles verlieren." Man kann das gar nicht oft genug sagen. Und so ist dieses alte Thema Inhalt eines brandaktuellen Protestlieds, dem man eine zahlreiche Zuhörerschaft wünschen möchte. Welche Version des Liedes die bessere ist, mag jeder selbst für sich entscheiden.
Mehr Informationen: www.heiterbiswolkig.org
Mal ganz anders: Ich empfehle ein Liebeslied. Denn vielleicht ist es gerade in diesen Kriegs- und Krisen-Zeiten wichtig und auch richtig, mal kurz innezuhalten!? Mit einem zarten Klavier-Intro beginnt dieser hoch emotionale, melancholische Song, in dem auf einer sehr eingängigen Melodie, sparsam instrumentiert mit einem eindrücklichen Streicher-Arrangements von Anne de Wolff, Liebende in drei ganz verschiedenen Situationen besungen werden:
Die Seilschaft hatte mit Gerhard Gundermanns schon große Erfolge in den 90ern und nun ist seit 2008 Christian Haase deren Sänger, aus dessen Feder dieses kleine, große Lied stammt: "Wenn man liebt bleibt doch die Zeit einen Moment stehn Wellen werden Spiegel und die Flüsse werden Seen Die Toten tanzen Polka und die Alten werden Kind Ein Gefühl, wenn man`s verloren hat, nie mehr/man selten wiederfind." Einfach hören, bitte!
Mehr Informationen: www.dieseilschaft.de
Bsuffne Männer lassn siech vo ihre nachdblindn Frauen hamfohrn; Der Ding & sei Woä; Viednam is vull; Iech wär dann do; Ned su schnell; Kummdmernaham; Ned schborn; Wenn af amol die Leem; Verdrauen; Schaunernoo; Wer do foddfährd; Hilfd nix; Der Kabljau; Hä?
So lautet die Titelliste von Wolfgang Bucks inzwischen 13. Album. "Visäwie" hat er es genannt. Es ist ein Rückblick auf die vereinsamende Coronazeit und auf die Menschen, denen man lange Zeit nicht begegnen konnte. Der fränkische Liedermacher singt von Weltreisenden, Daheingeliebenen, Großzügigen, Geizhälsen, Liebe, Vertrauen. Musikalisch ist einiges vertraut, Wolfgang geht auf diesem Album neue Wege. Wie zum Beispiel das Lied, das ich empfehlen will.
"Hä?", das letzte Stück auf diesem Album, strotzt nur so vor Wortakrobatik und kommt musikalisch ganz entspannt daher. Das Gegenteil ist aber der Fall. Dahinter versteckt sich nämlich ein kleiner "Fränggisch"-Sprachkurs. Buck klärt detailliert über die Eigenheiten der fränkischen Mundart auf. Für ihn sind diese regionalen Spracheigenheiten selbstverständlich und kann deshalb nicht glauben, dass andere ihn nicht verstehen:
wu kummsdn na du her
dass du des ned verschdehsd
wo kommst du denn her
dass du das nicht verstehst
Wer Wolfgang Buck nach dieser Nummer immer noch nicht verstehen kann, ist selbst schuld! Die Songs auf diesem Album sind es jedenfalls wert, sich in diesen wunderbaren Dialekt einzuhören.
Mehr Informationen:
https://wolfgang-buck.de
Fräulein Luise ist eine junge Band. Die zwei Frauen und zwei Männer sind um die 20 Jahre alt,
teils darunter. Wieso das erwähnenswert ist? Wer den Text von diesem Lied hört glaubt kaum an
das fast jugendliche Alter der Band oder man erschrickt ab dieser Reife und ab diesem Text.
Schon der Refrain:
"Süchtig wäg de Einsamkeit, und einsam wäg de Sucht, es seg en verdammte Tüfelschreis, wod
nieme usechunsch. Süchtig wegen der Einsamkeit und einsam wegen der Sucht, es ist ein
verdammter Teufelskreis wo du niemals mehr hinauskommst."
Ich glaube Sucht kann nicht treffender beschrieben werden. In dem Lied wird von einer Stadt
erzählt, es ist klar, dass es Zürich ist, könnte aber manche andere Stadt in Westeuropa sein, in
der Strassenmusik lizenzpflichtig ist (auch in Bern so), Status mehr Wert hat als Glück, Euphorie
ein Fremdwort ist und jeder sein Leiden unterdrückt. In so einer Stadt hat eine Süchtige in einer
öffentlichen WC-Anlage bei den Frauen diesen Refrain Satz an die Wand geschrieben und hofft,
dass es jemand liest, wie es in dem Lied heisst. Es werden weitere negative Punkte dieser Stadt
die über dem Strich lebt und alles darunter, fallen lässt, aufgezählt. Dann kommt die Erkenntnis
der Dichterin, welche wahrscheinlich auch die Erkenntnis vieler von uns ist:
"I dere Stadt wo alles sin Platz hät, Und woni wohlbehüetet uf bin cho, I dere Stadt wo kei
Problem hät, Oder mindestens weissi nüt devo. In dieser Stadt wo alles seinen Platz hat und wo
ich wohlbehütet aufgewachsen bin, in dieser Stadt die keine Probleme hat, oder mindestens
weiss ich nichts davon."
Das Lied findet auch einen Schluss, die Dichterin liest den Satz in der WC-Anlage, versucht die
Süchtige zu verstehen, fühlt sich kurz schuldig und verlässt dann die Räumlichkeiten.
Die Musik zu diesem unter die Haut gehenden Text ist lockerer Liedermacher Pop oder IndiePop,
im Vordergrund ist die Sängerin, welche mit Harmoniegesang von ihren Kolleg*innen unterstützt
wird. Ein starkes, gut getextetes und komponiertes Lied.
Weitere Informationen: fraeulein.luisee[at]gmail.com