Persönliche Empfehlung Album

Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Album ab und begründet diese schriftlich.

DEZ 2016  Karen Sophie Thorstensen

Falkenberg: Menschen auf Brücken

Denkt man an Liedermacher, hat man automatisch das Bild des klassischen Sängers mit Gitarre im Kopf. Dass dies lange nicht mehr die einzige Erscheinung eines Liedermachers ist, wissen wir ja bereits. Meine persönliche Empfehlung diesen Monat gilt einem Rockmusiker und seinem im Oktober 2016 erschienenen Album.

Falkenbergs Musik kenne ich bereits länger und besonders das 2012 erschienene Album „Freiheit“ hat mir damals sehr gefallen. Sein neues Album, ebenfalls ein Konzeptalbum, finde ich so beeindruckend, dass ich es gerne empfehlen möchte.

Das Thema sind dieses Mal Brücken in allen erdenklichen Varianten. Die Menschen gehen über die Brücken, schauen sie an und möchten sie betreten, sie schwanken benommen vor Trauer und Orientierungslosigkeit zwischen den Pfeilern und sie überlegen, ob die errichteten Zugbrücken heruntergelassen werden können, denn schließlich wartet da draußen der Rest des Lebens. Im Lied „Brückenköpfe“ setzt Falkenberg sich mit Kriegstreibern und -gewinnlern aller Zeiten und Orte auseinander. In dem Titel „Tunnel unter den Brücken“ beschreibt Falkenberg den lähmenden Zustand einer Depression so eindrucksvoll, dass jemand, der nie daran litt, auch in etwa empfinden kann, wie schwer diese Krankheit auf einem lastet. Mit dem Song „Die Leere überbrücken“ fordert Falkenberg uns auf, uns nicht ständig mit Unterhaltung und Kommunikation zuzudröhnen, sondern den Knopf einfach mal zu drücken und die Ruhe zu genießen.

Im Titelstück führt uns Falkenberg ins Thema ein, indem er unterschiedliche Scenarien dessen entwirft, wofür Brücken stehen können.

Falkenberg ist Rockmusiker und seine musikalische Sprache entspricht diesem Genre. Sie ist rhythmisch mit Bass, Gitarrenriffen und Keyboardeinlagen, die immer dem jeweiligen Stück angepasst sind. Aber auch zarte Gitarren- und Klavierklänge sowie Cello- und Violinentöne sind in einigen Stücken zu hören und werden stilsicher eingesetzt. Die Stimmung ist oft melancholisch, nachdenklich, der Liedermacher taucht tief in seine Themen ein. Und seine Texte sind mal nachdenklich, öfter wütend, immer bildreich und beschreiben diese Zeit, in der wir versuchen, unser Leben so gut es geht zu meistern.

Kleine Brückentexte verbinden hier und da die Lieder und an einer Stelle fährt wahrhaftig ein Zug über die Brücke, unter der ich beim Hören sitze.

Die zwölf Titel ergeben eine abwechslungsreiche Reise auf, über, unter und in der Nähe von Brücken, Stimmungen und Geschichten, entfalten ihre Wirkung und werden ein gelungenes Konzeptalbum.

NOV 2016  Hans Jacobshagen

Michael Krebs & Die Pommesgabeln des Teufels: An mir liegt's nicht

„An mir liegt´s nicht“ heißt die neueste Veröffentlichung von Michael Krebs und den Pommesgabeln des Teufels. Aber woran und an wem denn dann? Zunächst mal muss gesagt werden, dass es sich um ein Liedermacheralbum mit viel Rock´n Roll-Akzenten handelt, wozu die musikalischen Begleiter „Boris the Beast“ am Bass und der „Oheim des Todes“ am Schlagzeug keinen unerheblichen Einfluss gehabt haben dürften. Die Spielfreude ist hörbar und das ist einfach schön in dieser von schwermütigen traurigen Liedern durchzogenen Welt.

Auch Michael Krebs stellt sich den Themen der Zeit. Er benennt  Probleme, und hinterfragt die Lösungen, indem er auch die Schwadroneure angreift, die es durchaus gut meinen mögen aber selbst passiv bleiben, die alles zu verstehen vorgeben, aber nichts tun. Denen stellt Krebs sich völlig inkorrekt entgegen, in dem er sich in dem Titellied als veganen, schwulen Moslem beschreibt, der als Fußgänger mit biodynamischen Ambitionen afrikanische Patenkinder adoptiert, sogar auf Bio-Kleidung verzichtet und statt dessen FKK macht. Aber dann geraten diese scheinbar klaren Bilder in Schieflage. So toll kann doch kein Mensch sein! Der Refrain des Liedes lautet „Mein Leben ist nicht so bequem/denn ich bin Teil der Lösung und nicht das Problem/Mein Leben ist kompliziert/denn ich bin nachhaltig orientiert/und wenn die Welt zusammenbricht/an mir liegt´s nicht.“ Oder anders gesagt: 100 % Political Correctness gibt es einfach nicht, wie auch immer man es wendet.

Und das ist auch die Überschrift, die zu den meisten Liedern dieser CD passt. Was ist zwingend, was ist logisch? Wenn wir unseren Kindern Drogen verbieten und selbst rauchen und trinken? Und was ist das korrekte Leben? Eine Antwort ist: Wir sollten viel öfter Lachen. Aber nicht über Lesben, Schwule, Schwarze, Behinderte (...). Ach so! Und dann wären da noch das Leid und Krieg in dieser Welt aber auch die Liebe, wobei sich letztendlich alle Menschen doch nur nach Gratis-WLAN sehnen. Mehr muss nicht sein zum Glücklichsein.

Michael Krebs stellt in diesen geradezu sarkastischen Geschichten Fragen, auf die es keine Antworten zu geben scheint. Wir ertappen uns dabei, dass wir manche hohle Phrase auch schon selbst gedroschen haben. Und wenn es eine Aufforderung gibt, dann die, darüber mal nachzudenken. Aber bitte fröhlich bleiben, tanzen, denn Griesgram und Missmut verbessern diese Welt auch nicht. Manchmal aber kann Krebs auch ein nachdenklicher Träumer sein wie in dem Lied von Magdalena, die gern dem Alltag entfliehen würde. Und wie in dem Lied „Nicht gut genug“, in dem er sein Alter Ego über sein Leben nachdenken lässt.

Ich empfehle Michael Krebs und die Pommesgabeln des Teufels mit ihrem Album „An mir liegt´s nicht“, weil sie gute Laune machen, weil die Texte hintergründig und subversiv sind, weil sie mich ansprechen, weil sie satirisch sind, weil sie nachdenklich sind, weil sie lustig sind. Alles das zusammen macht diese tolle Produktion aus. Übrigens: Die CD enthält 17 Songs, 6 davon sind unter 12 Sekunden lang, wie Krebs sagt: ein Service für Menschen mit verkürzter Aufmerksamkeitsspanne. Und das kann glauben wer will.

OKT 2016  Barbara Preusler

Manuel Stahlberger: Kristalltunnel

„Stahlberger“, schon mal ein guter Name. „KRISTALLTUNNEL“ tönt eher mystisch. Das Cover mit dem Lichtklecks, aus dem scheinbar eine Gestalt aus einem Sonnenfleck kommt, macht mich neugierig. Mit „KRISTALLTUNNEL“ legt uns Manuel Stahlberger sein 2. Soloalbum vor (plus 3 Alben mit Band). Der Salzburger Stierpreisträger ergänzt mit dieser CD sein jetziges Live-Programm “Neues aus dem Kopf“.

Manuel Stahlberger ist ein heller Kopf und ein genialer Wortbastler. Er ist ein ruhiger Mann, ein Nachdenker. Jedes seiner Worte ist eingebunden in seine Gedankenspiele. Er ist ein präziser Beobachter und zeichnet Liedergeschichten mit überraschenden Wendungen. Der ganze Schein der häuslichen Gemütlichkeit wird immer wieder vorgeführt und gleichzeitig in Frage gestellt. Dabei werden die besungenen Figuren weder gewertet noch moralisch angegangen. Nein, Stahlberger dokumentiert das Leben in seinen bürgerlichen Zwängen und führt es ad Absurdum. Seine Geschichten könnten überall passieren, in der Leipziger Vorstadt, in den Schrebergärten Stuttgarts oder in einem putzigen kleinen Schwarzwaldörtchen. Bei Stahlberger wird das Banale lebensentscheidend.

Seine Sounds würzt er mit spannenden Offs, mit Bass und Sound-Maschinen. Sie erinnern mich an die Anfänge der „Neuen Deutschen Welle“, nur bringt Stahlberger mehr Worte und Inhalt.

Meisterlich zelebriert er mit seinem Sprechgesang die Langsamkeit. Es gelingt Stahlberger Lied für Lied, lyrische Stimmungen mit grosser Sogwirkung zu schaffen. Unbequem und quer. Dabei bleibt der Sänger jederzeit greifbar und authentisch. Ich lausche den Geschichten, schmunzle und hänge an seiner Stimme. Die Songs klingen nach und fesseln mich.

Dem Ostschweizer Dialekt sagt man in der Schweiz Derbheit nach. Bei Stahlberger kommt die Mundart melancholisch und mit speziellen poetischen Momenten daher. Es reibt sich grossartig: Beats, wohlige Stimme, Gleichklang und die böse Moral der Geschichten.

Das „Normale“ findet Stahlberger im Wahnsinn des Alltags. Er malt uns kleinbürgerliche Grotesken gekonnt in seine Musikgeschichten. Gartenzwergidyllen am Maschendrahtzaun. Genial seine Art, wie er seine Worte klar und gleichzeitig irrwitzig dahin fliessen lässt. Hohe Qualität und satirische Spitzen zeichnen seine Texte aus. Das ist sein Markenzeichen. Als brillierender Comiczeichner hat er gelernt, seine Stories genau festzuhalten und gnadenlos zu Ende zu bringen. Mit seinen skurrilen Interpretationen berührt er mich dort, wo ich niemals sein möchte.

Es fällt mir schwer, einzelne Lieder hervorzuheben, haben sie doch alle Ihre eigene Spezialität. Besonders gefällt mir „LÜTHIS HEND GMERKT IHRI WÄND SIND ZKAHL“ (Lüthis haben bemerkt, Ihre Wände sind zu kahl), ein kleines Meisterwerk an Absurdität. Hier stimmen Text, Interpretation und Musik besonders gut zusammen. „KRISTALLTUNNEL“ ist ein Album, das ich mir öfter anhören werde. Manuel Stahlberger ist ein sympathischer Künstler mit viel Eigensinn und unverkennbarer Präsenz.

SEPT 2016  Michael Lohse

Nessi Tausendschön: Knietief im Paradies

So schaut es also aus, das Paradies der Nessie Tausendschön: Da steht die Kleinkunstdiva im feschen Sommerkleid bis zu den Knien in einem trüben Tümpel, irgendwo auf dem platten Land zwischen Feldern und quakenden Fröschen. Dabei schaut sie ziemlich resolut und herausfordernd. Ganz in schwarz weiß ist das Cover gehalten, nur der Titel prangt in rosa: „Knietief im Paradies“. So heißt auch Tausendschöns aktuelles Bühnenprogramm. Doch das jetzt erschienene Album ist alles andere als das Nebenprodukt eines Kabarettabends: Fast die Hälfte der Songs kommt dort überhaupt nicht vor und die CD folgt einer komplett eigenen Dramaturgie. Die mit zahlreichen Preisen wie Salzburger Stier und Deutschem Kabarettpreis ausgezeichnete Kleinkünstlerin zieht darauf alle stilistischen Register ihrer Sangeskunst – und die sind zahlreich. Natürlich spielt sie ihr parodistisches Talent aus, schlüpft lustvoll in Rollen wie in „Armes Mädchen“, einer grandiosen Persiflage auf eine AfD-Anhängerin im bombastischen Rammstein-Sound, oder singt als naive Ludmilla mit russischem Akzent die hinreißende Polka „Ich hab mein Körper“. Aber Tausendschöns neue CD erschöpft sich keineswegs in musikkabarettistischen Kabinettstückchen, sondern beleuchtet vor allem ihre andere Seite: die der originellen und durchaus politischen Songwriterin mit feinem Sensorium für den Zeitgeist nämlich. Ob sie nun in zartem Hiphop-Sound den Jugendwahn aufspießt („50 ist das neue 30“) oder wunderbar ironisch die „Neue deutsche Leichtigkeit“ besingt. Vor allem um zwei thematische Schwerpunkte kreisen die zwölf Songs: um Deutschland und um Sehnsucht. Gleich mit dem Opener leistet Tausendschön ihren Beitrag zur Willkommenskultur mit „Willkommen to Germany“. Darin umreißt sie so knapp wie treffend das Lebensgefühl in Merkel-Deutschland: „Das schwarze Loch das hat Rautenform, darin verschwindet die SPD und auch der Widerstand, das ist enorm. Hier gibt’s keine Visionen, denn wir haben VW.“ Im Titelsong, einer wunderschönen und eingängigen Ballade mit schluchzendem Cello, outet sich die Sängerin dann als trotzige Idealistin: „Ich will die Welt verbessern und ich fange heute an“. Ihre paradoxe Begründung: „Es ist viel zu spät, ein Pessimist zu sein“. Soll heißen: auch wenn es für eine Rettung vielleicht schon längst zu spät ist, der dramatische Zustand der Erde lässt uns keine andere Wahl, als jetzt aktiv zu werden.

Paradoxien liebt diese Künstlerin. Das gilt auch für das andere Leitmotiv ihres neuen Albums – die Sehnsucht. Sehnsucht bedeutet für sie beispielsweise: „Ich möchte so gern wieder Mangel spüren, will sagen können, hey, wir hatten damals nichts.“ Tausendschön ödet die Sattheit einer Gesellschaft im Überfluss an, die Wegwerfmentalität und die hohlen Versprechen der Werbung, während man in Wahrheit nur noch Leere empfindet. „Sehnsucht nach Sehnsucht“ heißt denn auch ihr Song zu dem Thema, getrieben von dem Wunsch, überhaupt wieder etwas zu spüren. Gleichzeitig singt Tausendschön über ihre Süchte, wissend, dass in der Sehnsucht das Wort Sucht schon enthalten ist. „Herrin der Süchte“ möchte sie sein, nur beim Sex, da möchte sie gerne weiter schwach werden…

Es ist diese Mischung aus dem Bekenntnis zu depressiven Tendenzen und dem frechen Aufbäumen dagegen, aus Melancholie, Humor und Temperament, die Tausendschön so einzigartig und unwiderstehlich macht – und ihre neue CD ohne Zweifel zu einer der stärksten ihrer Karriere. So breit wie das emotionale Spektrum ihres neuen Albums, so abwechslungsreich kommt es auch musikalisch daher. Das Instrumentarium reicht von der singenden Säge über die Ukulele und satte Streicherarrangements bis hin zum Omnichord mit seinem Nostalgiesound der 70er Jahre. Vor allem aber hat Nessi Tausendschön keine Angst vor schönen Melodien. Poppig muss kein Schimpfwort sein, wenn das Resultat so sinnlich und abwechslungsreich klingt wie diese zwölf Songs, liebevoll abgemischt von Tausendschöns langjährigen musikalischen Weggefährten Paco Saval und William Mackenzie. Letzterer drückte der Produktion auch mit seinem lässigen, punktgenauen Gitarrenspiel den Stempel auf. Der Sound ist einfach zum Reinlegen – paradiesisch eben.

 

AUG 2016  Petra Schwarz

Wolfgang Rieck: Der singende Mann

Wir kennen uns seit 40 Jahren und hatten uns etwas aus den Augen verloren - umso mehr freue ich mich über dieses Werk, ein - Achtung Begeisterung - Gesamt-Kunstwerk! Es ist viel mehr als die Summe der Teile und eben doch von diesen "Teilen" getragen: von den wundervollen Liedern, von den exzellenten (18!) Musikern, von den sensiblen Arrangements und vom sehr informativen 36-seitigen Booklet. Und vor allem: von d i e s e r Stimme! So kraftvoll, so einfühlsam, so unverkennbar.

»Der singende Mann« Wolfgang Rieck hat die Hälfte der 14 Song-Texte selbst geschrieben; die Kompositionen stammen - bis auf eine - alle aus seiner Feder. Angeregt durch die Barlach-Figuren »Tanzende Alte« entstand der Opener »Un sei danzt…« - für mich ein Ohrwurm - und »Der singende Mann« - Titelsong der CD und Credo (?) des Sängers, der auch für die Gitarren- und die 5-String-Banjo-Klänge verantwortlich ist.

Man findet vom gebürtigen Rostocker, der bis heute in seiner Heimatstadt lebt, natürlich auch Maritimes: neben zwei eigenen Songs in plattdeutsch (das schon erwähnte »Un sei danzt« sowie das »Sonett für H. un W.«) die »Segelschiffe« von Joachim Ringelnatz, von dem auch das wunderbare »Liedchen« stammt. Vom österreichischen Lyriker Theodor Kramer hat Rieck vier Texte vertont. Dieser - lt. Thomas Mann einer „…der größten Dichter der jüngeren Generation“ - hat es Wolfgang Rieck offenbar angetan.
Die Lieder sind poetisch, z.B. das »Schlaflied für Emilia«: „…Zeit lässt sich nicht borgen; lässt sich leben nur.“ oder politisch: z. B. „Was soll ich tun in diesen Zeiten? Mach ich mich klein oder richt" ich mich auf?“ fragt er in »Vergessene Helden«. Oder: politisch und poetisch. Z. B. »Der Verschüttete« (mit einem Kramer-Text) - alles sehr eindrucksvoll.

Am 16.6.2016 erschienen, ist »Der singende Mann« die „…zweite Solo-CD für Erwachsene“ von Wolfgang Rieck. Davor hat er im Duo Piatkowski & Rieck (1975-1993) zwei LPs und eine CD, mit Liederjan (1993-2001) vier CDs und für Kinder noch einmal drei CDs vorgelegt. Er ist seit mehr als 45 Jahren musikalisch aktiv; davon seit 35 Jahren - wie er schreibt - „... freiberuflich auf den Kleinkunstbühnen Deutschlands unterwegs.“

Für sein jüngstes Werk hat sich Wolfgang Rieck viel Zeit genommen und er hatte bei der Umsetzung - das ist unüberhörbar - höchst professionelle musikalische Unterstützung. Als ich mich schon beim ersten Hören entschied, den "singenden Mann" hier zu empfehlen, wusste ich naturgemäß noch nicht, dass diese CD auch "Album des Monats" sein, sprich: die meisten Punkte in dieser Rubrik der Liederbestenliste im August erhalten würde. Und auch nicht, dass sich in den TOP 10 der aktuellen Wertung der Liederbestenliste gleich noch zwei Songs platziert haben. Also: unbedingt hören!

Weitere Informationen:
www.wolfgang-rieck.de

 

JULI 2016  Michael Laages

Die Strottern & JazzWerkstatt Wien: Wo fangt´s an

„Wo fangts an“ – die jüngste Zusammenarbeit des Wiener Duos "Die Strottern" mit der "JazzWerkstatt Wien"

Nein – ziemlich beste Freunde sind die diese beiden musikalischen Stile eigentlich nicht. Beide legen ja großen Wert auf Eigenständigkeit: das „Wiener Lied“, diese in der Tat ziemlich einzigartig regionale (aber damit auch in sich begrenzte) Mischung aus Wein- und Heurigen-Seligkeit, Vorstadt-Poesie und Friedhofsromantik; und der Jazz, diese große, allumfassende Weltsprache der Musik, deren Kern-Kompetenz ja immer die Freiheit der Klänge und die Grenzenlosigkeit des musikalischen Ausdrucks war und ist. Seit geraumer gehen beide Musik-Spezialitäten aber Verbindungen ein in Wien – bei den verschiedenen Bands des Bassisten Georg Breinschmid, vor allem aber beim Lieder-Duo „Die Strottern“, das sich jetzt einmal mehr in der Zusammenarbeit mit der "JazzWerkstatt Wien" vorstellt.

"Strottern" sind im alten Wien kleine Ganoven gewesen, Herumstreuner, Vagabunden in der großen Stadt; auch und mit ihnen lebt die Geschichte vom „Wiener Lied“. Klemens Lendl, Geiger und Sänger, und Gitarrist David Müller sehen sich in dieser Tradition – und sie haben mit dem Schriftsteller Peter Ahorner einen Autor gefunden, der einen besonderen poetischen Ton mitbringt für’s neue „Wiener Lied“. Ahorner spricht und rezitiert auch auf dieser CD – und die Traditionen klingen herüber in die modernen, zeitgenössischen Texte. Mittendrin in der CD steckt obendrein eine Hommage an den 1911 geborenen Wiener Mundartdichter Josef Mayer-Limberg; und gerade hier macht sich die "Jazzwerkstatt Wien" besonders prägend bemerkbar.

Zunächst (und dann wieder zum Finale) öffnen ja Clemens Salesnik, Martin Eberle und Peter Rom, Martin Ptak, Clemens Wenger, Bernd Satzinger und Lukas König, jeder für sich ein Meister im „Jazz made in Austria“, das große Sound-Tableau für die Ahorner-Songs: in sich fein abgestimmt, schaffen sie Raum, mit dem Lied über das Lied hinaus. In der Mayer-Limberg-Suite aber treten sie in den sehr direkten, frechen Dialog mit den Texten und auch den Interpretationen durch die "Strottern"-Stimmen. Nicht nur der Ton der Wiener Sprache ist auf diese Weise und in diesen Miniaturen ganz neu zu erleben – vielmehr entsteht hier ein wirklich pfiffiger Dialog zwischen den ungleichen Geschwistern. Jazz wird „Wiener Lied“, „Wiener Lied“ wird Jazz: ein Highlight zeitgenössischer Wiener Kunst.

Weitere Informationen:
www.Strottern.at | http://jazzwerkstatt.at

 

JUNI 2016  Michael Kleff

goubran: Irrlicht

Weltschmerz, Gesellschaftskritik und Vergänglichkeit sind Standardthemen österreichischer Liedermacher. Man muss jedoch nicht in irgendeinem österreichischen Dialekt singen, um sie genauso überzeugend rüberzubringen wie einst Wolfgang Ambros oder Georg Danzer. Es geht auch auf Hochdeutsch. Das stellt der aus Kärnten stammende (Alfred) Goubran mit seiner zweiten CD-Veröffentlichung unter Beweis. Mit rauer Stimme findet er vor einer düsteren Soundkulisse aus Blues und Rock auf „Irrlicht“ klare Worte für die Zeiten, in denen wir leben. Wie beispielsweise in „So viele Bilder“, wo es heißt: „Der Herr Minister … liebt die kleinen Kinder / vor allem Jungs und schwarze Kabelbinder / Er ist der Richter, der über den Gesetzen steht / er ist das Übel und die Nacht, die von der Ahnungslosigkeit der Menschen lebt …“ Im „GPS Blues“ findet der Musiker deutliche Wort für „die da oben“: „Ihr seid die Narren, die tanzen, / während andere zu Grunde gehen, / ihr seid die Erben, die Kinder der Bonzen, / ihr wollt die Wirklichkeit nicht sehen. / Und ihr denkt noch, das sei gut / obwohl ihr keine Güte kennt. / Ihr wisst nicht, was ihr tut, / ihr bleibt mir ewig fremd.“ Ein weiterer Höhepunkt: Goubrans Vertonung von Heinrich Heines „Wanderraten“. Aktueller geht es nicht: „Nicht Glockengeläute, nicht Pfaffengebete, / Nicht hochwohlweise Senatsdekrete, / Auch nicht Kanonen, viel Hundertpfünder, / Sie helfen Euch heute, Ihr lieben Kinder!“ Eigentlich komme ich aus dem Schwärmen gar nicht heraus, wenn Goubran schon im ersten Titel „“Captain Thomas“ Zeilen wie diese über den Menschen an sich gelingen: „Denn er weiß, er muss ein wenig zugrunde gehen, um auch weiterhin im Spiel zu sein.“ Oder wenn er in „Tod der schönsten Stunde“ den Hippen und Schönen den Spiegel vorhält: „Du bist en vogue, du bist dabei, du bleibst dir nur vor andern treu, du stellst dich ein, du borgst dich aus, du bist nur Gast im eig’nen Haus…“ Und auch auf diese Zeilen im Titelsong „Irrlicht“ muss man erst einmal kommen: „Ich hab mich nicht verlaufen, weiß nur nicht, wo ich bin, aus mir ist nichts geworden, weil ich nie fortgegangen bin.“ Nicht zu vergessen: die Begleitmusiker, die mit ihrem Spiel Goubrans Texte bestens bedienen. Als da u. a. sind Stefan Deisenberger (Bass und Banjo), Lukas Lauermann (Cello), Markus Perner (Schlagzeug) und Hannes Wirth, dessen geniales Gitarrenspiel die Besucher des Liederfests 2015 live erleben konnten. Im vergangenen Oktober stand er mit Ernst Molden, Willi Resetarits und Walther Soyka beim Preisträgerkonzert in Mainz auf der Bühne.

Weitere Informationen:
http://goubran.com

 

MAI 2016  Hans Reul

Felix Meyer & Project Île: Fasst euch ein Herz

Spätestens seit der CD „Von Engeln und Schweinen“ aus dem Jahr 2010 kennen wir Felix Meyer. Dabei ist er dem einen oder anderen schon vorher des öfteren in den Fußgängerzonen in Berlin, Hamburg oder Köln begegnet. Denn während 15 Jahren tourte er mit seinen Kollegen durch die Lande. Auch in Frankreich fand Felix Meyer auf den Plätzen sein Publikum. So ganz nebenbei entdeckte er für sich auch das französische Chanson, denn auf der Debüt-CD sang Felix Meyer neben eigenen Liedern seine deutschsprachigen Versionen von Francis Cabrel- und Noir Désir-Chansons.

Auch auf „Fasst Euch ein Herz“, seiner vierten Studio-CD, erinnern mich einige Lieder von der Anlage und von der Stimmung her an die französischen Vorbilder. Sei es die Klangfarbe der Stimme mit ihrem großen Wiedererkennungswert oder seien es die Texte. Dass die Band jetzt erstmals einen Namen erhalten hat, der zumindest im zweiten Teil französisch ist, nämlich „project île“, dürfte auch nicht von ungefähr kommen.

Dass die CD „Fasst Euch ein Herz“ noch mehr als sonst ein echtes Bandprojekt ist, zeigt sich daran, dass diesmal das ganze Album gemeinsam nahezu live eingespielt wurde. Das spricht den Hörer direkt an, natürlich nicht wie auf der Straße, aber ohne Umwege kommen Felix Meyer und project île musikalisch auf den Punkt. Sicher auch ein Verdienst des Produzenten Tommy Krawallo, der bekanntlich öfters mit Wenzel zusammen arbeitet.

Felix Meyer hat immer schon wunderschöne Liebeslieder geschrieben, mit viel Poesie und ohne Pathos. Diesmal kommen mehrere gesellschaftspolitische Songs hinzu, wie wir sie bisher von Felix Meyer nicht oder kaum kannten. Dabei scheut er sich nicht die Dinge konkret anzusprechen wie im Opener „Liebevoll bis menschenleer“. Da heißt es:

Der Krieg wird, seit es ihn gibt, immer für gewonnen erklärt
Die Menschen fragen sich nur wo und wann denn
Seine Vertreter beschließen am liebsten ungestört,
wer hier mit wem auf welcher Seite steht.

In einem anderen Lied („Nach der Mittelmäßigkeit“) stellt Meyer die Frage, ob nach der Mittelmäßigkeit (oder der Verhältnismäßigkeit) am Ende jeder was zu fressen hat. Dass wir Menschen uns als Menschen verstehen sollen, ist auch nicht die schlechteste Anregung. In dem Sinne „kommt Freunde, fasst Euch ein Herz“.

Weitere Informationen:
http://felixmeyer.eu

APR 2016  Mike Kamp

Diverse: Refugees welcome - Gegen jeden Rassismus

Die Situation ist bekannt: Deutschland ist Zufluchtsort für mehr Flüchtlinge, als wir uns das bis vor kurzem vorstellen konnten. Klar, unsere Waffenlieferungen haben u.a mit dafür gesorgt. Die Hilfsbereitschaft vieler Mitbürger ist erfreulich groß, aber problemlos lässt sich diese demokratisch notwendige Aufgabe natürlich nicht bewältigen. Das nutzen rechte Kräfte von AfD bis zu strammen Nazis aus, um ihr rassistisches Süppchen zu kochen. Gegen diesen doch erschreckend hohen Anteil an Menschen gilt es, deutlich Stellung zu beziehen und es ist erfreulich, dass viele Musiker das genau so sehen. Sie machen laut und deutlich den Mund auf, was im Falle von „Refugees Welcome – gegen jeden Rassismus“ oft wörtlich zu nehmen ist. HipHop, Ska, Reggae, Punk, Pop, Indie, alles dabei.

Musikalisch nicht gerade eine CD für Alt-68er, die eher auf filigrane und intellektuelle Gesellschaftskritik stehen. Hier gilt das gute alte Goethe-Motto „Auf groben Klotz ein grober Keil“. Das wird klar, wenn der Opener „Fuck You Frontex“ heißt, Egotronic einladend „Deutschland, Arschloch, fick dich“ singt und eine Band den wenig poetischen Namen Pisse trägt. Nicht sozialpädagogisches Verstehen rechter Positionen ist angesagt, sondern Widerstand gegen jegliche braune Brühe. Beliebige Beispiele wie „Vom Grund der Haltung zur Grundhaltung“ von Human Abfall, Form mit „Das Boot ist voll“ oder Kobito feat. Spezial-K mit dem zombiehaften „The Walking Deutsch“ sprechen bereits im Titel eine erfreulich deutliche Sprache.

Persönlich finde ich es schade, dass ein paar der Texte aufgrund der Lautstärke und Diktion etwas unverständlich sind. Diese Info im Booklet wäre sinnvoll gewesen, wobei sicherlich auch die 25 Seiten Fakten, Zitate und Meinungen „gegen Rassismus, Rechtspopulismus, Sexismus und Antisemitismus und für Solidarität, Toleranz und Humanismus“ einen guten Zweck erfüllen. Die Künstlernamen sind jedoch einem älteren Herrn wie mir nur zum Teil geläufig (Antilopen Gang oder Feine Sahne Fischfilet z.B.), denn ganz klar ist das absolut aktuelle und sehr gute Musik und mich begeistert daher, dass der notwendige Kampf gegen Rechts auch von jüngeren Generationen geführt wird. Die Verkaufserlöse gehen an antirassistische Gruppen im ländlichen Raum. Nicht nur deshalb sollte diese Produktion größtmögliche Unterstützung erfahren. Weitere Informationen: www.gegenjedenrassismus.de

Persönliche Empfehlung – April 2016
Album: Diverse Refugees welcome - Gegen jeden Rassismus
Springstoff [www.jazzhausmusik.de]
Empfohlen von Mike Kamp, Bad Honnef

MÄRZ 2016  Michael Laages

JassLab de Cologne: eins und eins...

Fremd und sehr vertraut
Das Jasslab de Cologne würdigt Hildegard Knef – mit stilbildenden Jazz-Chansons

Stimmt – eher selten traut sich der Jazz in die engeren Zirkel der Liedermacherei herein. Anderswo ist das anders – wenn Paolo Conte in Italien oder gar Claude Nougaro in Frankreich die eigenen Lieder und Chansons kreieren, nutzen sie gern und oft die Sounds des Jazz. Und die Mischung dieser beiden zum Beispiel ist jeweils und vor Ort ziemlich populär geblieben … womit sie aufschließen zu Klassikern wie Charles Trenet, für den Jazz so selbstverständlich war die eigene Sprache.

Auf Deutsch lässt aktuell nur Lisa Bassenge ahnen, was auch hierzulande möglich wäre zwischen Jazz und Song. Nachkriegsdeutschland hatte nie anknüpfen können an die von den Nazis radikal gekappte Tradition der großen Komponisten der 20er Jahre; Friedrich Hollaender, Werner Richard Heymann oder Theo Mackeben blieben (wie viele andere, überwiegend jüdische Künstler) oft verdrängt und gern vergessen. Wer erfolgreich war im deutschen Nachkriegs-Lied, nahm derweil oft den Weg über Amerika – wie die bei den Alt-Deutschen verhasste Marlene Dietrich, die ja in Army-Uniform zurück kehrte ins besiegte Nazi-Land.

All das ist nützlich, vielleicht sogar wichtig, um den sehr speziellen Stellenwert von Hildegard Knef zu verstehen – weil sie tatsächlich Meilensteine setzte für die musikalische Reifung der Musik im amerikanisch gepäppelten Wirtschaftswunderland. Der glatten Eleganz aus Übersee setzte sie durchaus gebrochenes Profil entgegen – unendlich oft die Stimme der gelernten Schauspielerin Knef gewürdigt worden als die einer „Glocke mit Sprung“. Klares, sicheres Strahlen wie jetzt bei Barbara Barth, die Knef neu singt im „Jasslab de Cologne“, war beim Original nicht zu haben. Und Barths überaus elegante Stimmführung (so eindrucksvoll sie ist!) wäre weit weniger interessant, wenn das Jazz-Ensemble um den Pianisten und Arrangeur Georg Ruby nicht so gründlich und grundsätzlich andere Wege beschritte im Umgang mit der Legende namens Knef. Und wenn Knef-Musik hier nicht gerahmt würde mit Meisterwerken aus der Jazz-Nachbarschaft – drei Songs von Cole Porter (dessen Kompositionen die deutsche Hilde ja auch sang) stehen neben drei Klassikern aus dem Knef-Repertoire.

Ganz ernsthaft und sehr klug bearbeitet Georg Rubys Team die Originale - von Ralph Maria Siegel, Charly Niessen, dem stilbildenden Bigband-Arrangeur Hans Hammerschmid sowie, als Zugabe, von Theo Mackeben. „Eins und eins“, dem Titelsong, ist zunächst mal der liebliche Dreivierteltakt ausgetrieben; und auch auf den Zirkuswalzer-Mittelteil mit den etwas ambitiösen „Der Mensch an sich“-Versen meint das Jasslab gut verzichten zu können. Die Geschichte vom „Koffer in Berlin“ beginnt blechern wie im ganz alten Radio, um dann recht weit in die Freiheiten des Jazz vor zu stoßen; und „Für mich soll"s rote Rosen regnen“ treibt ebenfalls ganz konzentriert auf den Sounds des sehr frei empfundenen und vom Ensemble profund formulierten Jazz. Wer mag, kann die Wieder-Entdeckung des Knef-Profils Cole Porters Geist zuschreiben, der ja in der anderen Hälfte dieser grandiosen CD weht: Porter schrieb ohnehin schon Jazz-Chansons.

Mackebens Finale („Frauen sind keine Engel“) wirken wie ein ironischer Epilog – in dem die Stimme immer öfter verschwindet und durch Pausen ersetzt wird. Die ganz große Pause begann im Februar 2002 – als Hildegard Knef, die Berlinerin aus Ulm, im 77. Lebensjahr starb. Die Pause ist nun beendet. Neue Knef-Beschwörungen, fremd und sehr vertraut wie hier, sind unbedingt willkommen - das „Jasslab de Cologne“ hat den Anfang gemacht.

Album:
JassLab de Cologne
eins und eins...
JazzHausMusik [www.jazzhausmusik.de]
Empfohlen von Michael Laages, Hannover

 

FEB 2016  Barbara Preusler

Weniger Egli: Tscheims Bond

Es ist nicht leicht, in der Schweiz Liedermacher zu finden, die nicht nur ihre persönlichen Befindlichkeiten in den Vordergrund stellen, sondern ihren kritischen Blick auf die Gesellschaft richten. Meine Freude war deshalb gross, mit „Tscheims Bond“ das Lied-Duo „Weniger Egli“ wieder zu entdecken. Gereifter, pointierter, direkter sind sie geworden. Mutig sind Wolfgang Eglis Texte. Daniel Weniger ist für die guten Aufnahmen verantwortlich. Weniger Egli vertrauen ihren Liedern. Sie zeigen auf gesellschaftliche Veränderungen, ohne Moralisten zu sein.

„Wirtschaftswachstum“ (Titel 4) wird musikalisch eingebettet in eine leise Schunkelmelodie und beschreibt ironisch das Dilemma unserer Profitgesellschaft. Haben wir zwar schon oft gehört, so gebracht jedoch, denken wir gern noch mal darüber nach. Für mich ist das Thema gelungen umgesetzt. „Denke“ (Titel 6) - fängt textlich harmlos an, aber immer mehr spannt sich der textliche Bogen bis hin zum überflüssigen Geschwafel in der Politik. Gefährliche Schwätzer in der Politik und auf Kundgebungen sind leider Realität und geben Steilvorlagen für Satiriker (kann man zum Beispiel in der Satiresendung EXTRA 3 erleben).

Än Politiker redet
do spielt ehm s"Hirn än Streich
will er findt wan er wött säge
uf zmol äbitz än Seich
will er afangt denke
will er afangt denke
es cha eim scho ablenke
wemmer afangt
denke
denke
jo s"Läbe wird nöd liechter
wemmer afangt

Hier wird elegant geäussert, was uns allen im Magen liegt.

„Tscheims Bond“ (Titel 1) ist der Einstieg des Albums. Tscheims Bond rettet einmal mehr die Welt. Können das Lieder auch? Können sie nicht. Aber zur Diskussion anregen, ja das können diese Zeilen bestimmt. „Hetti“ (Titel 11) nimmt Banken, Versicherungen und deren Spiel mit der Politik unter die Lupe. Die Wortspiele und Umkehrungen im letzten Liedteil gefallen mir besonders. Wir selbst sind es, die zur Seite sehen, mit den Achseln zucken, feige sind und im eigenen Kämmerlein nichts sehen, nichts hören, nichts wissen wollen und nicht über den Tellerrand hinaus zu denken wagen.

Ich finde alle Titel des Albums gelungen. Die Lieder sind trotz ihres Balladen–Stils kurz und knackig, es kommt keine Langeweile auf. Die Worte sauge ich gern in mich auf. Weniger Egli verzichten auf intellektuelle Phrasen, sie formulieren in klarer ostschweizerischer Mundart. Die musikalische Begleitung mit Gitarren, Hammond, Handorgel, Bass und Schlagzeug umrahmen die Songs, ohne die Worte zu überdecken.

Dies ist meine Schweizer Album-Empfehlung, welche in den hiesigen Radios kaum Sende- Chancen hat. Wenn es doch zu hören wäre, würde mich das Wunder freuen. Weniger Egli kennen lernen, in der heutigen Zeit gerade richtig.

JAN 2016  Karen Sophie Thorstensen

Barth | Roemer : Menschen leben

Ja, so einfach geht es auch! Eine Stimme, eine Gitarre, witzige, engagierte und packende Texte und musikalische Virtuosität – das bringen Astrid Barth und Philipp Roemer auf dem neuen Album "Menschen leben".

Als das Duo letztes Jahr bei den Liedertagen in Boltenhagen gastierte, durfte ich bereits einige Lieder des noch in Planung befindlichen neuen Albums hören und meine Neugier war geweckt. Die Musik von Barth | Roemer ist stilübergreifend, deutlich werden Einflüsse von Jazz und Folk, aber auch ein wenig Blues. Astrid Barths Texte handeln von allen erdenklichen Seiten des wirklichen Lebens.

Im Titelstück gelingt es ihr, den üblichen Lebensstil unserer westlichen Länder gegenüber den völlig anderen Lebensrealitäten jener Landstriche zu stellen, aus denen in den letzten Monaten die Flüchtlinge zu uns kommen. Ich empfinde das Stück gelungen, weil es nicht moralisiert, aber klar Stellung bezieht und dazu auffordert, eigene Vorstellungen zu hinterfragen. "Rattenfänger" bringt eine gute Bestandsaufnahme über die Rechten und ihre Aktivitäten und vermittelt die Wut und die Verzweiflung über diese Szene packend und präzise. Es wird mal dazu aufgefordert, den Kopf dazu zu nutzen, wofür er da ist und in einem anderen Stück wird festgestellt, dass nicht nur der Karneval, sondern auch andere unliebsame Zustände mal ein Ende haben. Barth sinniert über diese Kiste im Keller, worin alles Alte gesammelt ist, das man aus unerfindlichen Gründen doch nicht weg geworfen hat und es werden an anderer Stelle Pläne geschmiedet, ein völlig neues Leben anzufangen – aber geht das wirklich? Und will man das? Auch eine Hommage auf die Lebensphilosophie meiner Freundin aus Kindertagen, Pippi Langstrumpf, ist dabei.

Das virtuose Gitarrenspiel Philipp Roemers verleiht den Kompositionen von Astrid Barth genau das jeweils passende akustische Kleid, mal jazzig, mal schnell und rockig, mal zart und folkig. Auf dem Album wird sich Zeit genommen für Soli und Improvisationen - nicht nur von Roemer, auch die stimmlichen Improvisationen von Barth sind spannender und abwechslungsreicher als auf dem Vorgängeralbum. Astrid Barths dunkle, rauchige Stimme kann brüllen und schreien. Sie spielt mit der Stimme und sie kann dann wieder wunderbar weich und einfühlsam singen. Und das Ganze ist einfach so schön leichtfüßig, aber keineswegs beliebig!

Für die Aufnahmen der 14 Stücke des Albums gingen sie an zwei Tagen im März 2015 mit guten Freunden ins Studio, damit sie nicht mit Kopfhörern die Wände ansingen und spielen mussten. Das hat sich ausgezahlt, denn der Live-Charakter ist deutlich wahrnehmbar. Zeitweise hatte ich das Gefühl, in einem Konzert der beiden zu sitzen.
Meine Aussage im ersten Satz ist nicht ganz korrekt. Bei zwei Stücken spielt Astrid Barth Akkordeon, aber ansonsten sind die Hauptakteure Barths Stimme und Roemers Gitarre. Wohltuend schlicht!

 

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