Persönliche Empfehlung Album

Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Album ab und begründet diese schriftlich.

DEZ 2011  Martin Steiner, Winterthur, Schweiz

Juli Kapelle - Alchemie

Flüssiges Metall, das zu Gold wird? Eine versteinerte Hand mit starken Linien, ein Vogel auf der Handfläche, Wolken mit Augen? Die Bilder des CD-Booklets der Fotografin Herzschwester lassen sich nur deuten. Etwas dunkel, mystisch sind sie. Genauso schwer und kryptisch wirken die Texte der Juli Kapelle aus Aschaffenburg. Man kann die Worte verstehen wie man will – ihre Mehrdeutigkeit, ihre Melancholie, die sie ausströmen, verströmen einen starken Sog. Die Musik der Band verstärkt die Wirkung der Texte. Jeder Ton ist gesetzt, jeder kommt glasklar aus den Lautsprechern.

Was spielen Juli Kapelle eigentlich? Indie-Rock, Folk-Rock, Art-Rock oder sind Stücke mit Namen wie „Treiber“, „Krebstanz“ oder „Schattenwerfer wacht auf“ einfach nur Lieder? Alchemie ist mehr als die Anhäufung von zwölf Liedern und Instrumentalstücken. Vom ersten bis zum letzten Ton schafft das Album eine Stimmung, wie sie von deutschsprachigen Bands kaum erzeugt wird. Im Vordergrund stehen Saiteninstrumente: Zupfgitarren, Dobro, Mandoline, ein wunderschön atmosphärischer Akustikbass – dazu Schlagwerk, hie und da ein Cello und ein Klavier. Vergleiche greifen zu kurz. Von der Stimmung her kommen einem die Lieder von Nick Drake oder die CD The Blue Room von Terry Lee Hale in den Sinn. Wie auch immer: Alchemie verströmt eine dunkle, aber lichtdurchflutete Magie. Wen Texte wie

„Ich mach jeden Fehler nochmal
solang, bis er perfekt ist
renn jedem fahlen Licht hinterher
solange, bis es weg ist
denn es ist immer wieder neu
weil immer wieder anders“

inspirieren, findet im aktuellen Werk von Juli Kapelle ein Füllhorn solcher Gedanken. Ach ja, wer sind Juli Kapelle eigentlich? Die Band besteht vor allem aus „as“, bürgerlich Achim Sauer, der alle Lieder für das Album schrieb, oder zumindest daran beteiligt war, der auch alle Gitarren und gitarrenähnlichen Instrumente spielt. Neben dem „Kapellmeister“ sind vor allem Schlagzeuger Stefan Gerlach und Bassist Wena zu erwähnen. Alles klar? Nein, gar nichts? Am besten einfach mal reinhören.

NOV 2011  Petra Schwarz, Berlin

Haase & Band - Die besseren Zeiten

„Und da ist es nun doch der 7. Oktober geworden. Wir sind wirklich stolz und glücklich, vor allem stolz, dass wir nach der langen Arbeitsphase – immerhin seit April 2010 – endlich ein Album auf dem Markt platzieren konnten.“

Das schreibt Haase, Christian Haase am 7. Oktober 2011, dem Tag der Veröffentlichung des nagelneuen 5. Albums auf seiner Website. Der 7. Oktober – Zufall? Oder will er damit doch etwas „sagen“? Immerhin hat der Leipziger seine Kindheit in einem Land verbracht, das an einem 7. Oktober gegründet wurde und seit 1990 nicht mehr existiert. Er war damals zwar wirklich noch ziemlich klein und doch scheint mir ab und an ein Stück weit DDR-Lebensweise durchzuklingen. In „Benzin im Kopf“ singt er: „Weißt du noch, wir diskutierten heiß die Politik im Freundeskreis. Keiner von uns war ein Held, doch hat sich‘s jeder vom andern vorgestellt.“ Oder in „Mittendrin“: „Wir sind immer mittendrin, und wir sind dabei. Wir sind immer zwischendrin. Aber wir sind dabei.“

Mit zwölf Jahren hat Haase angefangen, eigene Lieder zu schreiben, nachdem er drei Jahre zuvor zur Gitarre gefunden hatte, weil seine Mutter wollte, dass er ihr „Sag mir, wo die Blumen sind“ vorspielt. Seitdem ist viel passiert, seine erste – wie er sagt – Kapelle The Coloured Carrots“ (O-Ton Haase: „Das passt gut zu Haase.“) ist längst passé, und er hat allein seit 1995 rund 200 Songs geschrieben.

Elf sind jetzt auf "Die besseren Zeiten" zu hören – einem Album voller kraftvoller Rocksongs, schnörkellos und geradlinig, alle getextet und komponiert vom Protagonisten Christian Haase. Das vorliegende Werk ist das Ergebnis eines zweiten Anlaufs. Zu Jahresbeginn bereits fertig gestellt, war es die nicht ganz leichte Entscheidung von Haase und der kompletten Band (Tina Powileit am Schlagzeug, Daniela Schwabe am Bass und René Schostak an der Gitarre; hinzu kommt in Titel 8 und 11 das Saxophon von Reiner Hess), damit noch einmal von vorn zu beginnen. An den Reglern saß René Schostak, der zusammen mit Tommy Remm (u. a. Silbermond, Texas Lightning oder Mark Terenzi) ein rundes, knackiges und durchweg gut hörbares Werk produziert hat.

Ich finde, mehrere der Songs haben das Zeug, Hits zu werden. „Trotz“ dichter Texte.
M e i n e  sind „Leben zum Fressen gern“, „Mittendrin“ und „Fledermäuse“. Und Ihre?

OKT 2011  Kai Engelke, Surwold

Blues Lick - Da Deifesweg

Tief aus dem Süden Deutschlands, nämlich aus Ingolstadt/Bayern, kommt der Singer/Songwriter, Liedermacher und Bluesmann Helmut Licklederer, in der Szene besser bekannt als Blues Lick. Mit Sicherheit gehört er zu der stetig anwachsenden Riege derjenigen Musiker, die durch ihre Kunst all jene Lügen strafen, die den einzig amtlich zulässigen Blues ausschließlich von schwarzen Musikern aus den USA repräsentiert sehen wollen. Im Grunde handelt es sich um eine längst überflüssige Debatte, doch die Fähigkeit und Bereitschaft, über Genre- und andere Grenzen hinauszublicken, ist noch längst nicht überall etabliert.

Blues Lick fühlt sich dem Roots-Blues verpflichtet, und das ist in nahezu jedem Takt seiner neuen CD Da Deifesweg nachzuempfinden. Erdige, staubtrockene, traditionelle Bluesklänge treffen auf skurrile, abenteuerliche und durchaus komische Geschichten über ziemlich schräge Sonderlinge, Nervensägen, Spinner und Chaoten – und alles gepaart mit echter Spielfreude und entspanntem musikalischem Können.

Neben den elektrischen Gitarren, gespielt von Matthias Inderst und Blues Lick (Slidegitarre), Bernhard Schönke am Bass und Raimund Liebhaber (Schlagzeug), ist besonders Ferdl Eichner mit seiner Bluesharp hervorzuheben. Die gleichermaßen permanente wie brillante Präsenz dieses Musikers verleiht dem neuen Album eine ganz besondere, spezielle Note. Akustischer Blues vom Feinsten. Blues-Groove aus den bayerischen Swamps halt.

Das Titelstück „Da Deifesweg“ thematisiert natürlich die alte Legende von der geheimnisvollen Weggabelung, an der der Teufel ab und an aufkreuzt, um ehrgeizigen Musikern für den Preis ihrer Seele den ultimativen Blues zu verkaufen. Robert Johnson hat diese Geschichte erstmals in seinem Song „Cross Road Blues“ erzählt. Auch Blues Lick begab sich auf die Suche nach dieser Kreuzung, hat sie aber wohl in den bayerischen Swamps nicht entdeckt. Jedenfalls traf er den Teufel nicht. Aber der Blues hat ihn getroffen, nämlich aus Enttäuschung darüber, mit dem alten Herrn der Finsternis nicht ins Geschäft gekommen zu sein. Und nun kann der Blues Lick sich darüber freuen, seine Seele nicht verscherbelt zu haben.

Apropos über den Genrerand blicken: Die beiden letzten Songs des Albums – „Katzengoid“ und „Paula“ – verdeutlichen schließlich, dass Blues Lick nicht nur ein intensiver, spielfreudiger Bluesmann ist, sondern ebenso ein ganz normaler Singer/Songwriter voller Gefühl und Wehmut. Als wenn Gefühl und Wehmut nicht gleichermaßen Charakteristika des Blues wären. Weg mit diesem ewigen Schubladendenken! 

SEPT 2011  Michael Laages, Berlin

Sabrina Ascacibar - Wo bist du?

Stimmt: auf dieser CD wird vergleichsweise wenig Deutsch gesungen. Zu wenig bestimmt für strengere Richtlinien bei der Pflege des deutschsprachigen Liedes – aber Deutschland ist eben nur die Arbeitsheimat für Sabrina Ascacibar, und im feinen Blankenese gehört es für sie zu den wichtigsten Pluspunkten, dass die Elbe sozusagen in Griffweite ist und der Blick auf den Strom das Fernweh schon ein wenig stillt. Die Schauspielerin und Sängerin stammt aus Argentinien, und das Leben verlief reichlich kosmopolitisch für sie, bevor sie sich in Hamburg niederließ; vor allem das Theaterpublikum dort hat sie schon kennen und schätzen gelernt – bevorzugt als himmelwärts flirrende Stimme in einigen der Liederabende von Franz Wittenbrink.

Aber auch wenn mal wieder eine schöne Fremde zu besetzen an irgendeiner Bühne, kam zuweilen Sabrina Ascacibar ins Spiel. Daneben hat sie eigene Chanson-Abende kreiert; „Ahoi!“ hieß einer, er handelte vom Meer und den Menschen an seinen Ufern; der stimmungsvolle Livemitschnitt aus dem Sankt-Pauli-Theater auf der Reeperbahn erschien vor drei Jahren.

Wo bist Du? ist ganz anders; vor allem (und darum stimmt diese Empfehlung eben doch!) auf Grund der in jeder Hinsicht erstaunlichen, extrem phantasievollen, emotional mitreißenden Texte, die Ascacibar in der – nun ja- „Arbeitsmuttersprache“ zu überwiegend eigenen Kompositionen geschrieben hat. Aber eben auch in Englisch und auf Französisch; neben –natürlich – dem heimisch-spanischen Klang. Auch ins brasilianische Portugiesisch kann sie hinüber wechseln – durch alle Sprachen hindurch jedoch klingt der Eigensinn einer Stimme, wie sie wirklich rar ist unter Chanson- und Liedersängerinnen in Deutschland. In besonders abgedrehten Momenten kann Sabrina Ascacibar den Eindruck vermitteln, als sei sie eine Hybrid-Kreuzung aus Kate Bush und Tom Waits – so zart hebt sie ab, so deftig kann sie landen.

Sie erzählt zuweilen ziemlich kryptische Geschichten – von dem Mädchen, das in einem verliebten Baum verschwand, von einer Entführung durch den Mond höchstpersönlich; launige Sehnsuchts- und finstre Abschiedsphantasien gehen Sabrina Ascacibar elegant von der Hand. Wer sich ein bisschen gründlicher auf diese Texte einlässt, entdeckt (jenseits aller Text-Routinen) eine gehörige Menge poetisches Talent.

Meisterlich bewährte Musiker aus verschiedenen Hamburger Bands haben sie in verschiedene Studios begleitet, in Buenos Aires, in Santa Fe, in Hamburg natürlich; und das Ergebnis der Arbeit ist fein und filigran gewichtet zwischen Stimme und Sound, veröffentlicht obendrein von einem der herausragenden Einzelgänger im deutschen Musikgeschäft: von Richard Weize, dessen Bear Family Records im Teufelsmoor vor Bremens Toren schon deshalb legendär sind, weil deren Programm in keinerlei Schublade passt.

Das gilt auch für Sabrina Ascacibar – und wenn jemand wie sie irgendwo in Deutschland Aufmerksamkeit finden kann, dann hier, in der Liederbestenliste. 

AUG 2011  Eva Kiltz, Berlin

Rainald Grebe - Zurück zur Natur

Ein bisschen lang hat er uns warten lassen auf das neue Studioalbum. Zwischendurch, beim Abspielen des Livealbums Das Hongkongkonzert oder der DVD Die besten Lieder meines Lebens, konnte man schon auf den Gedanken kommen, dass man genug gehört hat von der Nölstimme mit den monotonen Melodien. Aber kaum legt man das neue Album ein, erscheint es wieder, das fast verlegen wirkende Grinsen, als hätte da einer an unseren kleinen kollektiven Neurosen gerührt. Vielleicht hat er das.

Spätestens wenn Grebe auf dem Weg zum eigenen Bad vom Chines‘ überholt wird und beschließt, ihn einfach ziehen zu lassen, um dann eben später nach den Menschenrechten zu fragen, wird aus dem Glucksen ein Gickeln und daraus ein zynisches, trotzdem befreiendes Lachen. Dazu tragen natürlich auch Klischees bei, wie der tote, zum Verzehr gedachte Hund im Kühlschrank oder die klappernden Stäbchen der gelben Männchen in der Küche („China“).

Das könnte schnell banal wirken, tut es aber nicht. Vielleicht weil diese Aneinanderreihung von Plattitüden so herrlich unformatiert ist, uns nichts verkaufen will, sondern einfach nur die politisch unkorrekten Gedanken erwachsener, ein wenig selbstbezogener Großstädter auflistet. Da passt dann auch wieder die nölige Stimme und gerade die monotone Songstruktur fängt die Enge unserer Medienrepublik Deutschland ein.
Einfacher gesagt: Rainald Grebe schreibt den Subtext zur Gegenwart der Berliner Republik – in der man nur ankommen kann, wenn man vorher durch die blühenden, aber dünn besiedelten Landschaften von „Brandenburg“, Doreens Mecklenburg oder jetzt auch von „Sachsen“ gefahren ist. Man sollte ihn Untertitel zur Tagesschau schreiben lassen, so treffend fängt er die medialen und realen Sehnsüchte („Landleben“) und Ängste („China“), die Befindlichkeiten („Alles richtig gemacht“) und Versprechen („Ausleben“) der Republik ein.

Ein wenig ist er auch Chronist der Coupland‘schen Generation X. Es sind die Widersprüche im Alltag der mit TV- und Medienrealität Aufgewachsenen, die Grebe auf den Punkt bringt. Es sind die kleinen Lebenslügen derer, die behaupteten, nicht schon wegen des Zukunftsversprechens eines Bausparvertrags Spießer werden zu wollen, über die er berichtet.

Er beschreibt den Zwiespalt zwischen dem Bedürfnis nach Kontemplation und der kommunikationstechnischen Allverfügbarkeit, der die Sensiblen dieser Generation in den Burnout treibt, während die Hartgesotteneren in Zynismus oder stille Wut verfallen. Grebe ist ein zynischer Chronist, einer, der die Achillesverse seiner Zeit nicht nur kennt, sondern sie auch reimt.

Und selbst wenn das alles so nicht stimmen sollte und die ganze Interpretiererei am Ende gar nicht die Intention des Rainald Grebe trifft, so bleibt doch wenigstens: ich habe mich sehr amüsiert und mal wieder laut gelacht. Das reicht dicke, um reinzuhören, Lady Gaga ist eh grad beim Zahnarzt („Cassettenrekorder“)! Hey, und danke für das Sweet- Home-Alabama-Zitat („Burnout“).

JULI 2011  Peter Eichler, Leipzig

Sebastian Krämer - Akademie der Sehnsucht

Die Erfurter Krämerbrücke ist weltberühmt. Wer sie überquert, geht einfach gerade aus von Ost nach West oder umgekehrt. Wer mit Sebastian Krämer in dessen Gedankenwelt unterwegs ist, der muss sich auf gewundene Sätze einstellen, auf exzellentes Klavierspiel und gelegentlich auf gekonnt und doch ungewöhnlich hohen Gesang. Krämer, der mehrfach gekrönte König des Poetry Slam hat unter dem Titel Akademie der Sehnsucht eine neue Doppel-CD unters Liedvolk gebracht, auf der er älteres Songs und neue geschickt vereinigt hat.

Zweigeteilt ist das Projekt in einen theoretischen Teil und in einen praktischen, wobei letzterer ein Livemitschnitt ist. Aber ob theoretisch oder praktisch – immer ist es das Leben, das in seinen Liedern stattfindet – allerdings nicht das, was viele als normal ansehen. Denn viele von Sebastian Krämers Geschichten werfen einen Blick in die Nischen unseres Daseins, auf das, worüber wir nicht gern reden, was unsere kleinen Geheimnisse und Macken sind. Reizvoll nach wie vor ist der ungewisse Ausgang von Krämers Liedern. Was am Anfang einer Story scheint, muss am Ende keinesfalls sein. Er schreibt seine Stories fort, entwickelt sie zielstrebig und serviert am Ende eine Pointe, mit der er vielleicht manchmal selbst nicht rechnet.

Dabei erweckt er durchaus den Eindruck von komischer Hilfsbedürftigkeit, der aber sehr schnell weggewischt wird, wenn Songs wie „ Aber er bringt dich zum Lachen“ zu ihrem Ende kommen – kurz und knapp: mit vier Schüssen. Grandios Sebastian Krämers Bildungsepos „Deutschlehrer“, das als Lied zum Vulkan wird, ein Ausbruch und zugleich eine Abrechnung mit allen Lehrern, die nicht verhindern wollen oder können, dass die deutsche Sprache den berühmten Bach runter geht. Ironie und Selbstironie sind bei Sebastian Krämer ein Paar, dass auch so manches harte Wort relativiert, wobei – warum keine harten Worte, wenn nur der Rundumblick nicht nur zum Rundumschlag wird.

Die CD Akademie der Sehnsucht ist das ausgezeichnete Beispiel dafür, dass hervorragende handwerkliche Fähigkeiten eines Liedermachers gepaart mit messerscharfem Geist und der Kunst mit Worten zu jonglieren und daraus Sätze zu bauen zum absoluten Hörvergnügen führen müssen. 

JUNI 2011  Ingo Nordhofen, Witten

KK-Strings - Bullerjan Nächte

Offen gestanden hatte ich von den KK-Strings noch nie etwas gehört. Dann flatterte mir ihre CD Bullerjan Nächte ins Haus. Das Cover unscheinbar und in wenig einladender Farbgebung, im Booklet viele Fotos, doch keine Texte. Na gut, erstmal hören, was die so machen – und schon nach den ersten drei Stücken ging ich voller Neugier im Internet auf die Suche nach dieser Combo.

Das Streichquartett KK-Strings setzt sich zusammen aus: Azzi Finder, Violine/Viola, verantwortlich für Songs, Texte und Arrangements bei den KK-Strings; Roland Bentz, Violine, diverse Dozententätigkeit im Bereich Jazz- und Popularmusik und im Fach Improvisation; Florian Krisper (Dr. Flo), Violine/Viola, Kammermusiker, Ballorchesterleiter („dr. flo“) und Doktor der Medizin; Jakob Krisper, Cellist hier und in diversen Orchestern, aber auch tätig als Keyboarder und Bassist in verschiedenen Pop-Formationen.

Für diese CD haben sie einige gestandene Gastmusiker und -komponisten eingeladen: Andy Baum, Thomas Lang, Duo Hojsa-Emersberger, Georg Breinschmid, Tini Kainrath, Milan Turković, Hubert von Goisern, Angelika Kirchschlager, Thomas Gansch, Frank Hoffmann und Rupert Huber. „Unser CD-Album Bullerjan Nächte“, heißt es im Presseinfo, „gründet auf der simplen Idee, die klanglichen und stilistischen Möglichkeiten unseres Streichquartetts mithilfe von Gästen zu erweitern.“

Das ist eine der charmantesten Untertreibungen, die ich je gehört habe. Die CD bringt einen irrwitzigen Ritt durch Musikstile und -genres, vom Electronik-Projekt (Tosca) bis Dada, von Pop über Jazz in den Obertongesang, vom Wienerlied über Rock bis zur Schnellpolka, ohne jegliche Scheu vor Grenzübertretungen – ein Wahnsinnsmix, voll von spaßigen Ideen, überraschenden Kombinationen und unerwarteten Brüchen. Dazu Texte von Satire über Besinnlichkeit bis Dada. Das ist nur scheinbar ohne Linie – als ein roter Faden ist die virtuose Beherrschung von Instrumenten und Stimmen durch alle Beteiligten zu sehen. Ein weiterer ist natürlich der außerordentliche Ideenreichtum des Streichquartetts, das mit seinem ungewöhnlichen und oft gewagt klingenden Spielwitz die Stücke dominiert. Und letztlich ist es auch die Freude am gemeinsamen Tun mit den Musikerkollegen. Man spürt förmlich, wie sich die Musiker in ihrer Verschiedenartigkeit angespornt und zu Höchstleistungen getrieben haben, und man spürt auch den Spaß, den sie offenbar daran gehabt haben, gemeinsam auf Entdeckungstour zu gehen.

Die Stücke sind nur schwer zu beschreiben. Dem interessierten Hörer empfehle ich, die Internetseite der KK-Strings (www.kk-strings.com) zu besuchen, um dort über „neue CD!“ und „Presse“ zum Pressetext zu gelangen. Darin geben die Musiker ausführlich Auskunft über die Entstehung der einzelnen Tracks.

Ansonsten kann ich nur empfehlen: Immer wieder anhören, da gibt es viel zu entdecken! 

MAI 2011  Mike Kamp, Bad Honnef

Captain’s Diary - Niemals jedem recht

Es gibt bei diesem Projekt nur eine Sache, die mir gar nicht gefällt. Ich weiß, Name sind Schall und Rauch, aber der hier ist dämlich für einen Künstler, der fast ausschließlich deutsch singt. Was immer Meister Müller da geritten haben mag, dämlich ist der Mann jedoch keinesfalls. Seine Lo-Fi-Hymnen muss man sich akustisch ungefähr so vorstellen, als wenn Billy Bragg sich zum einen auf seine Punkwurzeln besinnt, zum anderen aber auch einen ganz dezenten Appetit auf angerocktes Anglo-Americana verspürt. Naja, so ungefähr. Tatsache ist: im Prinzip Gitarre und Gesang, der ausgesprochen geradeaus, unaufgesetzt und erfrischend simpel klingt. Der Ohrwurm ist übrigens auf dieser CD gern gehörter Gast.

Natürlich kommen die elf Werke aus eigener Feder, und die Texte sind eine Marke für sich. Ich würde ja gerne schreiben, dass der Kapitän noch nie was von Reimen gehört hat, weil er sie so konsequent verweigert. Stimmt aber nicht, denn in einem Song meint er „Auf Happyend reimt sich Pretend“ – so eben, nur so eben! Die Songs haben keine klaren Botschaften und das ist eigentlich nicht mein Ding. Hier komischerweise schon, auch wenn manche Texte ein wenig ins Dadaistische kippen: für viele Interpretationen offen, bis hin zum Satz um des Satzes willen. Oder eben nicht, man weiß es nicht so genau.

Und manches stimmt einfach:
„Widerstand kann auch leise sein.“
„Wenn das hier dein Weg ist, geht meiner genau umgekehrt
Wenn das dein Erfolg ist, dann bleib ich sehr gern erfolglos.“
„Fäuste in Taschen geballt
Tief in uns drin schreien wir all unseren Frust raus
Contenance behalten um die Hürden zu nehmen
Um endlich viel klarer zu sehen“.

Der Mann kommt so rüber, als wenn er das wirklich meinen würde, was er singt. Kann man mehr verlangen?

APR 2011  Stephan Rögner, Frankfurt am Main

Johan Meijer - Europeana: Raum & Zeit

Schon bei den ersten Klängen, die ich von Meijers CD Raum & Zeit hörte, war ich eingenommen, gefangen von einer angenehmen mächtigen Stimme, die Professionellsein, Selbstbewusstsein und Engagement des Sängers spüren ließ, von einer Melodie, die ins Ohr ging und mich berührte, und von einem Text, der ansprach und Inhalte vermittelte. Kurz: ich musste zuhören. Und ich hörte – eben zwanghaft – genau, konzentriert, ja fast andächtig und neugierig hin, und das bei allen 33 Titeln. Übrigens alle in deutscher Sprache, und jeder Titel gleichsam ein Symbol!

Johan Meijer ist Niederländer, studierte in Deutschland in den Jahren, als kritische Köpfe aufbegehrten, und erlebte mit seinen offenen Augen und Ohren bei seinen Reisen durch Europa eine vielfältige Kultur der Länder. Diese Kultur spiegelt sich in den Liedern, die er seither sammelt, selbst schrieb oder übersetzte. Mit ihm arbeitete daran seine Frau, die als Historikerin und Dolmetscherin ein Gespür dafür besitzt, was Sprache ausdrücken soll.

Meijer suchte, wo immer er hinkam, Kontakte und fand sie mit Liedermachern bei einem AG-Song-Treffen und bei vielen Konzerten, und das eben nicht nur in Deutschland, und tauschte sich mit Gleichgesinnten gedanklich aus. So entstand auch sein Lied „Gliwice“, das er nach einer Konzertbegegnung an der ehemaligen deutsch-polnischen Grenze schrieb, wo „Gröfaz“ (wie der größte Feldherr aller Zeiten später despektierlich genannt wurde) den Zweiten Weltkrieg mit einem Überfall ausgelöst hatte. In bewährter Volkssängermanier erteilt Meijer hier Geschichtsunterricht. Doch dann erklingen schlichte Volkslieder ganz unterschiedlicher Herkunft. Immer sind es Geschichten. Die Aufnahmen sind bei verschiedenen Anlässen entstanden oder wurden im Studio mit namhaften Musikern und deshalb mit einem vielseitigen Instrumentarium produziert. Auf die musikalische Begleitung legt Meijer großen Wert. Bei keinem Lied wiederholen sich Melodie und Rhythmus. Und das gibt den beiden CDs zusätzlich den besonderen Reiz.

Geordnet sind die Lieder auf den beiden CDs unter den Aspekten Zeit und Raum. Meijer wollte musikalisch einen „Rundgang durch das 20. Jahrhundert“ und einen „Rundgang durch Europa“ zurücklegen. Daraus wurden „Lieder, die die Zeit spiegeln, in der wir leben“ – entsprechend einem Aspekt, der schon einmal Motto der Liederbestenliste war. Nicht zu knapp und überhaupt anerkennenswert sind im Booklet neben den Liedtexten die Entstehungsgeschichten skizziert. Meijer, im bürgerlichen Beruf Computerfachmann, erfüllt hier – auch was Grafik und Lesbarkeit der Texte betrifft – sicherlich seine eigenen hohen Ansprüche.

MÄRZ 2011  Dieter Kindl, Kassel

Quijote - Sonne der Gerechtigkeit

Zwischen Protestkultur, Folklore und Chansons bewegt sich die Musik eines der größten Komponisten unserer Zeit – Mikis Theodorakis. Sein Canto General lässt viele Linke in Erinnerungen schwelgen, die Filmmusik zu Alexis Sorbas kennt fast jeder und auch die Schlager, wie sie beispielsweise Vicky Leandros gesungen hat, sind nicht ohne Spuren geblieben. Aber das ist nur ein Bruchteil dessen, was allgemein von ihm bekannt ist – hat er doch weit über 1.000 Lieder geschrieben.

Inspiriert durch ein Konzert mit Maria Farantouri haben sich 1998 drei Sachsen aufgemacht, ein paar Akzente dieser Arbeit zur bundesdeutschen Liedkultur hinzuzufügen. Das Ergebnis kann man auf der 2002 veröffentlichten CD Nur diese eine Schwalbe von Quijote hören. Nun, neun Jahre später, hat das Chemnitzer Trio mit Sonne der Gerechtigkeit ein zweites Album mit Theodorakis-Liedern in deutscher Sprache veröffentlicht.

Die Lieder des aktuellen Programms haben sich mit der Zeit entwickelt: in zahlreichen Konzerten, im Dialog mit dem Publikum. Anders als beim ersten Album sind diesmal fast alle Nachdichtungen neu geschrieben. Die Ausnahmen: „Sonne der Gerechtigkeit“ stammt von Dirk Mandel, „Andonis“ ist die wahrscheinlich einzige Nachdichtung von Gerulf Pannach, „Abschied“ ein Originaltext von Ina Kutulas. Drei weitere Texte stammen von Frank Viehweg, der „mittlerweile viele Stücke von Theodorakis ins Deutsche geschmuggelt“ hat, wie Quijote im Booklet schreibt.

Auch die Musik musste neu geschrieben werden: für drei Stimmen, Klavier und Gitarre. Und das klingt nicht nur auf der CD absolut überzeugend, wie etliche Konzertkritiken beweisen. Sabine Kühnrich, Ludwig Streng und Wolfram Henning Ruitz verfügen über eine langjährige Bühnenerfahrung. Ihre „musikalische Umsetzung der Theodorakis-Lieder ist eigenwillig und werktreu zugleich. In den Solo- und Satzgesängen wird Emotion auf solidem handwerklichem Fundament transportiert“, war im Deutsch-Griechischen Magazin Neafon anlässlich der ersten CD-Veröffentlichung zu lesen. Auch bei ihrem zweiten Werk verstehen es die drei, die ursprünglichen Intentionen der Lieder adäquat ins Deutsche zu übersetzen. Mich jedenfalls hat diese Produktion begeistert und mir zudem den Komponisten jenseits des „Mainstream“ näher gebracht. Vielen Dank dafür. 

FEB 2011  Tom Schroeder, Mainz

Diverse - Robert Gilbert: Meckern ist wichtig - nett sein kann jeder

Ein Aha-Erlebnis: 53 Aufnahmen aus zehn Dekaden, eine stilistisch-thematisch kunterbunte Mischung – und der Mixer selbst ein großer Unbekannter. Jedenfalls für mich. Dabei hätte ich es besser wissen können. Denn der Name des Textautors Robert Gilbert wurde ja nicht verschwiegen in den Urheberangaben zu seinen unzähligen Hits und Evergreens. Ein Stück wie „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehen“, das die Hamburger Dixieband Old Merrytale Jazzband 1961 – genau drei Jahrzehnte nach dessen Entstehung – ins Kino, Radio und in die Hitparade brachte, konnte ich nachsingen und mitspielen. Mitsummen geht bis heute, z. B. bei Hans Albers und „Hoppla, jetzt komm ich“, bei den Comedian Harmonists und „Das ist die Liebe der Matrosen“ oder im Bunde mit Lilian Harvey und Willy Fritsch: „Liebling mein Herz lässt Dich grüßen“.

Aurora-Schallplatten aus der DDR ermöglichten es auch dem interessierten Westdeutschen, die politischen Songs von Ernst Busch zu hören, das „Stempellied von 1929“ ebenso wie „Die Ballade vom Neger Jim“ (1930) – Musik: Hanns Eisler, Text: David Weber. Erst seit dem vorliegenden Doppelalbum mit seinem exzellenten 24-Seiten-Booklet weiß ich, dass es sich bei David Weber und Robert Gilbert (und auch bei Karl Buda, Harry Roberts, Robert Winter) um die Pseudonyme von ein und derselben Person handelt: Robert David Winterfeld (1899-1978).

Seine Erlebnisse im ersten Weltkrieg machten den Berliner Winterfeld zum Pazifisten. Nach enormen Bühnenerfolgen (z. B. Im weißen Rössl am Wolfgangsee,1930) musste er 1933 zunächst nach Wien, dann nach Paris und 1939 in die USA emigrieren. 1949 kehrte er nach München zurück, wo er für die Kabaretts Die Kleine Freiheit und Die Zwiebel dichtete und komponierte. Von Robert Gilbert stammen u. a. die Libretti zu rund 60 Operetten, die Schlagerverse für 100 Tonfilme und, nachhaltig bis heute, die Übersetzungen von rund 20 amerikanischen Musicals, darunter My Fair Lady mit dem unverwüstlichen „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“.

Dem Berliner Autor und Regisseur Volker Kühn ist mit dieser Robert-Gilbert-Kompilation ein großer Wurf gelungen. Zu Hoch-Zeiten des öffentlich-rechtlichen Radios hat Kühn die Unterhaltungsabteilung im Hessischen Rundfunk geleitet. Er weiß also (und zeigt das auch hier wieder), dass sie miteinander zu tun haben: Quatsch und Kunst, Politik und Pop, Haltung und Unterhaltung.

Zur Freude von verdienten Folk-Preisträgern hat Volker Kühn eine Rarität von 1928 ausgegraben: „Ich steh mit Ruth gut“. Auch fürs normale Fußvolk wie uns hält er so manche humorimprägnierte, wetterfeste Nummer bereit – zwischen diskretem Charme der Nostalgie und dem „Goldenen Herz der Bourgeoisie“. Daraus zwei (der insgesamt vier) Strophen:

Sie sind nicht so schlimm wie sie aussehn,
Sie haben ein weiches Gemüt.
Sie können den Tod keiner Laus sehn
Und sind um die Wohlfahrt bemüht.
Und wenn ein Proletenpaar draufgeht,
Den Gashahn nicht zu, sondern aufdreht,
Dann seufzen sie stark
Und spenden ‘ne Mark
Für die kleine verwaiste Marie –
Ja, das ist das goldene Herz der Bourgeoisie“

Wie leicht ist man menschlich erschüttert.
Man hat seinen Goethe im Schrank.
Doch wenn man den Kriegsprofit wittert,
Dann sieht man, wie schön ist ein Tank.
Wie nett sehn die kleinen Schrappnells aus!
Die Flamm‘werfer und Parabells aus!
Was Mumm hat, ja das
Verdient auch am Gas –
Ganz egal, wer krepiert wie das Vieh!
Ja, das ist da goldene Herz.
Das goldengepanzerte Fettherz der Bourgeoisie“

Diese Zeilen sind genau 80 Jahre alt. Von 1931 – nicht von gestern.

JAN 2011  Rainer Hannes, Baden-Baden

Iko Andrae - Stiekelstrüük

Übern s-pitzen S-tein s-tolpert bald niemand mehr. Dialekt sprechen ist in Deutschland, im Norden wie im Süden, nicht mehr angesagt. So eine dpa-Meldung Mitte November 2010. Der Grund für das drohende Aussterben: Im Beruf ist heute die Aussprache wichtiger als zu den Zeiten, in denen vorwiegend mit den Händen gearbeitet wurde. Mobilität + Informationsgesellschaft + Globalisierung = Entregionalisierung? Na, mal sehn. Totgesagte leben bekanntlich länger. Und was ist mit denen, die mehr als Dialekt sprechen, nämlich eine eigene zweite Sprache wie das Plattdeutsch? Die tun was. Iko Andrae zum Beispiel. Der, so der Pressetext, in Oldenburg lebende Musiker, Pädagoge, Weltenbummler und Buchautor gibt

Konzertlesungen unter dem Motto „Riet dien Muul up!“ (nicht schwer zu übersetzen: Reiß dein Maul auf!). Dies war auch das Lebensmotto seines Vaters Oswald Andrae (1926-1997), eines Lyrikers aus Jever, der ab den 1960ern die niederdeutsche Dichtung entstaubte. Neunzehn satirische, politische und auch (liebes-)melancholische Texte seines Vaters hat Sohn Iko auf der CD Stiekelstrüük vertont (auf Anhieb kaum zu übersetzen: „Stachelstrauch“). Im Booklet sind alle Texte auf Plattdeutsch mitzulesen, und es ist eine wirklich spannende Entdeckungsreise, sprich: Bildung plus Vergnügen, in diese Sprache einzutauchen, die Texte zu erahnen, zu erraten, zu grübeln, manches auch – wie oft in lyrischen Texten – einfach stehen zu lassen, wie sie sind. „An‘t open Füür“ ist so ein Lied: am offenen Feuer sich wärmen, Champagner trinken, essen und „Vietnam vergessen“, nicht von Blut sprechen. Wer sind die, die da am Feuer stehen? Oder sich erzählen zu lassen: „Ik seegh över Bargen mank all mien Drööm den Mand. He is an‘t Rieden.“ (Ich seh über Bergen zwischen all meinen Träumen den Mond. Der reitet.)

Fremd und zugleich vertraut hören sich die Lieder an. Musikalisch sind die Stücke breit gestreut: Folk, Rock, Pop, hier und da der Sound der Sechziger, bodenständig und immer melodisch. Die Musik nimmt den Hörer leicht mit. Was in diesem Fall gut so ist, denn das führt die Lyrik in den Mittelpunkt, schafft Konzentration auf die Texte. Dem Album Stiekelstrüük hört man an: Da hat einer mit voller Begeisterung für seine Sprache gearbeitet. Plattdeutsch ist alles andere als betulich oder gestrig, sondern sehr lebendig und allemal tauglich für die Lebensgefühle des 21. Jahrhunderts.

Die Top 20 der
deutschsprachigen
Liedermacher

Jeden Monat aktuell