Reihum gibt eine/r der JurorInnen in dieser Rubrik ihre/seine persönliche Empfehlung für ein Album ab und begründet diese schriftlich.
„Es brummt der Entwerter
Versteht mein Problem nicht
Ein Junge sagt Kerstin zu seiner Mutter
Gestatten ein Feuer
Schiffschrauben schauen
Man glaubt es selbst kaum
Dann kommt der Tunnel und man blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt blinkt wie ein Bus
Schlüsselbund
Der beste Köder im Fluss.“
Und so weiter und so fort, bis es genau in diesem Stil auch wieder aufhört, das Eröffnungsstück „Blinker“ des zehnten Albums von Erdmöbel.
Derart hochassoziative Texte sind nun garantiert nicht jedermanns Sache, und so scheiden sich die Reaktionen auf die Band aus Münster, jetzt Köln, denn auch schön mittendurch in rasendes Entzücken und heftigste Ablehnung. Fürs durchweg rasende Entzücken sind vor allem die Medien zuständig, die jeden Willen zu Ablehnung oder gar Kritik über ihr ewiges Hochgejuble von allem und jedem inzwischen offenbar verloren haben. Heftige Ablehnung kann man dagegen immer wieder aus Hörerkreisen erleben – eine Mehrheit der Popmusikkonsumenten und vor allem -käufer kann man mit lyrischen Ambitionen der Größenordnung und Hartnäckigkeit von Songschreiber Markus Berges wohl kaum überzeugen.
Dabei hat die Musik, in der die rätselhaften Erdmöbel-Geschichten gewöhnlich daherkommen, eigentlich durchgehend das Zeug zum Ohrwurm: regelrecht besoffen vollmelodisch, rhythmusstark, harmoniereich; und obendrein überwiegend zumindest von einer Lebendigkeit, die anstecken kann. In ihren besten Momenten, und so ist es nun auch bei Kung Fu Fighting wieder, ergeben Text und Musik Lieder von einer Opulenz, fast zum Hineinspringen – überraschend, lustig, exzentrisch, rätselhaft; oder auch einmal nur ein schönes Liebeslied ohne jeglichen doppelten Boden.
Wenn die Dinge nicht so gut laufen, können die immer hoch gelegten Latten auch mit krude verkopftem Humbug gerissen werden, dem jegliche Leichtigkeit jedenfalls vollkommen abgeht – daher dann wohl auch die Ablehnung mancher Hörer, alles andere als unverständlich. In welche der beiden Schubladen zum Beispiel der diesmalige Gesangsgast Désirée Nosbusch passt, ob sie singen kann und das jetzt auch noch hip sein soll, sie zum Duett zu bitten oder was – auch darüber dürften sich die Geister wohl scheiden wie über alles andere auch bei dieser Band.
„Ich weiß nicht, was ich will“, heißt es bei „Blinker“ dann etwas weiter im Text: „
Sie will nicht, was ich weiß
Ich will nicht, was ich weiß
Sie weiß nicht, was sie will
Ich weiß nicht, was ich will
Sie will nicht, was sie weiß
Ich will nicht, was ich weiß
Sie weiß nicht, was sie will
Wir wissen nicht, was wir wollen
Wir wollen nicht, was wir wissen
Wir wissen nicht, was wir wollen
Wir wollen nicht, was wir wissen.“
So kann man das sagen. Viel Raum, mit viel Gewinn von Hölzchen auf Stöckchen zu kommen in den elf Stücken dieses Albums, wenn man das mag. Und eigentlich sogar selbst dann, wenn man es nicht mag – so viel Reibung wie hier mit jeder Silbe erzeugt wird.
Ein verwirrender Titel: Es sind allesamt Lieder mit ihm. Will er durch die Wahl des Titels eine gewisse Distanziertheit zu den Stücken beschreiben, eine Allgemeingültigkeit der Inhalte, eine wohl kalkulierte Wahl der tonalen Verarbeitung? Das wäre sehr formal. Roger Stein hat moderne Chansons geschrieben – und ich bestehe wieder einmal gern auf dem Begriff Chanson. Text und Musik gehen eine Symbiose ein, sind zusammen gedacht und nicht über- oder untergeordnet.
Modern ist, dass sich Stein verschiedener verfügbarer Formen bedient, sowohl textlich als auch musikalisch, und insofern die Pfade des klassischen Chansons verlässt. Mit den swingenden Beats in „Klassentreffen“ verabschiedet er sich von einer Person, die mal eine Wahnsinnsbraut war und durch Kompromisse und Verzicht, die das Leben gefordert hat, sich auf für den Betrachter tragische Weise verändert hat. „Heimweh nach woanders“ ist ein sehnsuchtsvolles Poem über die rastlose Suche nach dem irgendwas und irgendwo, getragen von leiser Melancholie. Roger Steins Dichtung beschreibt das Suchen des Menschen nach Sinn und Inhalt. Aus diesem Gedanken erschließt sich auch das Kernstück des Albums – ich empfinde es jedenfalls als ein solches: Es ist die Biografie eines erwachsenen Mannes – nennen wir in Roger – der in der Geschichte seiner Ahnen seinen Platz in der Welt zu bestimmen sucht, der in der systemischen Wahrnehmung der Vergangenheit und seiner Vorfahren sein eigenes Sein erkennt. Musikalisch werden alpine Klänge angedeutet, der Text darüber ist eine Art Rap, ein verdichteter Sprechgesang, in dem die Familiengeschichte über mehrere Generationen beschrieben wird. Der Bub, der am Ende der Geschichte steht, ist sehr alleingelassen mit seinem Leben und wird sich auf die Suche begeben müssen. Roger Stein schreibt über die Liebe: „du bist der Grund für meinen Realitätsverlust“. Über Alfred, der einen Mann lieben lernt, aber es nicht schafft, für diese Liebe seine Familie zu verlassen. Oder über „Liebesbriefe ohne Namen“, „denn ich weiß ja nicht einmal, ob es dich gibt“. Oder über die Peinlichkeit, Sehnsucht zu äußern. Und so ziehen sich tief empfundene Zweifel durch alle Lieder.
Wie ist das Mensch-Sein lebenswert?: „
Seien wir mal einfach ehrlich
wozu sich auch genieren?
Und solang das Glas nicht leer ist
gibt‘s kein‘n Grund zu rebellieren!
Seien wir einfach einmal ehrlich
ganz aufrichtig und wahr
Ich verlieb mich und vermehr mich
und zeug ein neues Mängelexemplar.“
Und so geht das Leben weiter… Lieder ohne mich sind Lieder voller Melancholie und Hoffnung –mit Roger Stein.
Der allgemeine Eindruck, Musik und Politik hätten derzeit nichts mehr miteinander zu tun, wird glücklicherweise, wenn leider auch nur von einigen wenigen, widerlegt. Zu diesen wenigen gehört Manfred Pohlmann, ein rhein-, beziehungsweise mosel-fränkischer Mundartsänger. Der gelernte Schriftsetzer – und es gibt keinen Bleisatz mehr – schwärmt noch von seinen früheren Berufsjahren, lebt aber längst ausschließlich von seiner Musik. Zum 40-jährigen Bühnenjubiläum schenkte er sich ein eindeutiges Folkalbum. Drei Lieder handeln von Kuckuck, und so ist auch der Titel der CD erklärt. Und alle Lieder sind Geschichten, Erlebtes, das vor Tod und Schmerz nicht Halt macht, Nachdenkliches, um nicht zu sagen: Philosophisches. Knapp die Hälfte der Texte sind von Pohlmann, sehr persönlich gehalten und natürlich in Mundart.
Das unverschnörkelte Booklet hilft beim Zuhören, denn manches Idiom muss man lesen, um zu wissen, was gemeint ist. Und hier erfährt man übrigens auch seine politische Richtung. Und die Arrangements stammen teils von ihm, auch von namhaften Leuten, und die Musiker, die man mit ihrem vielseitigen Instrumentarium hört, ja, die sind alle Profis. Klangvoll, und doch nicht überladen. Auch Wiener Weinlieder sind dabei, doch hier „klingt“ keine mosel-, rhein- und weinselige Weinkönigin mit, sondern herzhafte Fröhlichkeit. Nicht seelische Ergüsse nahe einer Flasche Rotwein schmelzen im Ohr, auch nicht Phrasen und Worthülsen, sondern schlichte Erzählungen. Manfred Pohlmann nennt sich Folksänger, Unterhalter, Liederdichter und Kultureinfädler. Dass dieser heimatverliebte Weltbürger, der nie aufdringlich wird und bescheiden wirkt, die Gemeinschaft mit seinesgleichen in der AG Song suchte und fand und sich oftmals auf Burg Waldeck, dem Mekka der Liedermacher, den Beifall seiner Zuhörer holte, erfährt man zwar weder aus dem Booklet noch aus dem Internet, lässt aber auf Qualität schließen. Aber warum schrieb – sicher wohlüberlegt – Manfred Pohlmann „Gguggugg“ auch vorn mit zwei „g“? Ich weiß es nicht. Ich fragte auch nicht nach. Wenigstens ein Geheimnis muss ja wohl bleiben!
„Nur Irre haben mein Zeug im Plattenschrank. Mich fragt keine Firma, ob ich Reklame mach für sie, ich bin so schwer vermittelbar, i hob nur di“, singt Georg Ringsgwandl auf seinem neuen Album. Klingt ganz so, als würde der 65-Jährige mit seinem unsicheren Künstlerschicksal hadern. Doch das scheint nur so – wie so vieles bei diesem Experten für Selbstironie. Zwanzig Jahre ist es her, dass der Kardiologe aus Bad Reichenhall seinen Brotberuf an den Nagel hing um seiner Berufung zu folgen: irgendwas zwischen Musikkabarettist und Rock‘n‘Roller.
Und dass er diesen Schritt bis heute nicht bereut hat, spürt man bei jedem Ton seines zwölften Albums, dass nur so strotzt vor musikalischer und sprachlicher Kreativität. Ein zugleich doppelbödiger und resignativer Grundton durchzieht das Werk. Das beginnt schon, wenn er im Titelsong „Mehr Glanz!“ fordert, der sich bei ihm auf die fehlende „Substanz“ reimt. Was zunächst klingt wie ein Protestsong mit abgedroschener Empörungsrhetorik ist in Wahrheit eine beißende Satire auf den Wohlstandsbürger, der sich über alles Mögliche beschwert und dabei selbst nicht besser ist. Dieser Sänger verunsichert lieber sein Publikum, statt sich an den üblichen Feindbildern abzuarbeiten. Nur so lässt sich zum echten Leben vordringen. Im Opener „Wärmetod“ geißelt er den Gesundheitswahn unserer überreglementierten Leistungsgesellschaft: „Rauchen ohne Nikotin, Pommes ohne Kalorien“ und resümiert „Niemand überschreitet ein Verbot im emotionalen Wärmetod.“
Ringsgwandl fürchtet nichts mehr als die Langeweile einer keimfreien Umwelt. Dem begegnet man am besten mit einer Musik, die so richtig schön dreckig klingt. In diesem Fall kreieren seine neuen Mitmusiker Daniel Stelter an der Gitarre, Sebastian Flach am Bass und Tommy Baldu am Bass einen mitreißenden Südstaaten-Groove, über dem Ringsgwandl seine sarkastischen Botschaften verkündet. Manchmal zeigt der Seismograph des Zeitgeists auch einen Anflug von Pathos. So wenn er fast in Freddie-Mercury-Manier Glanz und Elend des Showgeschäfts besingt: „Ruhm und Glanz sind öffentlich, nur das Elend ist privat“, lautet sein Kommentar zu Dschungel-Camp und Talkshow-Hype. Welch eine Wohltat, dass dieser zähe Outlaw den Versuchungen des Mainstreams widersteht. „Je verzweifelter um Perfektion gekämpft wird, desto näher rückt das Lächerliche“, erklärt er im Booklet. Mehr Glanz! erschöpft sich zum Glück nicht in hohlem Perfektionismus, sondern weckt uns aus der Agonie mit Songs voller Ironie und verzweifelter Sehnsucht nach dem Wesentlichen.
„Verrecke, du rote Sau!“ Für fünf Sekunden hatte ich keine Angst vor gar nix, damals 1969, als mir ein Polizist in Oberhausen seine Pistole auf die Stirn drückte. „Schieß doch, Bulle!“ Hallo, ich war dreizehn Jahre alt und hatte ja noch nichts zu verlieren. Theoretisch hätte ich so berühmt wie Benno Ohnesorg werden können. Er drückte ab, doch im Praxistest verfehlte sein Schießgerät ihr Ziel. Der Polizist ist heute dank natürlicher Auslese längst von uns gegangen, aber mir blieb jahrelang eine von Schmauchspuren grau verfärbte Narbe auf der Stirn. All die Wut der frühen Jahre, heute natürlich längst vergessen. Fast jedenfalls, wenn nicht Tag für Tag die Nachrichten Bilder von jungen Menschen aus aller Welt zeigen würde, die sich angstfrei Panzern und staatlichen Ordnungskräften in den Weg stellen.
Und eben dann kommt diese Maike Rosa Vogel daher, schlägt ihre Gitarre mit dem silbrigen Klang, ganz wie einst Dylan, unterlegt von einem Orgelsound, „really cheesy“, eben wie bei Dylan Jahrgang Highway 61 Revisited, und sie singt von eben jenen magischen, nun ja, „fünf Minuten“, die manchmal nur Sekunden dauern, aber lebenslang wirken. „Wir hatten nie genug Geld/Und haben fast alles kaputt gemacht/Wir haben geraucht wie kleine Schlote/Und waren viel draußen in der Nacht/Man kann Filme drüber machen/Die einem keiner glaubt/Und Lieder drüber schreiben/Die klingen wie geklaut/Für fünf Minuten hatte ich keine Angst/Vor gar nichts/Wer kann das schon von sich behaupten.“ Keine Angst vor gar nix, dieses wilde Leben der Freiheit in der Nacht. Fünf Sekunden, fünf Minuten keine Angst zu haben, das kann ganz schön dumm enden. Sollte man trotzdem einmal ausprobieren.
Ein sehr jugendgefährdendes Lied. Auch für ältere Hörer nicht unbedingt ohne Komplikationen zu hören. Sven Regener hat das Album rund um den Titelsong produziert.
Und wenn Maike Rosa Vogel in dreizehn Stücken das Hohelied des trotzig-juvenilen Abenteuers besingt, vertont sie nicht nur Texte, sondern lässt sich singen. Was das heißt, muss man hören: Langsam entwickelt sich, wie im Titelsong, Lied für Lied das, was man im englischsprachigen Raum einen Groove nennen würde. Sie schwingt sich mit aller Dynamik ihrer Stimme auf eben diesen Groove ein, schleift gar die deutsche Sprache mitsamt ihren festgeschriebenen Betonungen, um sich dem Rhythmus der Musik hinzugeben. Sie hat eben keine Angst vor gar nix, noch nicht einmal vor der Musik. „Fehler machen und nicht wirklich stolz drauf zu sein.“ Richtig, Freiheit ist, wenn man nichts zu verlieren hat, und Maike Rosa Vogel macht es anders als einige deutsche Liedermacher, die als Zuchtmeister der Musik mit ihren Texten das Reich der Töne zu disziplinieren versuchen. „Ich bin ein Hippie/und wollte immer einer sein“, singt sie zu aufbrausend-auftrumpfenden Mariachi-Bläsern, und gibt sich und die Sprache dem Rhythmus hin. So geht Revolte. Widersinnig. Fünf Minuten ohne Angst können das Leben verändern.
Was ist wichtiger bei einem Lied, die Musik oder der Text? Was ist, wenn einen der Text zum Nachdenken oder zum Träumen verleitet, aber die Musik einen zwingt, auf den Stoppknopf zu drücken? Was, wenn die Musik unter die Haut geht, aber der Text banal ist oder gar Widerstände unterschiedlichster Art hervorruft? Manche deutschsprachige Musikliebhaberinnen und -liebhaber haben als Konsequenz im Laufe der Zeit wohl hin und wieder die Herkunft ihrer Lieblingsmusik gewechselt. Wenn da einer Englisch singt, muss man nicht immer alles verstehen, und wenn dazu die Musik kräftig rockt, ist das schon mal ganz OK. Dabei gibt es da einen ganz anderen Ausweg: Dialektlieder. Sofern man nicht zufällig aus der gleichen Region wie der Sänger stammt, versteht man die auch nicht auf Anhieb. Dialekte tönen rau, auch ungehobelt, verwaschen, authentisch. Sie passen hervorragend zu erdigem Blues, zu Americana und Rootsrock. Dialektliedermacher, ob sie nun aus Köln, Bayern, der Schweiz oder Österreich kommen, scheinen ein Faible für Hinterwäldlermusik zu haben.
Andreas Julius Fasching kommt aus Niederösterreich. Hört man sich in Grobn, das aktuelle Album seines Kuchlradios rein, versteht man anfangs kein Wort. Doch da ist diese Musik, die Resonatorgitarre und der Blues. Die Fiddle, das Akkordeon und der Harmoniegesang tönen nach dem Süden der USA und Mexiko, nach Americana. Spätestens bei „Gfrast“ bringt die Band auch noch die österreichische Provinz mit ins Klangspektrum. Austriana könnte man das nennen. Die Zutaten der Lieder sind genauso dosiert, wie sie sein müssen, damit die Ecken und Kanten nicht verloren gehen. Die Musik geht direkt ins Herz. Da kommt man nie auf die Idee, auf den Stoppknopf zu drücken.
Doch was singt der eigentlich, der Mann aus dem Mostviertel? Ein zweites Durchhören mit den Liedtexten des Beihefts führt uns zu den Freuden und Leiden der kleinen Leute, den Verlierern und Möchtegern-Aufsteigern der Provinz und in die dunkle, braune Vergangenheit. Grobn steht für das Graben im Fundus der Geschichte und den Geschichten des Hinterlandes. Für Andreas Julius Fasching ist Grobn aber auch eine Talsenke, ein Loch, das Ende der Welt, wo das Kruzifix an der Wand die Triebe nicht zum Erschlaffen bringt. Der Kreisverkehr führt immer wieder zurück zum Ursprung, er wird zur Umlaufbahn für diejenigen, die nie raus- und raufkommen aus diesem Grobn. Da muss halt auch mal ein Hund, der es wagt, über die Straße zu gehen, dafür bezahlen. Für Tiere wird nicht abgebremst.
Schließlich bleiben auch die kleinen Leute auf der Strecke. Nicht selten sind die Texte abgründig, mit schwarzem Humor und doch auch irgendwie liebevoll. Man, spürt, hier singt einer aus dem Hinterland über die Menschen, die er kennt. Oft kommentiert Andreas Julius Fasching nur lakonisch, ohne Anspruch, die Welt zu verbessern. Zu seinen Vorbildern zählen auf der einen Seite Helmut Qualtinger und Hans Carl Artmann, auf der anderen Seite Steve Earle und Townes van Zandt. Das passt. Hier geben sich skurrile österreichische Geschichten und die Klänge des amerikanischen Hinterlands die Hand. Austriana liegt nicht fern von Americana.
Vorab: Ich bin froh, dass ich dieses Mal mit der persönlichen Empfehlung einer CD an der Reihe bin, mich also nicht auf ein Lied beschränken bzw. festlegen muss. Denn die aktuelle Veröffentlichung von Torsten Riemann, die ich schon eine ganze Weile im Auge hatte, ist ein Werk, das seine Wirkung vor allem als Ganzes – und das ist mehr als die Summer seiner vierzehn Songs – entfaltet. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, je öfter ich die gute dreiviertel Stunde Riemann hintereinander weg höre.
Für mich ist es die Meisterleistung eines Liedermachers, der sein Handwerk bestens beherrscht: ausgefeilte Texte, klare musikalische Strukturen, die auf den Text hin gearbeitet und stilistisch sehr differenziert sind, höchst sensibel arrangiert. Riemann macht das alles selbst u n d er singt, spielt Akustikgitarre, Piano, Keyboards und Akkordeon.
2012 hat der gebürtige (Ost-) Berliner sein 30-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert und ungefähr so lange – seit Mitte der Achtzigerjahre – kenne ich diesen einfühlsamen, leidenschaftlichen Mann. 1985 hat er bei den renommierten Chansontagen in Frankfurt/Oder den Preis der Plattenfirma Amiga bekommen und konnte dann ein Jahr später zum ersten Mal einige Songs auf der der LP Kleeblatt Nr.18 veröffentlichen. Zehn Jahre später – 1995 – zeichnete ihn der Deutsche Rock & Pop Musikerverbandes als „Bester Singer/Songwriter der Bundesrepublik“ aus. In dem Jahr ist dann auch seine erste CD-Produktion Und auf einmal kannst du fliegen erschienen.
Seit nunmehr zehn Jahren ist Torsten Riemann viel im Ausland unterwegs, oft im Auftrag des Goethe-Instituts. Er ist in den baltischen Staaten aufgetreten, auf dem Balkan, in Algerien und Marokko. Casablanca scheint so etwas wie eine zweite künstlerische Heimat geworden zu sein. Ein Kurz-Musical, das Riemann mit marokkanischen Schülern erarbeitet hat, fand 2012 auch eine erfolgreiche Aufführung in der Berliner Wabe. Im Juni wird er wieder gen Casablanca reisen.
Die CD Er wollte so sein, die im Februar 2013 erschienen ist, zeichnet sich durch ihre so glaubhaften und ganz persönlichen – durchaus auch schmerzlichen – Geschichten aus, die den Autor wieder auf sich besinnen lassen. Er rät (sich), im Herzen beweglich zu bleiben und ohne Ziel zu l e b e n. Denn: „Am Ende weiß das Leben immer, wie es geht.“ Und: Er ist sich sicher, „dass doch immer etwas geht.“ Der Titel „Nicht mehr nett sein“ spricht mich besonders an. Musikalisch und auch vom Text her: „Ich bin Sänger, Menschfänger, und ich rette nicht die Welt. Manchmal sing‘ ich um mein Leben, manchmal sing‘ ich nur für Geld.“
Seine Vorbilder, u. a. Jacques Brel, insbesondere aber der Berliner Klaus Hoffmann, sind einmal mehr nicht zu überhören. Apropos Berlin: Mit „Det is Berlin“ hat Torsten Riemann ein hoch aktuelles und stimmiges Bild seiner Heimatstadt gezeichnet und im sarkastischen „Baby“ beschreibt er die Situation im Prenzlauer Berg, wo er zuletzt länger gewohnt hat. „Ich musste da dringend weg. Es war nicht mehr auszuhalten“, schreibt er mir als Antwort auf meine Frage, wo er jetzt lebt. Nach Brandenburg hat es Riemann gezogen, ganz in die Nähe des früheren Sommerdomizils von Bertolt Brecht und Helene Weigel.
„Er wollte so sein“ – der Titelsong – ist der letzte auf der gleichnamigen CD. „Er war nicht zu retten, er wollte so sein.“ soll auf dem Stein stehen, wenn Torsten Riemann mal tot ist. Aber: Erst einmal will er viel lieber unvernünftig leben. In diesem Sinne: ein langes und – in Maßen – unvernünftiges Leben!
Völlig zu Recht wundert sich der Chansonier Peter Blaikner im Booklet seiner aktuellen CD darüber, dass es in vielen französischen Städten etliche nach Dichtern benannte Boulevards gibt, nicht einen einzigen jedoch, der den Namen des großen Poeten François Villon trägt. Um diesem Missstand etwas entgegenzusetzen, hat nun Blaikner selbst einen musikalischen Boulevard Villon entworfen, auf dem sich nach des Sängers Vorstellung alle Verwandten im Geiste treffen können: Wilhelm von Aquitanien, Georges Brassens, H.C. Artmann, François Villon und natürlich Peter Blaikner selbst.
Es erklingen Lieder von Liebe und Erotik, wilden Festen und Trinkgelagen, Lieder von Gaunern, Spielern, Huren und Vaganten, Lieder voller Sehnsucht und Melancholie, Lebenslust und Wehmut, Lieder vom prallen Leben halt.
Peter Blaikner aus Salzburg nimmt den Zuhörer mit auf eine musikalische Zeitreise, die mit dem ersten mittelalterlichen Troubadour – Herzog Wilhelm von Aquitanien – beginnt. Weiter geht‘s ein Stück auf dem abenteuerlichen, nicht immer ungefährlichen Lebensweg des François Villon, um dann, mittels eines großen Zeitsprungs, beim französischen Nationalheiligen des Chansons, Georges Brassens, zu landen. Und schließlich H.C. Artmann, dieser österreichische „Meister der Wörter und Klänge, ein Vagant, ein fahrender Sänger in der poetischen Welt der Sprache“, wie ihn Peter Blaikner bezeichnet, nennt sich selbst einen „Kuppler und Zuhälter von Worten“, und ich biete das Bett.
Blaikner hat die Texte der Genannten (außer H.C. Artmann) einfühlsam ins Deutsche übertragen und wunderbar passende Kompositionen (außer Brassens) geschrieben. Drei Lieder auf der CD stammen komplett aus Blaikners Feder. Sie fügen sich in ihrer unverkrampften Leichtigkeit sowohl inhaltlich als auch stilistisch bestens ein in den Reigen der übrigen Troubadoure. Chansons der allerfeinsten Sorte.
Gemeinsam mit seinen unaufgeregt und gleichzeitig äußerst intensiv agierenden Mitmusikanten Reinhold Kletzander (Gitarre) und Bernd Weissig (Bass), die übrigens auch für die jazzigen Arrangements verantwortlich zeichnen, hat der Sänger und Gitarrist Peter Blaikner, dessen Stimme ein wenig an Franz Josef Degenhardt erinnert, ein herrlich entspanntes , akustisches Album geschaffen, das sich am besten bei einem Glas Wein genießen lässt.
Gerade ist Thomas Felder sechzig Jahre alt geworden, schwäbischer Liedermacher, Autor, Aktivist, der sich Zeit seines Lebens für gesellschaftliches Geschehen sowohl in seiner schwäbischen Heimat als auch darüber hinaus interessiert und auch immer wieder tatkräftig eingemischt hat. Nun hat er sein sechzehntes Album vorgelegt, und es ist wieder einmal ein sehr gelungenes Werk. Zehn Songs enthält es, davon sind sechs eigene Lieder. Hinzu kommen Neubearbeitungen von Stücken von Nikolaus Lenau, Walter Moßmann und zwei von Bernhard Lassahn. Dazu spielt Felder alle Instrumente selber.
Ungebrochener Spaß am Fabulieren und Formulieren kennzeichnet seine Lieder. Wunderbar, wie er von Sodom auf „So domm“, also „So dumm“, kommt. Soviel zum Tunnelprojekt der A 8 auf der Schwäbischen Alp. Der in der deutschen Volkslied- und Schlagerliteratur allgegenwärtigen Rose-Marie widmet er ein Stück, in dem Kreisler durchblitzt. Herrlich auch der alte Bernhard-Lassahn-Song „Ich hab das alles mitgemacht“, dem Felder einen aktuellen Anhang verpasst. Es ist ein fiktiver Brief des grünen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann an Felder, den alten Weggefährten. Jenes Mannes, der sich laut Felders Spekulation nicht erst seit seiner Wahl zum Handlanger der Befürworter von Stuttgart 21 gemacht hat.
Das „Lied vom Lebensvogel“, geschrieben von Walter Moßmann, ist nach wie vor aktuell, auch wenn es zu einer Zeit entstand, als es noch beide deutsche Staaten gab. Gorleben ist immer noch für ein Atommüllendlager im Gespräch, und Widerstand dagegen nach wie vor wichtig. Eine kleine Geschichtsstunde in Sachen Aufbegehren gegen scheinbar Unabwendliches. Daneben gibt es noch einige andere Songs, deren Entdeckung ich getrost den Hörerinnen und Hörern überlasse.
Insgesamt ein Album, das mir besondere Freude macht, weil es Musik auf sehr hohem Niveau verbindet mit höchster Formulierungskunst. Ein Musiker, der sich stets eingemischt hat und sich darin auch auf dieser CD treu bleibt, niveauvoll und glaubhaft. Diesem Album wünsche ich viele, viele Zuhörer – aufmerksame Zuhörer, wohlgemerkt.
Die Geschichte war ja vergessen; das letzte Konzert lag schon zehn Jahre zurück. Doch es lohnte sehr, zum 80. Geburtstag noch einmal vom singenden Schulmeister aus Hameln zu erzählen – denn als vor einem halben Jahrhundert die große Mode der "Liedermacher" herein brach über die Wirtschaftswunder-Republik, da war Walter Hedemann immer der "Chansonnier" in deutscher Sprache. Und von heute aus betrachtet, ist er im Grunde der einzige geblieben.
In die Unterhaltungsredaktion von Radio Bremen schickte der Gymnasiallehrer Hedemann aus Hameln (Fächer: Deutsch und Englisch) vor gut fünfzig Jahren die ersten Amateur-Tonbandaufnahmen eigener Lieder. Eine drei CDs umfassende Hedemann-Werkschau ist jetzt bei Conträr erschienen. Versammelt sind die allerersten Radioaufnahmen – und das halbe Jahrhundert ist ihnen kaum anzumerken. Dann folgen Meisterstücke aus den Siebzigerjahren und der Livemitschnitt des bis dato letzten Hedemann-Konzerts daheim in Hameln; das wirklich opulente Begleitbuch erzählt in ungezählten Details die Geschichte dieses Außenseiters (siehe auch www.folker.de).
Und so bietet die Box nicht nur den repräsentativen Querschnitt durch eine Karriere, sondern erinnert auch an deren Fundamente. Denn es waren ja die starken Persönlichkeiten des deutschsprachigen Liedes der Vor- und Nachkriegszeit, die Hedemanns Lust am Chanson prägten: Peter Igelhoff vor allem im Deutschland der Vorkriegs- und Kriegszeit und danach noch ein Wiener – Gerhart Bronner. Mit Bronner, den Familie Hedemann live in der legendären Marietta-Bar hörte, hatte die Chansonproduktion des Hamelner Schulmeisters überhaupt erst begonnen.
Den versammelten Liedern ist allerdings auch anzumerken, wie wenig es dem Texter, Komponisten und Sänger, immer allein mit sich um dem Klavier, berufslebenslang um Karriere gegangen ist – oft stehen die Lieder schräg oder gar quer zum herrschenden Zeitgeist; statt dezidiert politisch schrieb Hedemann eher privat, als dieser Teil des Daseins sonst noch kaum jemanden interessierte. Erstaunlich viel Hameln ist im Spiel – aber als Beispiel für die Ungereimtheiten, Sorgen und ungelösten Probleme dieser kleinen, überschaubaren Welt, in der wir alle leben. Die Stadt und das Gymnasium hat Hedemann nie verlassen wollen; für einzelne Auftritte gab‘s Urlaub von der Direktorin.
Nennen wir also Walter Hedemann einen Klassiker; Unikat ist er sowieso. Und die CD-Box dieses einzigartigen Einzelgängers gehört in jede Sammlung, die was auf sich hält.
Es waren die anderen, die Wolfgang Müllers Album Über die Unruhe finanziert haben. Crowdfunding nennt man das heute. Und die Geber müssen gewusst haben, diese CD ist ihre freundschaftliche Investition wert – hier wurde Vertrauen und Freundschaft im wahrsten Sinne des Wortes umgemünzt. Seit Dezember des vergangenen Jahres ist das neue Album über das Internet zu haben. Wolfgang Müller stammt aus Limburg an der Lahn und lebt jetzt in Hamburg. Die Stadt an der Elbe ist bekanntermaßen ein fruchtbares Biotop für Songschreiber.
Es sind Miniaturen, die Wolfgang Müller schreibt, kleine Geschichten aus dem Leben, die jedoch das große Ganze erfassen und uns begreifen lassen, warum es so läuft und nicht anders. Aus dem Konkreten auf die Welt zu schließen, das ermöglichen seine Lieder. Obwohl seine neue CD Über die Unruhe“ heißt, strahlt Müller beim Singen seiner Lieder eine Ruhe aus, die die Aufmerksamkeit des Hörers voll auf den Text lenkt. Und worauf trifft er da: auf ein Plädoyer für die Selbstständigkeit im Alter, denn sie fährt „Immer noch Fahrrad“ oder auf die beiderseitige Verantwortung für die Liebe in „Fast wie von selbst“. Und Wolfgang Müller warnt uns auch, in Zeiten, wo alles herauszufinden ist, nicht immer bis zum Ende zu gehen, wenn er singt „Ich glaube fest daran, hinter den Häusern fängt das Meer an, hinter den Schienen gleich die Dünen, solang wir nicht nachsehen gehen.“ Er plädiert dafür, Neugierde in bestimmten Grenzen halten, um weiterhin auch Illusionen haben zu können.
Wolfgang Müllers Lieder verlangen Aufmerksamkeit. Sie lassen sich nicht einfach nebenbei hören, dafür sind die Geschichten zu dicht und zu bildhaft. Dabei umgibt die Songs eine Musik, die dem Sänger mit seinen Botschaften viel Raum lässt, die sich nie in den Vordergrund drängt, die Lieder aber trotzdem gut voranbringt. Über die Unruhe – eine Sammlung von Geschichten, die zu hören es lohnt – am besten an einem stillen Nachmittag oder Abend.
Frenetischer Applaus vorneweg. Wenn Simon & Jan auf die Bühne kommen, rockt der Saal. Die zwei jungen Liedermacher aus Oldenburg haben ihr Publikum gefunden. Das ist auf dem zweiten Album des Duos unüberhörbar: Der letzte Schrei, mit fünfzehn sorgsam arrangierten Songs aus Livekonzerten der vergangenen zwei Jahre. In entschleunigtem Moll persiflieren Simon und Jan hier eifernde Bildungsbürger und ätzen über korrupte Parlamentarier, witzeln über die Berliner Avantgarde und kartographieren mit spitzer Feder Deutschland als Kleingartenkolonie, in der infantile Politiker als Grillmeister und Salatmamsel wahlkämpfend jede Haltung verlieren. Chapeau!
Zwischen die Songs schieben sie Schnipsel aus ihrem vierteiligen Zyklus „Genitalien auf Abwegen“. Als Thema mit Variationen sozusagen. Aber Simon und Jan haben nicht nur satirischen Klamauk im Kopf. Wenn sie über brausendem Gitarrengewitter die Apokalypse beschwören, ist es ihnen ernst. Mit ihrer eigenen Art von Storytelling spülen sie Erinnerungen an Fukushima hoch: „Ich spür die Erde beben, ich wollte so was nie erleben, mein Nachbar ruft: auf Los, die Erde brennt und rennt ...Du sitzt da auf der Stelle, ja was guckst du, siehst die Riesenwelle und dann schluckst du und du stehst vor dem letzten Gericht: Nein, ich mag meine Suppe nicht, nein ich mag meine Suppe nicht ... doch, die löffelst du jetzt aus!“
Wenn beim Publikum danach die Stimmung am Boden ist, ziehen Simon und Jan flugs die Narrenkappe auf und stimmen ein harmloses Liedchen über Fürze an. Ganz im raubeinigen Stil der jungen Liedermaching-Szene um deren Mentor und Förderer Götz Widmann. Ihm erweisen Simon und Jan ihre Referenz, indem sie gemeinsam durchs „Land der dichten Denker“ rappen: „Frank, der alte Naschhase fährt mit seiner Haschnase quer durch unseren Schnieftee in den Tiefschnee“. Nicht der letzte Schrei, sondern einfach nur gut!