Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Album ab und begründet diese schriftlich.
In allen stilistischen Farben schillert das „farbengeile“ neue Album von Strom und Wasser. Von fast dadaistischen Anklängen bis zu tiefgründigen, zu Gemüte gehenden Liedern, von bissiger Kritik an den Missionen der Bundeswehr bis zu kleinteiligen Anmerkungen über das Prekariat oder das menschliche Chaos - Strom und Wasser lassen für sich alles zu: die Poetik, eine bild- und metaphernreiche Sprache, das Rotzfreche wie das innig Schildernde. In keinem der Lieder hat man das Gefühl, sie wollten etwas beweisen, sie präsentierten einen Stil, der nicht genau der Eigene ist. Sie meistern eben viele Sprachen, viele Rhythmen, viele Ausdrucksformen.
Welches Lied mir persönlich am meisten unter die Haut gegangen ist?
Es ist das „Träumerchen“, eine Liebeserklärung an ein schwer behindertes Kind: geschrieben, gesungen mit einem Verständnis, einer Liebe, mit einem Blick aus dem Herzen des „Träumerchens“ heraus. Wer solche Lieder, wer ein solches Album zustande bringt, gehört einfach zu den ganz Großen.
Ungezwungen / Ja-Markt / Noch aber ist April / Fryheit / Ousflug / Ohrenschmaus / Eulenspiegel / Ougenweide / All die weil ich mag
Die Anfänge des deutschsprachigen Lieds liegen weit zurück, sehr weit. Es ist sicher nicht zu gewagt, sie im Minnesang des Mittelalters, also in der Vormoderne zu verorten, und bis vor 30 Jahren war es für Pädagogen ein mühseliges Geschäft, junge, nachwachsende Generationen an den Zauber dieser Verse heranzuführen, deren Silben so seltsam verbogen und verquetscht schienen, während die Bilder und Metaphern der eigenen Vorstellungskraft so fremd blieben.
Doch dann kamen Ougenweide. In den 1970er Jahren machte sich dieses Hamburger Musiker-Kollektiv daran, den märchenhaft entrückten Geschichten vom mittelalterlichen Leben - und zwar bei Hofe wie auf dem Bauernhof - einen zeitgemäßen Anstrich zu verpassen. Olaf Casalich, Minne Graw, Frank Wulff & Co. brachten für diese Aufgabe mitreißendes musikalisches und komödiantisches Talent mit, sie fußten fest in der angelsächsischen Folkrock-Tradition à la Fairport Convention (und, ja, Jethro Tull). Und Achim Reichel, selbst ausgewiesener Literatur- und „Volxlied“-Vertoner, produzierte ihre besten Aufnahmen.
Richard Weizes Bear Family-Label ermöglicht nun ein faszinierendes Wiederhören mit dem Vermächtnis der bis heute einflussreichen Band (Schandmaul!). 2006 schon gab"s Ougenweide (1973) und All die weil ich mag (1974) sowie die Klassiker Ohrenschmaus und Eulenspiegel (beide 1976). Jetzt runden fünf Alben auf drei CDs die schöne Werkschau ab.
Da wäre zum Beispiel Ungezwungen, die vitale Live-Doppel-LP von 1977, die Ougenweides gar nicht rückwärtsgewandten, schelmisch-aufmüpfigen Liederreigen, mit eigenen und überlieferten Texten, gespielt auf Flöten und E-Gitarren, auf Harmonium und Schlagzeug, gar trefflich rüberbringt.
Fryheit (1978) enthielt die Musik zu der ZDF-Reihe „Dokumente deutschen Daseins“. Ousflug (1979) bot straffen Folkrock plus instrumentales Gedaddel. Es deutete sich an: Ougenweide suchten nach Orientierung in einer Musikwelt, die immer weniger die ihre war.
Den Jahrzehntwechsel erlebten die Ikonen des deutschen Mittelalter-Rock als Identitätskrise: Punk, New Wave, Neue Deutsche Welle brachten musikalische, rhythmische, sprachspielerische Anstöße, die in eine ganz andere Richtung wiesen als die Ougenweide-Musik. Entsprechend unentschlossen die kommenden beiden Alben. Ja-Markt (1980) beginnt gleich mit Selbstkritik („Ich bin ein Folkfreak, ich bau mir eine Insel aus Musik“). Es folgt (Protest-)Rock, lieblicher Folk-Pop, Jazz-Rock - ein Zickzack-Kurs, den die Hamburger auf Noch aber ist April nahtlos fortsetzten.
Auch wenn die jüngeren Alben eigentlich nur echten Fans zu empfehlen sind, so liegt hier insgesamt doch eine großartige Edition vor. Denn Ougenweide pflanzten in ihrer besten Zeit bunte Verskunst in einem Klanggarten voll üppig sprießender Fantasie.
Gäbe es einen Preis für herausragende Verdienste um die deutsche Liederszene, ich würde ihn in diesem Jahr Richard Weize und seinen MitstreiterInnen vom rührigen Label Bear Family Records verleihen. Was das kleine, aber feine Label aus Holste-Oldendorf mit der Konstantin-Wecker-Compilation in diesen Tagen auf den Weg bringt, ist mehr als nur die opulente Würdigung des wichtigsten deutschen Liedermachers anlässlich seines 60.Geburtstages im Juni. Es ist zugleich eine klingende Chronik der jüngeren Geschichte der „alten“ Bundesrepublik Deutschland aus gänzlich anderer Sicht. Doch die engagierten Lieder Konstantin Weckers standen auch bei Teilen der DDR-Jugend als „Lebensmittel“ hoch im Kurs. Da gab es - unabhängig von den jeweiligen politischen Systemen - allgemeingültige Gesellschaftsanalysen mit den gleichen offenen Fragen. Die „einfache“ Menschlichkeit, das Hochhalten individueller Freiheit als das höchste Gut, die Visionen, das Unangepasstsein - Konstantin Wecker war in den 70er und 80er Jahren in bestimmten Kreisen von allen westdeutschen, politischen Liedermachern der Nachgefragteste.
Er führte mit anderen, ganz einfachen Mitteln vor, was politische Lieder tatsächlich sein konnten, wenn sie im Gegensatz zum gleichgeschalteten Agitprop-Song der DDR nicht propagierten, sondern argumentierten und dem eigenen Denken freien Lauf ließen: In den politischen wie in den zeitlos schönen Liebesliedern mit ihrer schwärmerischen Poesie.
So dürfte die vorliegende umfangreiche Dokumentation trotz ihres hohen Anschaffungspreises in Ost wie West ihre Liebhaber finden. Aber nicht nur in der Reflexion liegt der Reiz dieser Anthologie. Die DVD enthält den bislang unveröffentlichten Mitschnitt des Live-Programms der Solo-Tour „Am Flussufer“ von 2005 und damit über 30 Lieder des „neuen“ Konstantin Wecker. Nutzt man den Vorteil einer solchen Veröffentlichungschronologie, kann man auch die musikalische Entwicklung Weckers sehr gut verfolgen. Sowohl die Erfolgs- als auch die Irrwege.
17 CDs, 1 DVD, zwei Begleitbücher und insgesamt 337 Lieder in einer Edition von einem deutschen Liedermacher - wann hat es das in der deutschsprachigen Liederszene schon einmal gegeben ? Schade, dass es diesen Preis für herausragende Verdienste um die deutsche Liederszene (noch?) nicht gibt.
Studio: Box-Edition mit 7 CDs, 1 DVD und gebundenem Buch)
Live: (Box-Edition mit 10 CDs und gebundenem Buch)
Sich von den eben noch als verstaubt empfundenen Lyrikbänden der Großmutter begeistern zu lassen, das Volkslied mit seinen einfachen und doch so wahren Worten wieder hervorzuholen, nach einer neuen Romantik zu suchen, eine neues deutsches Lied zu erfinden - momentan scheinen sich einige Musiker eben damit zu beschäftigen.
Bobos Lieder von Liebe und Tod ist nicht das erste Album des letzten halben Jahres, das den Brückenschlag zwischen altem Text und neuem Ton versucht. Aber es ist das erste, das mich überrascht und begeistert: Intensiv, persönlich, anrührend, romantisch, traumhaft, niemals kitschig oder nostalgisch kommen die 14 Lieder der neuesten Traumton-Veröffentlichung daher. „Die Gedanken sind frei“ (Tipp! Track 6) und so kann durch Bobos klare Stimme, durch das ernsthaft-verspielte Zusammenfügen von heutigen Emotionen und gestrigen Worten etwas völlig Neues entstehen.
Ja, man kann Texte der großen deutschen Lyriker Goethe und Eichendorff vortragen, ohne in die Verkünstelung bildungsbürgerlich-kammermusikalischer Darbietungen abzurutschen. Ja, man kann alte Weisen aus dem Elsass, aus Siebenbürgen, aus dem Rheinland interpretieren, ohne sich an den oftmals gehörten, wunderbar altmodischen Texten zu verheben. Dank an Sebastian Herzfeld und Bobo, die den Liedern durch ihre ausgeklügelten Arrangements und die wundervoll sparsame Instrumentierung neues Leben einhauchen.
Bleibt festzustellen: Es kann das Volkslied im Jazz geben und Bobo hat mit dem Album Lieder von Liebe und Tod den ersten Meilenstein dieses eigenartigen Subgenres gesetzt. Ich bin gespannt, ob andere Musiker ihr auf diesem Niveau nachfolgen können. Bis dahin: Genießen Sie’s!
Auf dieser CD ist auffallend viel von Ruin die Rede, von Kapitulation sowieso, eine Festung kommt vor, Verschwörung, Resignation, Sich-Unterwerfen, Imitation, Explosion und die letzte gesungene Zeile heißt: Kein Wille triumphiert.
Nach zweijähriger Pause hat die Hamburger Band Tocotronic neue Lieder veröffentlicht, die aufhorchen lassen. Ist das noch die Band, die einstmals das „Seitenscheitel-Trainigsjacken-Typ-Image“ verkörpert hat wie kaum eine andere? Dass dies offensichtlich keine Position auf Lebenszeit sein kann, begriffen Dirk von Lowtzow, Jan Müller, Pick McPhail und Arne Zank ziemlich schnell. Und die Frage war von außen betrachtet, was sie aus dem „Danach“ herausholen würden. Für sich, für ihr Publikum und vielleicht auch für die deutschsprachige Popwelt.
Nun besingen sie in den zwölf neuen Liedern von Kapitulation zuerst das Irren und Wirren der eigenen Band. Da gibt es eine Reihe von Zitaten, von Erinnerungsschnipsel aus diversen historischen Motiven, die zunächst nur vorgeben, man kreise in einem Stadium der Stagnation um sich selbst, vielleicht sogar in sich selbst. Schließlich gehört das Gefühl, man selbst sei als einziger falsch in dieser Welt, wie wenige andere genau zu diesem Zustand und darf auch genossen werden. Und dann also Kapitulation. Vom Sänger ist der Ausspruch überliefert, es sei dies „das schönste Wort in deutscher Sprache. Ka-pi-tu-la-ti-on. Wie Töne die Tonleiter hinauf, so gleiten die Silben die Zunge hinab.“ (Dirk von Lowtzow). Dem bislang typischen Tocotronic-Sound des etwas stumpfen Gitarrengeschraddels wurde eine zweite Ebene unterlegt: entspannte Melodien, auch mal ein Glockentönchen, lang ausgehaltene Töne. Der Sänger kostet einerseits die Textzeilen aus und spielt trotzdem noch mit dem sonst eher verwirrenden Gestus des „das geht mich eigentlich alles nichts an“.
Einiges, was hier in einzelnen Zeilen und Songs steckt, wiegt schwerer als so mancher Jahrgang deutschsprachiger Popmusik, den wir schon zu erleben hatten. Anderes verschwindet nach dem ersten Hören wieder auf einer weiter entfernten Umlaufbahn im Universum. Aber es könnte sein, dass wir auch davon noch einmal hören werden. Wenn das auch Kapitulation ist, soll es mir recht sein.
Irgendwann braucht jeder Künstler, auch wenn er nicht ausgebrannt ist, Anstöße zu neuer Kreativität. Günther Gall hat sie gefunden und mit Klassiker op platt eine CD vorgelegt, die ich nur empfehlen kann. Darauf findet sich mit „Weltsaldoot“, Galls Nachdichtung des von Buffy Sainte-Marie geschriebenen und durch Donovan weltbekannt gewordenen Liedes, auch ein Titel, der gleich in die Top 10 der Liederbestenliste gesprungen ist.
Günter Gall hat auf Klassiker op platt „musikalische Glückwünsche zu seinem 60. Geburtstag“ vereinigt, wie er selbst sagt. Mit seiner einfühlsamen modulationsreichen Stimme trägt er Lieder vor, die teilweise von Kollegen arrangiert wurden oder die einige auch mit ihrem vielseitigen Instrumentarium begleiten. Die Melodien sind schon oder werden sogleich Ohrwürmer. Ein Aha-Erlebnis gleich am Anfang mit Villons „Ballade van et angenehme Läwe“ mit der leckeren Marie. Und dann „Et soot en kleen weld Vögeltje“ mit den klangvollen Flötentönen von Volker Leiß. Das allbekannte und beliebte Volkslied vom wilden Wassermann bekommt durch die niederdeutsche Mundart eine eigene gefühlvolle Spannung und Erregung, so wie der „Salmfeschershanty“ den Lebenskampf der Menschen am Niederrhein, der Heimat Günter Galls, widerspiegelt. Noch erwähnen möchte ich „Dä Pohl“, im Original „L‘estace“ von Lluis Llach, ein Lied für das die Zwillingsbrüder Hein und Oss Kröher einen deutschen Text geschrieben haben, das jetzt in Günter Galls Platt und mit der Gitarrenbegleitung von Konstantin Vassiliev erklingt.
Gall benutzt „Missingsch“ als die der Schriftsprache angenäherte niederdeutsche Sprachform. Der Text ist also meist verständlich und nachvollziehbar. Hilfreich ist im Booklet mit fast allen Liedtexten die Übersetzung der Ausdrücke, die man nicht erraten kann. Das Booklet ist so gestaltet, dass man die Texte sogar (!) lesen kann, weil die winzige Schrift eben nicht, wie heute meist unverständlicherweise angewandt, mit Bildern und Grafiken unterlegt, unkenntlich gemacht ist und den Kampf ums Gelesenwerden verlieren muss. Bei so viel Sympathie bin ich auch geneigt, über einige wirklich ärgerliche Fehler hinwegzusehen, für die wohl Schlamperei bei der Korrektur im handgemachten Booklet verantwortlich ist.
Und bekennen muss ich mich zu meiner Schwäche für den Dialekt - wohl deshalb, weil ich selbst keinen Dialekt beherrsche. Verschafft Schriftsprache mehr Respekt als Mundart? Mir gegenüber nicht. Ich will nicht akademisch werden, andere mögen anders empfinden. Mir signalisiert Dialekt nicht Bildungsmangel, vielmehr offenbart er oft eine ganz persönliche Ausstrahlung und Atmosphäre. Und durch örtlich übliche, eigentümliche, ja spezifische Vokabeln bietet Mundart häufig eine punktgenaue Beschreibung, oft mit oder in nicht unbedingt liebenswürdiger, aber überraschender Ehrlichkeit. Man denke nur an den spitzfindigen Hanns Dieter Hüsch und seinen Herrn Hagenbuch, auch ein liebenswerter Niederrheiner!
Als ich den Titel von Wenzels neuem Album las, fiel mir sofort ein ähnlicher von Heinz Rudolf Kunze ein. 1984 sang der: „Glaubt keinem Sänger, ist meine erste und letzte Parole. Glaubt keinem Sänger, schlachtet die Idole.“ Und ich hatte zunächst erwartet, Wenzels „Glaubt nie, was ich singe“ würde ähnlich provokant und radikal werden. Ein Irrtum. „Die Melancholie zieht den Firnisglanz über die hölzernen Dinge, und wiegen versunken wir uns im Tanz, dann glaubt nie, was ich euch singe.“ So heisst es bei Wenzel. Und das ist weder provokant, noch radikal. Das ist Poesie pur und dabei so kraftvoll.
Ich könnte dutzendweise Strophen aus Wenzels neuem Album zitieren, die mich in eben solchen Bildern stark berühren. Selbst der Mühsam-Text („An dem kleinen Himmel meiner Liebe“) fügt sich nahtlos ein: Wenn man nicht wüsste, dass Wenzel hier ein Gedicht Erich Mühsams vertont hat, man könnte meinen, es sei ein Wenzel-Text - zumal Mühsam in seinem Gedicht als Ich-Erzähler ebenso auftritt wie Wenzel in seinen meisten Texten und Theodor Kramer, dessen Gedichte Wenzel 2006 („Vier Uhr früh“) so wunderbar vertont hat.
So sind denn für mich die Lieder der neuen CD eine konsequente Fortsetzung jener einfühlsamen wie originellen Kramer-Vertonungen, allerdings (endlich!) wieder mit eigenen, mit Wenzel-Texten. Und die erzählen von ihm. Allerdings: Ob es tatsächlich immer Wenzel ist, der da träumt, trauert oder tanzt, soll und muss man nicht hinterfragen, denn: siehe Albumtitel. Entscheidend ist, dass uns Wenzel - der intelligente und brillante Formulierer - Geschichten erzählt, Bestandsaufnahmen von Befindlichkeiten, die in ihrer sympathischen, lebensbejahenden Grundstimmung eher ins Philosophische abgleiten als je ins banal Alltägliche. Mit zupackender Heiterkeit und nachsinnender Reflexion formt er seine Texte, die er so verständlich artikuliert, dass man sie - ohne mitzulesen(!) - tatsächlich versteht.
Dabei korrespondieren Text, Musik, Gesang und musikalische Anmutung so wunderbar - wann hab‘ ich das in dieser Perfektion in der deutschen Liederszene das letzte Mal gehört?
Musikalisch zeigt sich Wenzel auf „Glaubt nie, was ich singe“ erneut als Melodienerfinder und Arrangeur der unaufgeregten Art. Einfach strukturiert, aber nie trivial. An Folk und Volkslied orientiert und dabei voller Überraschungen. Vor allem in den stimmigen Arrangements, bei deren Umsetzung er auf exzellente Musiker setzen kann. Gerade die sparsam, dafür aber um so wirksamer eingesetzten Bläser und Streicher, das prägnante Schlagzeug, aber auch die Backgroundstimmen (Töchterchen Mascha ist auch zu hören!) und die oft im Vordergrund agierenden E-Gitarren stützen die Lieder Wenzels - sie decken sie genausowenig zu wie die überzeugenden Ausflüge in rockige, moderne Gefilde der aktuellen Deutschpopszene.
Wenzels neues Album rundum zu empfehlen ist mir eine große Freude. Gerade jenen, die meinen, nach der „Ära Wader-Wecker-Mey“ würde in der deutschen Liederszene nichts mehr kommen hierzulande, sei es ans Herz gelegt. Anders als Wader, Wecker und Mey - Wenzel eben, dem ich gern glaube, auch wenn ich‘s eigentlich nicht soll ... .
Da inzwischen insgesamt sieben seiner älteren LPs - Rechteinhaberin ist die Firma Universal - trotz anhaltender Nachfrage vom Markt genommen wurden, hat sich Hannes Wader kurzerhand entschlossen, ein Album mit 20 neu arrangierten Songs aus der Zeit von 1974 bis 1991 neu aufzunehmen. Allein fünf der neu produzierten Titel stammen von der 1989 veröffentlichten LP Nach Hamburg, nach Waders eigener Einschätzung eines seiner „besten Alben“. Weitere Schwerpunkte: vier Songs vom Album Nie mehr zurück von 1991 und mehrere Titel von seinen Volks- und Arbeiterlieder-LPs. Darunter sind auch eine Reihe von Songs, die Wader eigentlich immer schon neu einsingen wollte. Er gibt freimütig zu, ohne sich dabei von seinen alten Aufnahmen zu distanzieren, dass er mit neuen Liedern den Plattenproduktionszwängen gehorchend häufig zu früh ins Studio gegangen sei. Ein neuer Song „sitze“ nach seiner Erfahrung aber erst dann richtig, wenn er ihn vierzig bis fünfzig Mal auf der Bühne vorgetragen habe. Beste Voraussetzungen also für die Neuaufnahme der alten Bekannten (Tontechnik und Co-Produktion: Ben Ahrens) mit neuen und, wie ich finde, sehr gelungenen Arrangements . E i n e n „neuen“ Titel gibt es allerdings auf dieser CD: Hannes Wader in französischer Sprache mit der von Reinhard Mey vor 40 Jahren ins Französische übertragenen Version des Lieds „Begegnung“ („Rencontre“) von Waders erster LP.
Das große Plus dieser außergewöhnlichen neuen CD ist die exzellente, glänzend auf Wader eingestellte achtköpfige Begleitband. Sie trägt wesentlich dazu bei, dass jene altbekannten Songs, mit deren Originalfassung Wader nicht ganz zufrieden war, nun eine völlig neue Dynamik bekommen. Die Band bildet vor allem ein starkes rhythmisches Fundament, auf dem sich der Gesangs- und Gitarrensolist offensichtlich sehr wohl fühlt. Hier ist von dem, was er im Gespräch mit Ralf Krämer einmal beklagt hat, er spiele auf seinen alten Platten „alles zu überhastet“, nichts mehr zu spüren. Wir erleben auf dieser CD einen sehr souveränen und gelassenen Hannes Wader, dessen Songs in der Tat im von ihm angestrebten „ruhigen und starken Tempo (zu) grooven“ scheinen. Und so wundert es nicht, dass er wieder einmal bedauert, „außerhalb des Studios ein Einzelgänger zu sein“.
Bezogen auf das Neuarrangement des Einzeltitels „Folgenlos“ möchte ich sogar sagen: es ist der „rockigste“ Hannes Wader, den ich je gehört habe. Wader-Puristen können aber ganz beruhigt sein: abgesehen davon, dass bei einigen Titeln (z. B. „Traumtänzer“), gemessen an früheren Aufnahmen, die ungewohnte Prägnanz des Schlagzeugs den „Beat“ deutlicher markiert (und den Songs damit eine ganz neue Energie gibt), sind grundlegende formale Änderungen, wie etwa der überraschende, aber reizvolle neue Rhythmus bei „Mit Eva auf dem Eis“, eher die Ausnahme. Die Arrangements sind bewusst so konzipiert, dass das Klangbild der ja teilweise ebenfalls schon reich instrumentierten Originalfassungen (z. B. bei „Nach Hamburg“) trotz der beschriebenen Änderungen respektiert bleibt. Dennoch vermitteln sie, nicht zuletzt aufgrund ihrer festen rhythmischen Struktur, den Eindruck wesentlich größerer musikalischer Intensität. Das gilt für Songs wie „Capuccino 2“ ebenso wie etwa für „Es ist schon viele Jahre her“ (von Der Rattenfänger), wobei sich ihr Autor dank seiner heute abgeklärteren Weltsicht die Freiheit genommen hat, hier jeweils kleine, aber wichtige Textänderungen vorzunehmen. Ebenso überzeugend auch die einfühlsamen Neuaufnahmen der Lieder im Volkston wie z.B. „Der König von Preußen“, „Die Moorsoldaten“, „Mamita mia“ oder „Wilde Schwäne“.
Die CD Neue Bekannte schließt mit der Neuproduktion des ironisch-sarkastischen Lieds „Schön ist das Alter“. Es scheint fast so, als habe sich der Musiker Hannes Wader, der in diesem Jahr 65 Jahre alt geworden ist, vorgenommen, dieses „Motto“ ernst zu nehmen - so heiter-entspannt präsentiert er sich zusammen mit seinen musikalischen Mitstreitern auf diesem sehr empfehlenswerten Album.
Der ostdeutsche Lieder-Sänger Gerhard Gundermann starb vor neun Jahren – und immer mal wieder seitdem hat das Ostberliner Buschfunk-Label Schätze heben können aus dem Nachlass dieses Songpoeten, der diesseits wie jenseits alter und neuer Grenzen nicht seinesgleichen hatte und hat. Das Zeug zum deutschen Bruce Springsteen hat er besessen, seit er sich in der halblegalen DDR-Szene der späten 70er und frühen 80er Jahre durchzusetzen begann. Hier, im Frühjahr 1998, wenige Wochen vor seinem Tod, sitzt Gundermann bei den Aufnahmen zu dieser CD daheim in Hoyerswerda allein mit sich, der Gitarre, der Schauspielerin Petra Kelling sowie dem höchst lebendigen Geist der damals über 70-jährigen Oma Else zusammen: und versichert sich mit ihrer Geschichte auch der eigenen.
Oma Else ist Gundermanns Schwieger-Großmutter, die Oma also seiner Frau Conny. Geboren 1914 in der tiefsten Lausitz, hatte sie im hohen Alter begonnen, ihr Leben aufzuschreiben: ein Leben „von unten“, als Landarbeiterin durch Kaiserreich und jeweils zweimal Republik und Diktatur hindurch; mit vor Anstrengung oft krummem Rücken, aber nie mit gebrochenem Rückgrat; mit frohem, offenem Herzen und klarem, klugem Kopf. Sie hat gar nichts Sensationelles erlebt - und doch ist dies der Stoff, aus dem dieses Land gewoben ist. Petra Kelling liest Episoden aus dieser Geschichte: schlicht, unspektakulär, voller Sympathie; und Gundermann strickt die eigenen Lieder Strophe um Strophe, und dramaturgisch sehr geschickt verzahnt mit dem Text, hinein in dieses Tee- und Kaffee-Kränzchen deutscher Geschichte.
Und siehe (oder höre) da - wie da Oma Else vom Werden der wirklichen Welt zu erzählen hat, so ist der Sänger Gundermann der poetische Interpret dieser Geschichte. Und das heißt: dieses Landes. Wie fremd es auch geworden sein mag im Abstand von so vielen Jahrzehnten, es kommt uns doch ganz nah mit dieser „Hör-Geschichte in Liedern“ - als ein starkes Stück Heimat. Kaum ein Begriff in Deutschland, der so elend, so fatal missbraucht und geschunden worden wäre wie dieser; und dass deutsche Liederleute so verzweifelt kämpfen müssen um jeden Moment der Wahrnehmung, jede Medienminute im eigenen Land, hat ja auch mit dieser Schändung der „Heimat“ zu tun. In der gewesenen DDR jedoch (und noch ein paar Jahre danach) hat einer gelebt und gesungen, der vom Gegenteil erzählt hat - und es hier noch einmal tut: Gundermann eben. Niemals zuvor und auch nicht danach hat es einen Heimatsänger gegeben wie diesen.
„Stubenmusi ist die beste Empfängnisverhütung“, diesen Ratschlag gaben die Eltern Well ihren Töchtern mit auf den Weg. Na ja, sie müssen es ja wissen, immerhin brachte es die Musikantenfamilie auf 17 Kinder. Drei der Söhne beobachten und kommentieren das Zeitgeschehen als Biermösl Blosn, da wollten die Schwestern nicht nachstehen und sind seit 20 Jahren als Wellküren unterwegs: Moni, Burgl und seit einem Jahr Bärbl als dritte Frau an Hackbrett, Harmonika, Saxophon und natürlich als dritte Stimme im wie immer perfekten Dreigesang.
Zum Jubiläum legen die Wellküren ein Livealbum vor mit dem urbayerischen Titel Forever. Ein Lied (oder Song) in dem folgende Fragen beantwortet werden: Wie lang soll die deutsch-amerikanische Freundschaft noch bestehen, wie lange bleiben die Amerikaner noch im Persischen Golf und wie lange bleibt Edmund Stoiber noch Ministerpräsident in Bayern; da braucht es nicht vieler Worte, eines - unzählige Mal wiederholt - reicht, „Forever“, das übrigens sehr textsicher vorgetragen wird. Dem folgt dann noch die Liebeserklärung an die weißblaue boarische Heimat. Und ihre 87-jährige Mutter darf auf der Zither bei der Zugabe die Töchter begleiten.
Zuvor bekommen schwergewichtige und internetsüchtige Männer ihr Fett weg, bewerben die drei sich mit ihrem Hungerhit für den Grand Prix Eurovision, und wenn es für den Sohn rein intellektuell schon nicht zur Karriere als Fußballstar reicht, dann langt es immer noch zur Karriere bei der Hypobank. Mit dem Dreschflegel würden sie am liebsten die Minister Seehofer und Schnappauf, Otti Fischer, den Bischof von Regensburg und Mister President Doubleyou bearbeiten.
Was die drei Well-Schestern hier bieten, ist köstliches Musikkabarett, das auch nördlich der Mainlinie verstanden werden kann, zumal die Texte im Booklet abgedruckt sind.
„Da Blues is bei mir eizog‘n, nix is mehr wia zuvor, aber irgendwie kimmt a ma vor wia a guader older Freind“. Kein Zweifel, der Mann spricht die Wahrheit. So spielt ihn keiner, der den Blues nur hat, so zelebriert ihn einer, der ihn liebt und lebt. Schon lange hat mich kein Deutsch gesungenes Album mehr musikalisch so stark eingenommen. Die CD mit offene Knia beweist wieder einmal, dass das Vehikel für Lieder eben die Musik ist, will heißen, die Melodie und ihre musikalische Umsetzung. Wer hört sich schon zum wiederholten Mal eine CD an, deren Melodien und Arrangements langweilig und kraftlos sind. Da können die Worte noch so wohlgeformt und gut gemeint sein.
Ganz anders Schorsch Hampel und seine Bagasch auf ihrem mit Ausnahme des Bonustracks vollakustisch aufgenommenen neuen Album: Man spürt vom ersten Ton an, dass hier ein paar gestandene Männer den Mississippi-Blues aufgesogen haben. Die Songs sind knackig, kräftig gespielt und die Melodien weisen gerade die richtige Dosis an Erkennungswert auf. Vor allem Bandleader Hampel an der Slide-Gitarre und anderen Gitarren und Ferdi Eichner an der Mundharmonika sind eine Klasse für sich. Ach ja, und Schorsch Hampel singt den Blues nicht auf „Deutsch“, er singt ihn auf Bayerisch. Die Texte sind so ehrlich wie die Musik und schaffen die direkte Verbindung vom Mississippi-Delta zu Bayern.
Allerdings musste ich schon ein paar Mal reinhören, um jedes Wort zu verstehen. Das machte mir zwar überaus Spaß, doch wäre für Nicht-Bayern ein Abdruck der Texte kein Luxus. Mit offene Knia kann ich trotzdem auch allen Nicht-Bayern wärmstens empfehlen. Von den elf starken Songs und einem Instrumental möchte ich vor allem die Dylan-Adaption „Zum Lacha braucht‘s an Haufa, zum Waana langt a Zug“ und das ausschließlich mit Gesang, Mundharmonika und Handklatschen eingespielte „Da Blues is bei mia ei‘zog‘n“ hervorheben. Wetten, der Mann bekommt den Blues nicht mehr los!
130. Geburtstag, 45. Todestag - Hermann Hesse wird uns in diesem Sommer noch oft begegnen, wenn ihn die themenkonjunkturellen Feuilletonschreiber preisen. Jan Martin Mächler hat das nicht nötig. Er beschäftigt sich seit Jahren mit Hesses Lyrik, die viel weniger bekannt ist als Romane wie Der Steppenwolf und Siddharta. Der Berner Musiker kommt von der Klassik her; er ist ein gefeierter Oratoriensänger und Operntenor. Als Komponist, Interpret und Multiinstrumentalist lässt er sich nur gelegentlich von Gastmusikern auf Gitarren, Perkussions- und Streichinstrumenten aushelfen. Seinen Vertonungen, die dem Kunstlied näher stehen als der Wandervogelseligkeit des Liedermachens, ist anzumerken, dass er sich gründlich auf die Texte eingelassen hat.
Mit jeder Zeile, nahezu jedem Wort müht er sich ab wie ein Steinmetz mit dem Werkstoff, findet Akzente, Perioden und Rhythmen, hält inne, tritt in Dialog mit Begleitinstrumenten, entfesselt, staut, kanalisiert und lenkt die Melodieströme. In seinen Versen hielt sich Hesse selten an Formstrenge und sparsame Verdichtung; die hier ausgewählte Lyrik ist eher eine meditative Versuchsanordnung über Themen wie Vergänglichkeit, Natur, Alter, Gottesferne und -suche, Erinnerung und Sehnsucht.
Dieses Grübeln und Herumprobieren mit Worten, Bildern und Gedanken vollzieht der Komponist nach, z. B. wenn er einzelne Passagen wiederholt und verschränkt. Bei dem Lied „In Sand geschrieben“ sind es die hier aneinander gereihten Sinnbilder für Dauer und Flüchtigkeit: „
Wolke, Blume, Seifenblase,
Feuerwerk und Kinderlachen,
Frauenblick im Spiegelglase
...Edelstein mit kühlem Feuer,
Glänzendschwere Goldesbarre;
Selbst die Sterne, nicht zu zählen...“
Das überschwänglich-sakrale Pathos des oft mehrstimmigen Vortrags mag gewöhnungsbedürftig sein: Für Hesse, der zeitlebens dem Theater entsagt hat und nie verfilmt werden wollte, sind diese ausdrucksstarken Litaneien und strahlenden Akkorde, in denen Ironie und Verfremdung, Rock- und Bluesfarben in der Art von King Crimson nicht fehlen, die angemessene Inszenierung. So könnte die imaginäre Musik des Glasperlenspiels klingen. Wer sich aus seiner Hesse-Phase noch einen Sinn für gediegene künstlerische Wertarbeit behalten hat, wird diese Vertonungen lieben und sich die CD beschaffen.