Persönliche Empfehlung Album

Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Album ab und begründet diese schriftlich.

DEZ 2021  Michael Laages, Hannover

Die Grenzgänger - Die Lieder der Commune

Vom Gedächtnis der Geschichte

Vor allem und zuallererst ist dies ein zwei CD’s schweres Paket herausragender Recherche, sowohl politisch-historisch als auch künstlerisch-musikalisch – „Die Grenzgänger“, das in Bremen beheimatete Ensemble um Sänger und Gitarrist Michael Zachcial, hat der nur zwei Monate kurzen Geschichte der „Commune“ in Paris hinterher geforscht, in der von März bis Mai 1871, vor 150 Jahren also, ein gesellschaftliches Politik-Modell ausprobiert wurde, das von staatlicher Polizei- und Militär-Gewalt schnellstmöglich wieder zerschlagen wurde. Die „Commune“ wollte ein soziales Modell politischer Gesellschaftlichkeit vorleben, das ohne Strukturen öffentlicher Ordnung und Verordnung auskommen und stattdessen extrem egalitär alle mit allen und allem verbinden sollte. Der große Traum vom gewaltfreien Miteinander-Sein – das war das Ziel der Kommune in Paris.

So hoffnungsvoll die Geschichte begann, so verzweifelt endete sie: in Zerstörung und Vernichtung durch Staat und Obrigkeit, die stärker waren. Die Legende der „Commune“ aber blieb lebendig – etwa durch Bertolt Brechts (selten gespieltes) Theaterstück über „Die Tage der Commune“; vor kurzem hat Brechts Enkelin, die Regisseurin Johanna Schall, diese Beschwörung des Aufstands wie des historischen Scheiterns in Konstanz inszeniert. Aber auch durch Musik, durch Lieder blieb die Geschichte präsent; gemeinsames Singen diente damals (wie auch später immer wieder) der Beschwörung gemeinsamer Energie. Und noch, wenn heute Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter am Ende der rituellen Kundgebungen zum 1. Mai jedes Jahres „Die Internationale“ singen (und die Verdammten dieser Erde zum Aufwachen aufrufen am „Tag der Arbeit“, ehedem „… des Arbeiters“ und der Arbeiterin), ist als sehr-sehr weit entferntes Echo die Geschichte der kommunalen Pariser Utopie zu ahnen. Denn dieses Lied schrieb ja Eugéne Pottier vor eineinhalb Jahrhunderten, auf der Flucht vor Kerker oder Tod nach der brutalen Niederschlagung der „Comune“. Es bildet sozusagen das Rückgrat der beiden „Grenzgänger“-CD’s – im Original und in verschiedenen Nachdichtungen und Interpretationen.
Aber die „Lieder der Commune“ verhandelten ja (und verhandeln hier und heute) weit mehr: Armut, Wohnungsnot, sogar Umweltzerstörung und Klimakrise.
Und wer in den literarischen Begleit-Tönen zum Beispiel aus Deutschland, vor der Kommune und danach etwa beim Barrikaden-Poeten Georg Herwegh, auch die Vorahnung von jenem deutschen Faschismus entdeckt, der sich bis heute immer wieder anschickt, Zivilisation zu zerstören, ist auf dem richtigen Weg – die „Lieder der Commune“ wirken bis heute, Antworten und Echos aus der Fremde inklusive.

Auch dieser Echos wegen war es eine wirklich sehr kluge Entscheidung des „Grenzgänger“-Teams, auch den eigenen Horizont zu erweitern – anders als bei fast allen früheren Projekten des umtriebigen Ensembles bereichern diesmal Gäste die Aufnahmen: Manfred Maurenbrecher und die „Polkaholix“, die Kinderliedermacherin Suli Puschban, „Sons of Gastarbeita“ und der einzigartige Leipziger Sänger Jens-Paul Wollenberg, die deutsche Ausgabe sozusagen des unvergessenen russischen Liedermachers und Schauspielers Vladimir Vissotsky. Mit ihnen allen im Zusammen-Klang mit dem bewährten Sound der „Grenzgänger“ entwickelt das Doppelalbum tatsächlich so etwas wie den Traum vom aufrührerischen Geist der Zeiten – der immer wieder niedergedrückt, aber nie wirklich ganz vernichtet werden kann. Auch weil er diese Lieder hat – sie sind Teil vom Gedächtnis der Geschichte.

Weitere Informationen: www.chanson.de

NOV 2021  Wolfgang Rumpf, Bremen

Michael Krebs - Hat mir gefallen

Das Allroundtalent - Jazzpianist, Liedermacher, Entertainer - hat das Coronajahr genutzt, um per Crowdfunding dieses neue Opus zu finanzieren, das sinnigerweise auch diverse Anspielungen und Songs zum Thema Covid 19 enthält.

Nach seiner Ausbildung zum Pianoman in Hamburg veröffentlichte Krebs; Künstler aus Schwäbisch-Hall (*1974), erste eigene CDs, bekam dafür diverse Kleinkunstpreise, tourte mit verschiedenen Bands durch die Republik und erwarb jene Bühnenroutine und jenen Witz, der auch auf „Hat mir gefallen“ sofort verfängt - musikalisch wie textlich. Er löst sich mit spürbarem Vergnügen vom heute immer noch gängigen Liedermachergestus der frühen Jahre und traut sich schwungvoll und hoch energetisch in ein modernes Grenzgebiet zwischen Deutsch-Hip-Hop und dem teils absurden Spaß-Sprechgesang à la Stefan Raab.

Krebs bietet intelligentes Kabarett, hochmusikalisches Entertainment und überrascht mit fast jedem Song. Wenn er in „Styropor des Schweigens“ das Dasein eines Krematoriumspianisten besingt, dann verlässt er die grelle Spaßebene und wechselt in einen ruhigen Walzer mit Chansonelementen.  

Was man auf diesem Album auch deutlich spürt, ist seine Bühnenpräsenz, die Kommunikation mit dem Publikum: Krebs singt mit Verve, scheint über Textbausteine mit seinen Fans im Live-Stream und jetzt wieder im Saal zu improvisieren, liefert im Booklet lediglich Bruchstücke seiner Texte, die dann in der Live-Situation mit Leben erfüllt werden. So philosophiert er über das Füllwort “eigentlich“ ebenso treffsicher wie über das “Homeschooling in Coronazeiten“. Zwischendurch schiebt sich auch mal ein Lovesong mit Mißtrauensvotum (“Max und Maja“) oder ein funky Song über einen “Fußbodenschleifmaschinenverleih“. Dem Song 'Hat mit gefallen' gehört das Finale der 15 Songs, der Künstler träumt sich weg in einem klassischen Roadsong. Kurz: Krebs liefert Alltagsspots mit Tiefgang am Rande des Absurden, garniert mit zupackendem Gesang – und das alles verbindet sich mit seinem virtuosen Klavierspiel zu veritablem Solo-Entertainment, das man sich live nicht entgehen lassen sollte: Michael Krebs ist im Oktober auf ausgiebiger Tour in Süddeutschland unterwegs.  


Mehr Informationen:  

michaelkrebs.de

OKT 2021  Hans Jacobshagen, Köln

Heiter bis Wolkig - Widerstandslieder

Heiter bis Wolkig gibt es seit den 80er Jahren. Ich denke, Ende der 80er sind sie mir zum ersten Mal begegnet. Schon damals sind sie mir durch ihren anarchischen undogmatischen Zugang zu den Dingen aufgefallen. Für eine Produktion des Südwestfunks habe ich sie damals auf die Burg Waldeck eingeladen. Meine Kollegen und ich waren der Meinung, dass sie genau dort hingehören. Nun sind Heiter bis Wolkig keine Liedermacher im klassischen Sinn. Nein! Es wird laut. Es wird Punk. Sie singen Widerstandslieder und beginnen mit der Rubrik „Widerstand im deutschen Land“.

Der erste Track ist dann das Lied von den Edelweißpiraten der Gruppe Lilienthal, erstmals erschienen 1981 auf der Compilation „Wir wollen leben“ des sehr politisch engagierten Labels Folk Freak. Das klang damals sehr nachdenklich und war voller Verehrung für die, die im dritten Reich den Nazis gegenüber Widerstand geleistet haben. Und was machen Heiter bis Wolkig? Sie schreien es heraus, denn es hat sich nichts geändert. Im Gegenteil: Die Faschisten sind wieder lauter geworden. Und dagegen singen sie an. Das geht nicht leise. Und so zeigen heiter bis Wolkig viel Verehrung für Rock- und Songpoeten vergangener Zeiten, erinnern an die Schmetterlinge aus Wien, sie erinnern mit dem Stollwerck Lied von Wolfgang Niedecken an die Hausbesetzer-Zeit und skandieren die in den 80ern vor allem durch Wolf Biermann bekannt gewordene Zeile: Es gibt ein Leben vor dem Tod. Warum sie das alles tun, kann man in dem sehr informativen Booklet nachlesen.

Das zweite Kapitel ist „Widerstand dem Unverstand“ überschrieben. Und da hören wir dann „Der Traum ist aus“ von Rio Reiser und „Brüder der romantischen Verlierer“ von Schroeder Roadshow, deren Frontmann Gerd Köster war. Zwischendurch gibt es auch immer eigene Stücke, im dritten Kapitel, das bescheiden den Titel „Widerstand im Hinterland“ trägt, sogar ausschließlich. Und am Schluss schauen Heiter bis wolkig noch auf den „Widerstand im Zombieland“. Da sind dann einige Schlager versammelt, die eher aus der bürgerlichen Ecke kommen und irgendwie auch Widerstand zeigen. Ich habe das Gefühl dass heiter bis Wolkig mit diesen Liedern eine gewisse Hassliebe verbindet. Die Titel heißen „Die weißen Tauben sind müde“, „Mein Freund der Baum“ oder „Karl der Käfer“. Das hat durchaus seine Berechtigung, zeigt es doch, das Friedens- oder Klimathemen nicht nur engagierte und fortschrittlich fühlende Linke interessierten. Dass in der Rubrik am Schluss Hannes Waders „Es ist an der Zeit“ im Zombieland aufwacht, verstehe ich allerdings nicht so ganz. Das traurige Fazit dieser Produktion: Obwohl in der Aufbruchszeit der Post-68er viel gesungen, gesprochen, diskutiert und demonstriert wurde zu den Themen, die uns heute wieder begegnen, ist nichts passiert. Fazit (siehe Cover): Stay punk stay rebel stay rude. Die „Widerstandslieder“ von Heiter bis Wolkig sind eine schöne, durch das beigefügte Booklet auch informative Zeitreise ohne falsche Nostalgie für Hörer von heute. Unbedingt empfehlenswert!


Mehr Informationen:  
heiterbiswolkig.org

SEPT 2021  Uwe Thorstensen, Halle (Saale)

Pampatutti - Schlaraffenland

„Pampatutti“ - das sind Holger Hopfenstreich Hoffmann, Max von Gluchowe, Till Hecht und Philip Möbius, allesamt in Thüringen und Sachsen zu Hause. Seinen Ursprung hat die Formation in dem 1996 gegründeten Duo Pampatut, in dem sich Holger Hoffmann und Max von Gluchowe zusammenfanden.

Die vorliegende CD „Schlaraffenland“ entführt uns in die Welt der mittelalterlicher Weisen, begleitet von Cister, Drehleier, Säckpipa, Bouzouki und Bassklarinette. Die CD wird mit dem traditionellen „To i holla“ eröffnet, wie es der eine oder andere vielleicht noch aus der Schulzeit oder aus dem Chorgesang kennt.

Deutlich merkt man den Musikern ihre Spielfreude an, was mit denen auf der CD enthaltenen Live-Aufnahmen deutlich untermauert wird. So gelingt es kaum noch bei dem Stück „Feuerwasser“ seine eigenen Füße still zu halten. Man fühlt sich mitgerissen und hat fast schon das Gefühl, live dabei zu sein.

Vorrangig bestückt mit eigenen Texten, bedient sich Pampatutti traditioneller Melodien mit eigenen Arrangements. Flott und heiter geht es daher, wie beispielsweise beim „Räuberlied“. Kurz gesagt, beim Hören kommt absolut keine Langeweile auf.

Es dürfte nicht vermessen sein, durchaus Vergleiche zur Musik von „Steeleye Span“, Folk och Rackare oder anderen Folk-Formationen anzustellen. Die Stücke „Mein Reichtum ist mein Lied“ oder „Lumpensammler“ sind wohl mehr als Beweis genug. Pfiffig geht es mit „Nun will der Wirt uns grüßen“ auf der Scheibe weiter.

Die CD ist gut abgemischt, so dass es eine Freude ist, alle Texte gut verstehen zu können, auch ohne in das beiliegende Booklet zu schauen zu müssen.

Gerade in einer Zeit, in der Kunst und Kultur durch widrige Umstände eingeschränkt waren oder noch sind, ist diese CD ein willkommenes Kleinod der Aufmunterung und Lebensfreude, weshalb sie dem geschätzten Publikum auf keinen Fall verborgen bleiben sollte. Aber hören sie doch selbst...


Mehr Informationen:  
pampatutti.com

AUG 2021  Petra Schwarz, Berlin

Die Seilschaft - Dein Paket

Die Seilschaft – nein: Das ist keine Gruppe von Bergsteigerinnen und Bergsteigern, die bei einer Bergtour durch ein Seil verbunden sind. Und nein, auch keine Gruppe von Personen, die im politischen Bereich zusammenarbeiten und sich gegenseitig begünstigen. D i e Seilschaft ist die frühere Band von Gerhard „Gundi“ Gundermann, die 10 Jahre nach dem Tod Gundermanns im Jahr 2008 wieder auf die Bühne zurückkehrte.

Seit Ende Mai dieses Jahres ist – nach rund einjähriger Arbeit daran in Corona-Zeiten – das neue Album mit 13 Songs nun da. Etliche davon mit „Ohrwurm-Potenzial“. Alle getextet von Haase. Christian Haase. Der Sänger und Liederscheiber ist seit nunmehr 13 Jahren der Seilschaft-Frontmann und ja, das mit dem Gundermann-Vergleich nimmt offenbar kein Ende. Gefragt, ob er ein Schüler Gundermanns sei, antwortet Haase im Zusammenhang mit der neuen CD in deutsche-mugge.de selbstbewusst: „Ein Schüler kannst du ohne Lehrer nicht sein. Andernfalls kopierst du Vorbilder. Das Kopieren hat aber für niemanden einen Mehrwert. Was soll ich mich denn bemühen, Lieder zu schaffen die ‚klingen wie...‘. Es weiß doch jeder, dass Christian Haase nicht Gerhard Gundermann sein kann. Ist doch logisch. Wer erwartet also wirklich, dass ich so schreiben müsste wie er?“ Dazu nur so viel: Selbst, wenn es Haase nervt, der schlechteste „Vergleich“ ist das wohl nicht. Man höre auf der neuen Seilschaft-CD nur den Song „Hammer fällt“ ;-).

„Dein Paket“ – so heißt ein Song und auch das ganze Album – fängt mit „Hauptsache gesund“ (relativ) ruhig und entspannt an und hört mit „September“ (relativ) ruhig und (ziemlich) nachdenklich auf. „Dazwischen“ 11 weitere Songs mit Geschichten aus dem Leben. Ja, genau das! Beispielsweise „Hand aufs Herz“: eine bezaubernde Story mit der Aufforderung zum Weitermachen ... Und da Worte im Vergleich zu Musik immer dürre sind – im Sinne der Zeile aus „Dein Paket“: „Hör ich auf die Lauten überhör ich die Leisen“ – hier meine Aufforderung, die Scheibe bitte selbst zu hören!.

Die Songs von „Dein Paket“ hat zu einem guten Drittel Haase komponiert; die anderen Musiken stammen vom Gitarristen Mario Ferraro und dem Keyboarder (und Produzenten) Michael Nass. Manches ist Gemeinschaftsarbeit Letzterer oder aller drei zusammen Sehr kraftvolle Songs – ob laut oder leise – in ausgefeiltem Sound.

Last but not least: Anfang Juli war die Seilschaft im ZDF - „Fernsehgarten“, einer Familiensendung sonntags mittags. Super, finde ich das. Allerdings scheinen sich die Geister da zu scheiden. Christian Haase hat sich dazu – aus meiner Sicht – sehr klug positioniert: haase-band.de/single-post/sich-scheidende-geister.

Mehr Informationen: dieseilschaft.de

JULI 2021  Fredi Hallauer, Bern

Rodas - Rodas

Rodas ist rätoromanisch und heisst Räder. In der Gruppe sind Corin Curschellas (Gesang und Dulcimer), Patricia Draeger (Akkordeon) und Barbara Gisler (Cello). Der Kopf der Gruppe ist sicher Corin Curschellas, zumindest was die Texte betrifft. Corin Curschellas sang schon 1977 in der Band von Walter Lietha, welcher durch seine gesellschafts-kritischen Lieder sehr bekannt war. Sie machte dann sehr viele verschiedene Sachen und sang zwischen Zürich, Berlin, Paris und New York, auch im Vienna Art Orchestra. Durch die Auslandaufenthalte fand sie einen erneuten Zugang zur Heimat und singt heute vor allem rätoromanisch, die Sprache ihres Heimatkantons Graubünden. Bei Rodas steuerte sie aber auch selbst geschriebene Mundartlieder bei.

Das Album wird eröffnet mit dem Lied «Zuckerbäcker». Hier beginnt sie mit der Geschichte der Armen aus dem Kanton Graubünden, welche aus Armut und da sie nichts zum Essen hatten, die Schweiz verliessen und im Ausland als Zuckerbäcker arbeiteten, oder in fremde Kriegsdienste gingen. Sie kehrten dann reich, arm oder überhaupt nicht mehr zurück. Sie singt dann, dass heute die Schweiz an der Spitze der Klimasünder ist, dass der Naturausverkauf grassiert. Andere kommen zu uns in der Hoffnung das es hier besser ist. Sie sind krank, arm und erschöpft. Wir wollen sie nicht, gehen aber selbst gerne nach Afrika auf Safari. Es endet damit, dass wir unser eigenes Grab schaufeln und wenn das nicht geht schafft uns die Welt einfach ab mit einer Pandemie. Der Text ist im Booklet nachzulesen, wie alle anderen Texte auch. Neben den rätoromanischen Liedern und einem englischen Song, singt Corin ein traditionelles Walser Lied, von Liebe Abschied und Tod, also dem Zuckerbäcker nicht unähnlich. Im «Bahnhof SBB» besingt sie das soziale Leben im Zürcher Hauptbahnhof, vom Abschied, der alten Frau im Rollstuhl (genannt der Engel) und dem Engel von Nikki De Saint Phalle an der Decke, den randständigen Menschen in der Brasserie und den Vögeln, welche die Stadt verlassen haben. Es folgt ein modernes Loblied auf Familie, Hof und Leben und als letztes ist in «A mym Rhi» die Geschichte einer Zigeunerin, welche ausgestossen am Dorfrand lebt. Es wird Nichts angeprangert, sondern einfach erzählt.

Alle Lieder werden wundervoll und gefühlvoll von Akkordeon und Cello unterstützt. Dies ist ein sehr intensives Album und trotzdem ein Genuss.


Mehr Informationen:  
corin.ch/new-projects/rodas/

JUNI 2021  Harald Justin, Wien

Könich Persönlich - Zockerkram

Selbst für den dem deutschen Liedgut bestens gesonnene Juroren kommt einmal die Stunde, wo er sie nicht mehr hören mag, diese Lieder aus der Szene, in denen sanftmütige Frauen zur verträumten Gitarrenmusik ihr trauriges Schicksal in einer Welt besingen, die offenbar keine Barbiewelt ist oder junge, introvertierte Jünglinge ihre Pubertätswirren in einer Welt der Einsamkeit besingen. Hilfe! Die Weltfremdheit, die einem da so entgegen klingt und die von keinerlei Realität gespiegelt ist als von der eigenen Nabelschau, ist noch elendiger ist als die der Schlagerwelt. Wo bleiben im Feengesang und der Jünglingsklage eigentlich die echten Menschen mit Fleisch und Blut? Man ist für jeden Realitätspartikel dankbar, statt von „Tränen in der Nacht“ würde ich mich schon über die Nennung der Biermarke freuen, die durch die Nacht hilft.

In diesem Sinn kommt das Album des Sängers Könich gerade richtig. Der Mann hat seine Lehrjahre der Ruhrpottcombo Stormy Monday Bluesband absolviert; vor diesem Hintergrund ist die musikalische Richtung klar: Statt Lagerfeuerromantik mit Holzgitarre gibt abgehangenen Bluesrock mit Gospelchor, glücklicherweise ohne direkten Bezug zum 12-taktigen Blues. Es rockt halt, meistens aber im funky Sprechgesang.

Und Könich singt einfach, sprich: unprätentiöse, da darf sich „Bier“ auf „dir“ reimen. Es muss nicht kompliziert sein, wenn es auch einfach geht. Und wenn ihm eine Frau gefällt, dann singt er nicht vom Mondenschein, sondern ruft „Ich spür die Lust im Schritt“. Er ist ein Ruhrgebietskind auf der Meile in Essen, und wenn er es einmal geschafft hat, wird er nicht mehr zum Korfu-Grill gehen, wie es die Kumpel tun, sondern zum schicken La Grappa in Essen-Bredeney. Klassenkampf 5.0. Er hat ein Doppelkinn und Lippenstift an der Hose. Volle Latte Leben halt. Allein für diese Packung pralles Leben muss man dieses Album lieben.

Noch dazu macht es simples Streamen unmöglich, weil es als großformatiges, mehrseitiges Buch mit Dutzenden von s/w-Fotos aus der unterhaltsamen Geschichte des Musikers daherkommt. Doppelplus.


Mehr Informationen:  
derkönich.de

MAI 2021  Hans Jacobshagen, Köln

Andreas Rebers - Rumpelkinder - Schmuddelstilzchen

Als Franz Josef Degenhardt sein Lied von den Schmuddelkindern spielte, war ich zwölf Jahre alt. Und selbstverständlich war das, was sich damals als Gegenkultur entwickelte, bei uns zu Hause extrem verpönt. Wir lebten im Krieg: Ja, ich weiß, nicht wirklich. Aber es war die Zeit, in der  die alten Geister sich aufmachten, wieder die Herrschaft über das Land zu erringen, alte Spießigkeit neu zu installieren und die alte Ordnung wiederherzustellen. Der Kabarettist Andreas Rebers hat diese Zeit als Jugendlicher genauso erlebt und berichtet davon in einem literarischen Chansonabend. In seinen autobiografischen Texten lässt er die Zeit wiederauferstehen, in denen es noch „Senge“ gab, wenn die Kinder irgendetwas anstellten, was den Eltern nicht gefiel. Die erzählten gern noch vom Krieg und hatten Sehnsucht nach trügerischen Idyllen, die die traurige Gegenwart weitgehend verbannten. Ein guter Brauch waren die jährlichen Hausschlachtungen. Und wenn irgendwas schief ging, gab es dann mal einen Schnaps zur Beruhigung der Nerven.

Ende der 1960er Jahre lag ein besonderes Weihnachtsgeschenk auf dem Gabentisch von Andreas Rebers: Eine Langspielplatte von Franz Josef Degenhardt, der exakt die damalige Gegenwart beschrieb, wenn er von den guten alten Zeiten sang oder vom Sonntag in der kleinen Stadt. »Spiel nicht mit den Schmuddelkindern« hieß das Werk, das mittlerweile zu den Klassikern des deutschen Liedermacherrepertoires gehört. Rebers hat sich jetzt daran erinnert, dass diese Lieder ihn als junger Mensch wesentlich geprägt haben. Für einen Abend in der Bar jeder Vernunft hat er einige davon zusammen mit den Gitarristen André Matov und Samuel Halscheidt einstudiert. Dazu erzählt er, wie er die Zeit erlebt hat, die immer stark vom Krieg geprägt war und in der Chansonniers (so hießen die damals noch, das Wort „Liedermacher“ wurde erst später erfunden) einen kritischen Blick auf die Ereignisse warfen und die unserer Generation halfen zu verstehen, dass und warum alles so war wie es war. Die Lieder von Degenhardt und die Texte von Rebers lassen vor meinem inneren Auge eine Zeit auferstehen, die zum Glück vorbei ist. Wir wissen, dass es dann eine 68er-Bewegung gab, die eine neue Zeit einläutete. Und die Liedermacher spielten die Musik dazu.

Ich möchte die CD »Rumpelkinder – Schmuddelstilzchen, ein Franz Josef Degenhardt Abend mit Andreas Rebers« uns Älteren als Zeitreise empfehlen und den Jüngeren als ein höchst unterhaltsames Lehrstück über eine Zeit, deren reaktionärer Geist durch die 68er-Bewegung bekämpft und niedergerungen wurde. Das sollten wir nicht vergessen, auch wenn manch einer abfällig über die „Alt-68er“ redet. Ein neues Zeitalter brach an, dessen fortschrittliches Denken heute schon wieder in Gefahr ist. Im übrigen: Es macht sehr große Freude, die Lieder von Degenhardt in dieser neuen großartigen Interpretation wiederzuhören.


Mehr Informationen:  
andreasrebers.de

APR 2021  Sebastian Lenth, Alsfeld

Hasenscheiße - Dampferjazz


Als ich die CD aus einem Briefcouvert holte, blickte mich das Cover an und sagte: „Leg mich weg!“

Gesagt getan! Einen Tag später: „Trash-Cover! Nee, nicht heute!

Aber dann; ein paar Tage später, lag das Album wieder in meinen Händen. „Na gut, bring es hinter Dich!“, dachte ich, schaute das Cover nochmal an, klappe es auf, CD entnommen, die Tracklist bespitzelt, CD eingelegt und direkt Track Nummer 4 „Schlüpperpilot“ ausgewählt!

Was soll ich sagen!? Gar nichts! Nur ein fettes Grinsen verformte meine aktuelle Corona-Laune. Die Neugier trieb mich auf deren Webseite und da war dann die Lösung zu finden: „Acoustic Guitar Trash Balladen“. - Ja, das passt!

Und der Name? Ich zitiere aus ihrem Wikipedia-Eintrag: „Der Name der Band stammt angeblich daher, dass ein Freund des Comedy-Duos vor einem Auftritt, welcher vor einem Zirkuszelt stattfand, feststellte, die beiden würden „da voll in Hasenscheiße!“ sitzen. Da das Duo vor besagtem Auftritt noch keinen Namen hatte, wurde kurzerhand der Name „Hasenscheisse“ gewählt.“ 

Wer aber nun denkt, dass es hier qua Bandnamen nur Klamauk zuhören gibt, die oder der irrt. Nein, nein! Sehr gutes Handwerk aus den Bereichen Ska, Polka, Rock und Folk – alles ganz à la „Rockabilly“, gepaart mit authentischen Liedermachertexten, die nicht nur mit Witz gespickt werden, sondern auch mit viel Charme, Satire und sehr nachdenklichen Tönen.

Die aus Berlinern und Potsdamern bestehende Band nimmt sich die verschiedensten Themen unserer Gesellschaft vor und zeigt verschlüsselt durch fröhliche Klänge die allzu schlechten Seiten des Seins unserer Spezies auf. Seit Mitte der 90er Jahre von Matthias „Matze“ Mengert (Gesang) und Christian „Chrishi“ Näthe (Gesang & Gitarre) geründet. „Chrishi“ ist übrigens auch anderweitig bekannt. Er interagiert mit seinem Publikum als ein „Akteur mit besonderen künstlerischen und kulturellen Praktiken, die mit Sprache, Mimik und Gestik ausgeführt werden“ [vgl. Wikipedia]! Das sei hier aber nur nebensächlich erwähnt.

Beginnend mit ihrem ersten Album im Jahr 2007 „Für eine Handvoll Köttel“ vervollständigte sich die Band zur heutigen Formation zusätzlich mit André „Gigi“ Giese (Bass), Sascha „Laschi“ Lasch (Schlagzeug) und Stephan Fuchs (Akkordeon) zu einer großartigen Band.

Betrachten wir beispielsweise die eher nachdenklichen Worte zum Lied „Paradies“, so lässt sich die Leichtigkeit dieser „Liedermacherdichtung“ erkennen. Es wird unsere Geschichte von der Steinzeit bis heute in einigen wenigen Worten „hasenscheissemäßig“ auf den Punkt gebracht!

„Aus der Höhle wird der Tempel und aus der Keule wird das Schwert. Aus Dörfern werden Länder, in man Könige verehrt. Und aus dem Feuer rollt die Münze, dieses kleine runde Ding, gegossen aus dem selben Stoff wie die Rüstung und der Ring. Rollt immer schneller und sprüht Funken, befeuert die Kolonisation. Garniert mit etwas Zucker und Zivilisation.“

Und warum das alles? Ich zitiere aus dem Refrain:

„Hey, wo liegt das Paradies, in dem Milch und Honig fließt? Wir können&squot;s nicht erwarten. Hey, wo liegt das Paradies? Im Diesseits oder Jenseits, oder doch in Nachbar&squot;s Garten …?“

Einzig die eine Frage, die für mich noch besteht; ihr habt es sicher auch bemerkt, oder? Jemand muss mir erklären, warum diese Scheibe „Dampferjazz“ genannt wurde? Eine „Jazzscheibe“ ist das wohl nicht. Das kann ich wahrlich versprechen!

Ist eventuell Google schuld? Bestimmt! Denn wer den Bandnamen mal vergessen sollte, kann eine Suche mit der Wortkreation „Dampferjazz“ starten und sofort ein Alleinstellungsmerkmal für den Rückschluss auf den Bandnamen finden.

Oder es ist alles ganz anders - und man sollte, mit einem Augenzwinkern, Track 8 hören!

Übrigens: Die Aufnahmen sind durchweg sehr gut und passend produziert. Blockhaus Studio in Persona von Jürgen Block hat da sehr gute Arbeit geleistet. Denn gerade für Bands, deren Stärke ganz klar im Live-Auftritt liegt, ist das entscheidend. Wie auch immer; das Grinse-Gesicht ist garantiert.

Mehr Informationen:

https://www.hasenscheisse.com

MÄRZ 2021  Ralf Ilgner, Bochum

Karl die Große - Was wenn keiner lacht

„Ein farbenfrohes Album ohne Sicherheitsabstand“

mit dieser Überschrift preist der Promotext das neue Album „Was wenn keiner lacht“ der sechsköpfigen Leipziger Band Karl die Große an. Und das Album löst diese Ankündigung direkt vom ersten, eher skurilen Song an ein, mit einem entwaffnend ehrlichen Songwriting:

„…zu groß für’s Ballett, für die Klassik kein Gefühl, zu viel auf der Waage um einen Sprint zu gewinnen, nicht schön genug – das waren immer nur die Dünnen.“  

Melancholisch klingt die Sängerin und Songschreiberin Wencke Wollny durchaus, aber sie macht zugleich bescheiden klar, dass sie sich davon nicht ins Bockshorn jagen ließ, denn ihr Fazit folgt bald darauf:

„Das dicke Mädchen hat es den Berg hoch geschafft.“

Und das ist gut so, denn sonst würden wir ein Album entbehren müssen, das wunderbar ehrlich-intelligente Texte und musikalisch großes Spektrum an Farben versprüht. Zwischen vermeintlich leichtem Pop (Heute Nacht), partytauglichem Power-Pop (Zweifel), lyrischen Songs (Generation A) und fast schon abgedrehten Kompositionen mit überraschenden Wendungen - fast schon wie im Art-Rock der 70ziger (31.März) - ist alles Mögliche dabei. Eigentlich ein buntes Sammelsurium, bemerkenswerter Weise aber zusammengehalten durch Mut und Haltung.

Sängerin und Songschreiberin Wencke Wollny: „Der Gedankenanstoß zu diesem Album kam eines Nachts auf dem Heimweg: Was, wenn ich jetzt plötzlich umfiele? Hätte ich dann alles erledigt? Nein. Da läge noch ein wichtiges Liebeslied auf dem Schreibtisch. Und so wirklich ehrlich und geradeaus war ich in meinen Songs auch nicht immer. Da war immer ein Sicherheitsabstand zwischen HörerIn, Lied und mir. Daraufhin habe ich mir versprochen mutig zu sein, viel Neues zu lernen und geradeaus zu sagen, was ich denke.“

Mein persönlicher Favorit auf dem Album ist der großartige Song „Schmerz ohne Unfall“, der mich bei jedem Hören ganz besonders berührt. Interessant wie viele heiße Eisen unserer Zeit, ob Populismus, Klimawandel oder Generationengerechtigkeit, mit bewundernswerter Chuzpe angegangen werden.

Und trotz all diesem schweren Gepäck verliert Karl die Große dabei andere wichtign Aspekte nicht aus dem Blick: Spaß und Hörgenuß!


Mehr Informationen:  
www.karldiegrosse.de

FEB 2021  Fredi Hallauer, Bern

The Sparklettes - Mir Froue heis luschtig

The Sparklettes das sind vier Frauen, welche im Raum Bern wohnen und alle einen Hochschulabschluss in der Sparte Jazzgesang haben. Normalerweise singen die vier Frauen vor allem englischsprachige Songs aus der Sparte Jazz und Pop. In jedem Programm war ein Lied in Mundart, und sie merkten, dass das Publikum besser darauf reagierte, vor allem auf die Aussage. The Sparklettes wählen bewusst Lieder mit sozialrelevanten Aussagen, oft zum Thema Frauen.
So ist nun ein Album mit 17 Liedern entstanden, keines aus der eigenen Feder, aber alle selber arrangiert und eingerichtet für die vier Frauenstimmen. Zwei Lieder sind auf französisch und je eines auf italienisch und rätoromanisch. Von den restlichen dreizehn Liedern gibt eines ohne Worte (Ländlerkapelle nur Vokal) und eines auf Deutsch (von Sophie Hunger). Alle Lieder sind mit hoher musikalischer Qualität arrangiert aber auch mit Witz und dazu kommt, dass der Gesang vom Feinsten ist.

"Mir Froue heis luschtig“ (Wir Frauen haben es lustig) ist ein Volkslied, welches im Original "Mir Senne heis luschtig" heisst und sich auf das Sennenleben auf der Alp bezieht. In der Version von The Sparklettes geht es um das Leben der Frauen in urbanen Gebieten und die Arbeitsteilung, nur ist die Entlöhnung unterschiedlich. Ebenso abgeändert wurde "Grüeziwohl Frau Stirnimaa", ein grosser Hit der Folkgruppe The Minstrels aus den 60igern. Aber hier werden nicht nur die Begrüssungsplattitüden besungen, sondern auch die Antworten der geplagten Frau. "Aare" ist ein geniales Lied von Stiller Has und ein Highlight ist sicher "Swiss Birchermüesli Medley" in welchem etwa 36 Lieder aus der Schweizer Schlager und Pop Szene, aber auch Volkslieder so miteinander verwoben werden, dass es eine Art Gespräch gibt. "Anneli wo bisch geschter gsi", ein altes Volkslied stellt den Tratsch dar, wenn sich ein Mädchen im Dorf mit einem Mann traf. Es hat noch Lieder von Dabu Fantastic und Patent Ochsner mit dabei. Erwähnenswert ist das Medley mit Liedern zu Frauen von Mani Matter, teils in leicht veränderter Form oder das Medley mit Liedern von Arthur Beul, einem Liedkomponisten aus der Swingzeit, welches grosse Hits waren, welche meine Grossmutter noch sang. Die "Tubel Trophy" von Baby Jail, ist ein klares Lied gegen Rechts, was eigentlich immer wieder gesungen werden muss und die "Zuckerwattefrau" von Dieter Wiesmann, schildert das Leben einer Frau im Zirkus.  

Dieses Album ist einerseits gesellschaftsrelevant und politisch, macht aber zugleich auch Spass und man darf sich ebenfalls an der Musikalität erfreuen.
"Mir Froue heis luschtig“ ist etwas vom Besten und Originellsten, was in letzter Zeit aufgenommen wurde.


Mehr Informationen:  
www.sparklettes.ch

JAN 2021  Wolfgang Rumpf, Bremen

Marie Diot - Apfel im Strudel der ewigen Liebe

Schon der ins Absurde weisende Titel des Albums verspricht eine künstlerisch anspruchsvolle wie freche Mixtur aus eigenständigem Songwriting, das von einem späten Hauch Neuer Deutscher Welle-Pop-Romantik getragen wird. “Mitdenk-Indie-Pop“ nennt Marie Diot (auch der Künstlername von Julia Geusch ist ebenso wie der Albumtitel als Wortspiel zu lesen), die vom ihrem Begleiter Fabian Großberg sehr überzeugend begleitet wird, selbst ihren Stil. Etliche Auszeichnungen seit 2014 unterstreichen die Tatsache, dass sich das kreative Duo vollkommen einig ist. Der Sound ist entsprechend ausgegoren, warm und griffig und passt zu Marie Diots Texten, die – mal melancholisch, mal absurd-albern - von alltäglichen Merkwürdigkeiten und einigen Beziehungsirrtümer erzählen.


Im Eröffnungssong »Heizkörper« zum Beispiel geht es nicht etwa um den eisernen Wärmespender in der Wohnung, sondern um die Hitze, die der Geliebte verströmt:

Du siehst so heiß aus, du hast einen Heizkörper
Im Sommer nervt mich das sehr,
aber jetzt ist ja Dezember,
da liebe ich deinen Heizkörper, bitte komm wieder her.
Ich brauch dich nicht von April bis Oktober,
oder wenn doch, dann nur in Ausnahmen.
Färben sich draußen die Blätter zinnober
fang ich an, dich zu vermissen.


Während diese ironische Liebeserklärung musikalische Heiterkeit verströmt, geht es im nächsten Drama »Marius« und dem damit verknüpften »Loslassen« dieser Beziehung durchaus lyrisch, nachdenklich und bluesig zu, dieser Ton bestimmt auch »Mehr als 100 Blumensträuße«, während dann wieder knackige Bässe aus dem Sythi den Rhythmus vorgeben. Ein Trip durch Paris macht dann Station bei dynamischem Swing, bei »Auf andere schießen« weist die a-capella-Gesangsspur in Richtung "Die Prinzen". Apropos Gesang. Marie Diot präsentiert die 13 Songs sehr ruhig, unaufgeregt, cool, nah am Mikrofon, so dass eine intime, suggestive Erzählform entsteht.

Mitunter verlassen die Songs den Boden nachvollziehbarer Alltagsspots und fantasieren sich in andere Welten wie in der Bildbetrachtung »Delfinbeobachtung« oder im medizinischen Grundkurs »Allergisches Asthma«, Generalthema bleibt indes die Liebe und ihre Verwirrspiele. Plus dabei: Alle Songs glänzen durch überraschende Harmoniefolgen, satte Refrains und originelle Arrangements. Der »Apfel im Strudel der ewigen Liebe« präsentiert auch im Booklet freche Fotos und künstlerische Posen (mit Mini-Keyboard, Gitarre und Staubsauger), die den Charakter des Gesamtkunstwerks des jungen Duos Geusch/Großberg überzeugend untermalen getreu dem Motto: Das Leben ist alles andere als richtig normal.

Mehr Informationen:
https://www.mariediot.com/

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